Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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mit dem Führerschein darüber… Den er ohnehin nicht mehr vorzeigen würde… Und legte die nunmehr Pulverförmige Substanz zu vielen grob hingestreckten Bahnen.

      »Haste nen Geldschein einstecken?«, fragte er mich mit den nunmehr freien Händen auf sein Werk deutend… »Meine sind hierfür draufgegangen…« Und ich gab ihm einen Zwanziger aus meiner Tasche.

      »Ich behalte den mal gleich ein, für das Ott, weswegen du gekommen bist und für das hier auf dem Spiegel… Sind ja hier nich bei der Wohlfahrt…« Er rollte den Schein zusammen und beugte sich über eine der Bahnen… Ein übertriebenes, gieriges Schniefen… Schnellte hoch, kniff die Augen zusammen, mit theatralischer Geste den Kopf in den Nacken werfend, und rümpfte die Nase und sog Luft ein… Nur Blinzeln in Atzes zurückgeneigtem Gesicht. Dann wurde mir der Schein hingehalten.

      Zuerst spürte ich nichts, außer einem Brennen auf der Nasenschleimhaut, welches sich bald legte… Die Minuten vergingen… Etwas ungeduldig wartete ich auf den Wirkungseintritt und zündete mir eine Zigarette an… Dann bemerkte ich einen bitteren Geschmack, der sich an meinen Gaumen geheftet hatte und nahm mir ein Bier… Bald begann ich ohne Interpunktion zu sprechen.

      »Heysagmalkannichnocheinehaben Ichglaubdaswirktnochnichsoganz…«

      Atze lachte… »Aber klar doch.«

      Und ich machte den Rest der Zeit so weiter, ungekannten Gefallen an lauter unnatürlich weit ausholenden Redseligkeiten findend… Ein paar Bahnen später kam ich dahinter… Speed war die perfekte Droge für den Zeitgeist… Man hätte es auch gut an der Arbeit nehmen können, dachte ich mir… Würde gar nicht auffallen… Dieser Rausch war der Geist der Leistungsgesellschaft, wie ich ihn mir nicht deutlicher vorstellen konnte… Äußerliche und innerliche Unruhe, vermischt mit emotionaler Kühle und dem Gefühl der Überlegenheit gegenüber jeder erdenklichen Situation… Man war sechs Meter groß, immer auf Draht und alles schien durchschaubar und absehbar zu werden. Alles was man sagte und dachte war wichtig. Man wurde zeitweise ganz heimtückisch, berechnend und zielgerichtet… Neun Meter groß und man nahm sich, was man zu brauchen meinte und kam sich vor wie ein Fels in dem konformen Wahnsinn. Listig und funktional wie das anorganische Fleisch der Maschinen und Prozessoren… Konzentration und Fokussierung. Zwölf Meter groß und… Zack, zack! Die Hände sausten und schwitzten, der Kiefer malmte, die Zähne klapperten. Fixe Ideen brausten auf. An die Arbeit! Zack, zack! Und die Grauen Windungen rackerten sich ab wie ein Trakt voller Blendgranaten. Alle Sicherungsstifte auf einmal gezogen… Los gehts! Impulsfeuer, Verknüpfungen und elektronische Erquickung. Zack, zack! Bumm, bumm! Berge versetzen! Bäume außreißen! Kilometerlange Papierrollen volltippen! Autos kaputtreparieren! Aaaahh!

      Das Pärchen verließ bald die Wohnung und ließ mich und Atze biertrinkend, plappernd und zappelnd vor der Spielkonsole zurück… Neben ihm selbst und seinem etablierten Freundeskreis, ging, während der sogenannten Geschäftszeiten, deren Beginn, Ausdehnung und Beendigung sehr flexibel zu sein schien, vielerlei anderes, mehr als fragwürdiges Volk, in der Wohnung aus und ein, um sich sein Zeug zu beschaffen… Doch dann, anstatt das Weite zu suchen, sich zu verpissen und die erworbene Ware in den eigenen vier Wänden zu rauchen, wie es sich für halbwegs erwachsene Leute, die sie zum größten Teil auch waren, gehörte, noch über weite Teile der Abende im Zimmer blieben und versuchten ihre Weltanschauungen oder Anekdoten aus ihrem Alltag mitzuteilen.

      Regelmäßig kam ein abgemagerter Typ vorbei. Man wusste schon, dass er jeden Moment schellen würde, bevor er überhaupt vor der Tür stand, da seine Ankunft jeden Abend von dem Bellen seines Kampfhundes angekündigt wurde. Wenn Atze nun, ahnungsvoll schon im Voraus lamentierend seine Pflicht tat und die Tür öffnete, kam der Hund zuerst hereingesprungen und zog sein wüst keifendes, jedoch körperlich mit der Kraft des Tieres überfordertes Herrchen hinter sich her. Irgendwie schaffte der Typ es zwar den Köter zurückzuhalten, doch dann lag Atze oft schon am Boden, überwältigt von dieser Kalbsdogge, die ihn niedergesprungen hatte. In so einem Fall konnte damit gerechnet werden, dass man sich für ein bis zwei Stunden nicht mehr regen durfte, ohne von dem argwöhnischen Mistvieh knurrend in die Schranken gewiesen zu werden. Der Köter stank die Bude voll und sein Halter saß grinsend da und es hätte einen auch kaum gewundert, wenn er das Vieh im Wohnzimmer sein Revier hätte markieren lassen.

