Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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Unfälle und Sex gegen Bezahlung kosten, bis ich endlich… Aber besser chronologisch vorgehen… Keine Abkürzungen nehmen… Es wird ohnehin noch dauern, bis ich dieser verfluchten Stadt entkommen bin.

      Am Tage unseres siebten oder achten gemeinsamen Aufeinandertreffens, hatte sich die Parallelwelt in die heimischen Gefilde Schwalles verlagert… Die eher bürgerlichen Verhältnisse dort, erlaubten es Mädchen aufzunehmen, ohne sie gleich am Anfang zu verschrecken… Sofern man welche gefunden hatte, die nicht schon auf den ersten Blick wegliefen… Man war befreit von der Sorge, dass irgendein Spinner vor der Tür auftauchen und versuchen würde, sich Eintritt zu verschaffen… Da saßen diese zwei kaum bekannten Frauengestalten auf den herbeigeholten Stühlen gegenüber des Sofas, von denen die eine immer wieder zu mir herüber schaute… Fast immer, wenn ich sie traf, hatte sie ihre fette Freundin dabei… Es wollte sich mir nie ganz erschließen. Fast schien es eine Notwendigkeit zu sein, unter solchen »Besten Freundinnen« wie man sie so häufig antraf, dass die eine von beiden schön oder wenigstens noch einigermaßen gutaussehend war, während die andere den unausweichlichen Gegenpart der Schönen darstellte… Der unattraktive Gegenpart, der das hübsche Mädchen zu nahezu jeder Gegebenheit begleitete, hatte entweder erhebliche Gewichts- oder Gesichtsprobleme, oder war ein mausgraues Mauerblümchen, das jedweder äußerlichen Reize entbehrte… Man konnte sagen, fast schon zu traurig anzusehen… Ich verhielt mich ähnlich, wie in den vorangegangenen Konfrontationen, indem ich so tat, als wäre mir ihre Anwesenheit egal, nur die nötigsten Worte wechselte, beobachtete und mich abschätzig gab… Auf diese Art, bildete ich mir ein, würde ich als der alles gewahrende Herr der Situation erscheinen… Cool wie ein Gefrierschrank wollte ich sein… Aber wie hinter meinem Rücken eingefädelt kam mir dieses Aufeinandertreffen vor.

      Am geöffneten Fenster stand Sascha, der zur Abwechslung versuchte den umgebenden Dämpfen zu entkommen, und wie sehnsüchtig dem Asphalt vor dem Haus beim Ausbrüten seiner Fieberträume zusah, jedoch rasch in die Klaustrophobie des Zimmers zurück geholt wurde, von Atze, der, die Pfeife wie ein Whiskyglas schwenkend, zwischen den Füßen der Anwesenden hin und her ging und alle Träumereien mit einem gebündelten Strahl Realität aus seiner Schornsteinkehle erstickte. Vor der Giftgaswolke zurückweichend, stieß Sascha sich den Kopf an der geneigten Decke des Dachzimmers und ließ sich leise schimpfend neben mich ins Sofa fallen. Schwalle steckte seinen Kopf über die Lehne hinweg, schlug Sascha kumpelhaft mit der flachen Hand auf die Brust und flüsterte mir etwas ins Ohr.

      »Die Blonde da steht auf dich…« Und ich sah mir die Backfische auf ihren Stühlen an, wie sie tuschelten und kicherten, und das bekiffte, mindestens genau so kindische Gehabe um sie herum, in gegenseitiger Übereinkunft zu verurteilen schienen… War das nicht abstrus?… War ich normal?… Oder gab ich ständig anderen die Schuld?… Waren die normal?… Warum bloß kamen die hierher und taten uns alles nach?… Wie konnte Schwalle nur wissen?… Er kannte ja noch nicht einmal ihren Namen?… Kannte ich?…

      »Mutprobe!«, kündigte Atze an… »Wer von euch will sich auch mal an der Pfeife probieren?«

      Nach langem hin und her ließ sich die dicke Brünette dazu überreden, die sich mit der Blonden bis vor kurzem noch einen Joint geteilt hatte… Atze, heimtückisch und schadenfroh wie er zuweilen war, streute ihr heimlich einen Kopf voll mit Tabak von der übelsten Sorte, während Schwalle die beiden Mädchen ablenkte… Endlich gab er sie frei und sie wuchtete ihre Fleischmassen zu Atze herüber.

      »Also du musst nur hier halten«, sagte der zu ihr… »Und hier den Finger aufs Kickloch…« Und demonstrierte wie man das Gerät zu halten hatte… »Was machst du?«, wollte sie wissen, nachdem sie die Pfeife angenommen hatte… »Ich zünd den Kopf für dich…« Dankbar und kleinmütig sah sie ihn an… »Und wenn ich Stop sage, setzt du kurz ab, atmest schnell noch einmal durch und ziehst das Rohr blank…« Ein längerer Moment unschuldigen Argwohns… »Wie blank?…« Atze grinste… »Einfach den Mund wieder drauf pressen und tief Luftholen.«

      Und endlich zückte er sein Feuerzeug… Jetzt gab es kein zurück mehr für sie… Es blubberte… Mit der vom Unterdruck angezogenen Flamme brachte Atze den Tabak zum Glühen… Und da stand eine gemeingefährliche, dicke Rauchsäule in dem Apparat, die sich die Dicke, ganz aufgekratzt und, wie um die bevorstehende Blamage perfekt zu machen, ohne Rücksicht auf Verluste reinschmetterte… Dieses französische Gefühl… Fast sah ich mich selbst dort neben Atze stehen.

      Nach einem infernalischen Hustenanfall, bei dem sie wie besoffen durch das Zimmer gewankt war, tastend nach dem Stuhl neben ihrer mehr belustigten, als erschrockenen Freundin suchend, saß sie benommen auf dem Sofa, abwechselnd hustend und nach Luft schnappend… Unter Einwirkung der Gewalt ihres plötzlichen Aufstehens, wenig später, fiel der Stuhl gegen den Kleiderschrank und man sah sie zur Tür herausstürzen… Man hörte sie durch die dünnen Wände des Fertighauses hindurch, den Toilettendeckel gegen den Spülkasten werfen… Klong! Würg! Kotz!… Die hatte es erwischt.

      »Los setz dich neben sie, sprich mit ihr«, feixte Atze von hinter meinem Rücken und deutete auf die Blonde, die bestürzt durch die geöffnete Zimmertür sah, sich aber nicht sofort zum Aufstehen für ihre dicke Freundin entschloss… Da marschierte Schwalle aber schon ins Bad.

      »Is nich wahr! AATZÄÄÄH!…« Und auf seinen Ausruf Atze und die Blonde hinterher.

      Sie kamen wieder, tapsten durch das Zimmer und sahen aus wie eine einen Unfallort, mitsamt der einzigen Überlebenden, verlassende Gruppe… Die Dicke an die Blonde geklammert, sie stützend und ihre Sachen zusammensuchend, Atze daneben, um dem Desaster im Bad zu entgehen und Sascha der herbeieilte, um dem Opfer ein Kaugummi anzubieten. Die nun doch etwas ärgerlich dreinschauende Blonde meinte, sie müssten unsere Runde verlassen, mit der offensichtlichen Begründung, dass es ihrer Freundin verflucht schlecht ginge… Schwalles Verwünschungen aus dem Bad signalisierten überdeutlich die Notwendigkeit eines Aufbruchs… Und die Narren verließen allesamt das im Erbrochenen versinkende Schiff und ließen einzig dessen Kapitän und Putzfrau zurück.

      Die Dicke ging neben Sascha her, der versuchte, sie von ihrem Zustand abzulenken und ihr die Geschehnisse als Unfall zu verkaufen, neben der Dicken die Blonde, und ließ sich ein Stück zurück fallen, nachdem ihre Freundin allen breit und quengelnd erklärt hatte, wo genau sie im Dorf wohne, neben der blonden ich selbst, sie musternd, wie sie immer wieder nach mir blickte, irgendwo weiter abseits Atze, mit den Händen in den Taschen, einzig auf seinen slackerhaften Gang konzentriert.

      »Find ich nett, dass ihr uns nach Hause bringt.«

      Bald hatte ich ihre Signale verstanden und blieb mit der Blonden, ein Stück hinter den anderen zurück und begann ein Gespräch mit ihr… Einfallsreich wie ich war, begann ich mit der Frage, die jedes weibliche Wesen, aller Länder und Kulturkreise zu Anfang einer jeden Konversation schmachtend erwartete.

      »Wie alt bist du eigentlich?«

      »Sechzehn…« Und ich wusste nicht was ich mit dieser Aussage anfangen sollte… War das gut? War das schlecht für mich?… Nein, wohl eher von Vorteil.

      »Zwei Jahre jünger als ich«, gab ich zurück, sogleich hoffend, damit meine hypothetische Überlegenheit des Alters, meine reife an Erfahrung deutlich machen zu können.

      Unter der hoch stehenden Sonne kochten die von Schlaglöchern zerfurchten Nebenstraßen des Dorfes, dessen mürbes Konglomerat von schäbigen Fassaden, von Bauernhöfen, und vorgelagerten, ummauerten Misthaufen, von Schmeißfliegen zappelnd, aus denen die Gülle ölig auf die Straße lief, Verschlägen und Scheunen für geschundenes Vieh und magere Pferde, verschandelnden Anbauten und umschalten Fachwerkhäusern wie eine ausgebreitete riesenhafte Mülldeponie, den Dunst von Kuhmist, schwärender Langeweile, Frust, Borniertheit und all den Dramen und Tragödien, die sich hinter diesen Fassaden und Holzbrettern abspielten, von sich gab… Atze verschwand in dem Planzen- und Bierfriedhof, dem stickigen Untergrund seiner Wohnung.

      Und ich bemühte mich, ein Gespräch anzufangen und es dann im Gang zu halten. Das Haus ihrer Freundin rückte näher und näher… Ich sprach ein Thema nach dem anderen an. Es war hoffnungslos! Wir scheiterten bereits daran, uns ganz simpel zu unterhalten… Kleinlaut und verstohlen sprach