      Ein anderer kam nur hin und wieder herein und versuchte, statt sein Gras gegen Bares zu erwerben, mit allen Anwesenden, die etwas davon in der Tasche hatten, Tauschhandel einzufädeln. Meist rief er, bevor er vorbeikam, an und wurde schon am Telefon abgewimmelt. Doch irgendwann stieg er dahinter und kam, ungeachtet der Tatsache, dass Atze ihm mitgeteilt hatte er sei nicht daheim, vorbei… Er schlich sich dann an die Tür heran und man sah aus dem abgedunkelten Inneren, durch das Milchglas hindurch, eine Silhouette, die aufmerksam in die Wohnung hinein zu lauschen schien. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sich dort Leute befinden mussten, rüttelte er zunächst an der Tür… Atze, der einen Autospiegel vor seinem Fenster angebracht hatte, in welchem er aus einem sicheren Winkel hinter dem erhöht gelegenen Fenster heraus, mehr oder weniger gut erkennen konnte, wer vor der Tür stand, hatte sich angewöhnt einen Blick in seinen improvisierten Türspion zu werfen, bevor er jemanden hineinließ. Doch der Kerl bleib energisch und fing an Sturm zu läuten. Nachdem man zum wiederholten Male von ihm belästigt worden war, trat Atze mit der versammelten Mannschaft im Rücken vor die Tür, schubste den entsetzten Störenfried herum und jagte ihn unter Androhung gröber Mittel und mit vorgehaltener Gaspistole davon… Bei diesem speziellen Fall konnten man sich derartige Mittel leisten… Aber es gab auch härtere Brocken, ungleich bedrohlicher und unangenehmer, deren bloße Anwesenheit, wenn sie auch meist von kurzer Dauer war, einschüchternd sein konnte… Des Öfteren konnte man Atze die Phrase, man könne sich seine Kundschaft nicht aussuchen, rekapitulieren hören. In der Regel sobald mit dem Fortgehen der Fremdlinge und Aushilfsgangster wieder der Normalbetrieb eingekehrt war.

      Und ich wohnte dem wüsten Treiben für viele Stunden, bis spät in die Nacht hinein, bei… Stets wanderte der Spiegel mit dem Schnellen in ein Versteck auf dem Wohnzimmerschrank, und wurde wieder hervorgeholt, sobald man wieder unter sich war… Das wäre Eigenbedarf meinte Atze zu mir… Er habe kein Interesse daran, alle Welt würde annehmen er handle auch mit dem Zeug.

      Vielleicht bemerkte ich zum Schluss, nachdem ich für einige Zeit nichts mehr von dem die Schleimhäute brennenden Zeug genommen hatte, dass ich langsam blöd wurde… Und versuchte dagegen anzukämpfen… Man kann nicht… Und dann, erdrückt vom langsamen Runterkommen, hat man nichts mehr zu sagen und kann nichts mehr tun… Alle Speicher leer… Am besten irgendwo verkriechen… Die Antiklimax des Amphetamins… Die sich umkehrenden Zustände… Und dann… Hoffen… Warten… Bis die Speicher wieder voll sind.

      Mit von dem vielen Bier, das wir getrunken hatten, gefüllten Magen, aber ohne das Gefühl betrunken zu sein, ging ich, nach einem hastigen Weg wieder daheim, ins Bett… Und fand keinen Schlaf.

      …

      In den vorangegangenen Monaten hatte ich ein paar Dinge über Drogen und die damit verbundenen Rauschzustände gelernt… Ein Gewinn? Ja vielleicht… Aber, trotz der flüchtigen Anwesenheit vereinzelter Kundinnen und Julies, die sich zu meiner Beruhigung in festen Händen befand, war ich doch eher damit beschäftigt mich im Marihuanarausch zu vergraben, in dessen klebrigen, abgeschotteten Sphären ich mich noch immer in Sicherheit wog… Wie um mir meine Mängel an Sozialkompetenz zu verdeutlichen trat plötzlich dieser blonde Backfisch auf den Plan, von dem mir alle weismachen wollten, dass er sich in mich verguckt hatte… Ohhgottooohgott! Die Frauen!… Sie waren für mich immer noch fremde Wesen… Ich hatte nichts vorzuweisen und begann mich darüber zu zerfressen… Lief seit drei oder vier Jahren in den selben schlabbrigen alten Klamotten herum und mangels Vorhandensein eines Haarschnitts stülpte ich meinem bekifften Schädel eine Truckercap über… Das schien nicht ungewöhnlich zu sein in diesen Kreisen… Jackie… Jacqueline… Ausgerechnet… Sie sah ganz vertretbar aus, nicht hässlich aber auch nichts besonders hübsch… Sie war kein Engel und auch keine Nutte… Sie erschien mir innerhalb der kurzen Zeit, in der sie die Parallelwelt frequentierte, viel mehr als Pflicht… Ich sollte mich an ihr beweisen… Natürlich war ich scharf darauf, sie flachzulegen… Aber wie denn nur!? Himmel, Arsch und Zwirn!… Alles