Steintränen. Manja Gautschi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manja Gautschi
Издательство: Bookwire
Серия: Steintränen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742797964
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Gegensatz zu Bob, er stand fassungslos mit immer offenerem Mund da und hatte Zylin beim Versorgen seiner Wunden schockiert beobachtet. Als er sich endlich aus seiner Erstarrung lösen konnte, ging er zum Cockpit um Captain Dek zu sprechen. „Captain...“ fing er entrüstet an „...das müssen wir melden!“ Dek öffnete die Augen, drehte sich um und sah Bob an „Bob, beruhige dich.“ sagte er ruhig „Was ist denn los? Was müssen wir melden?“ und Bob antwortete „Captain, Sa ist verletzt und seine Wunden wurden nicht versorgt. Das müssen wir der Aufsicht melden! Selbst wenn er der gefährlichste und unfreundlichste Mensch im Universum ist, er musste seine Handfesseln definitiv zu lange tragen und eine Schnittwunden an den Beinen wurde nicht einmal erstversorgt. Regeln sorgen für Ordnung und Gerechtigkeit, sie müssen eingehalten werden. Was, wenn sich das entzündet hätte? Er hätte sein Bein verlieren können!“ Bob atmete immer schneller „Captain, bei allem was Recht ist. Das ist nicht in Ordnung und definitiv gegen die Regeln. Und Captain“ Bob machte eine wichtige Pause "Captain, er stinkt. Offenbar durfte er sich nicht einmal waschen!" Dek begriff was ihm Bob gerade mitgeteilt hatte, schmunzelte ein wenig und drehte sich wieder um, nachdem er kurz festhielt „Bob, es gibt noch Vieles, was Du nicht weisst. Es ist nicht immer alles ‚schwarz’ oder ‚weiss’. Jetzt setz dich, ruh dich aus, wir haben noch 10 Stunden Flug vor uns.“

      Entsetzt, verdutzt und fassungsloser denn je folgte Bob Deks Anweisung und nahm Platz auf seinem Sitz. Seine Welt brach gerade ein grosses Stück zusammen. Dafür hatte er jetzt ein wenig Mitleid mit ihrem fremden, furchteinflössenden Begleiter. Bob fragte sich, ob er Zylin vielleicht zu vorschnell Unrecht tat mit seiner Meinung über ihn?

      Zylin hatte sich unterdessen um jedes Handgelenk ein braunes, ledernes Armband gelegt, als Schutz für die verletzte Haut und gegen neue Verletzungen. Viele Nahkampfsoldaten trugen solche Armbänder, da das Handgelenk ein sehr exponierter Körperteil war, insbesondere bei Nahkämpfen. Nach den Armbändern nahm er ein Haarband aus der Tasche, womit er seine langen, unfrisierten ziemlich wild wirkenden Haare flink zu einem lockeren Haargeflecht zusammenband. Dann nahm er zwei Dolche aus der Tasche. Er schnallte sich je einen um den Oberschenkel mit einem schwarzen Lederhalfter, auf der schwarzen Hose waren die Waffen kaum mehr erkennbar. Als letztes zog er einen langen schwarzen Kapuzenmantel aus der Tasche, in welchem er das Säckchen mit dem Steintränenpulver verstaute. Um sich den Mantel anzuziehen, stand er kurz auf, worauf sich Sila, Riso, Takwo und Bob sofort anspannten und die Hand an Ihre Schusswaffen bereitlegten um bei Bedarf schnell reagieren zu können, falls sie von Zylin angegriffen würden oder so.

      Aber wie Dek insgeheim vermutet hatte, dachte Zylin im Augenblick keines Wegs daran irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten. Dafür nahm Zylin die angespannten Soldaten eher amüsiert zur Kenntnis ‚Keine Ahnung’ dachte er, streifte sich den Mantel über und setzte sich. Es dauerte einen Moment ehe sich die anderen gänzlich entspannen konnten, eigentlich solange, bis sich Zylin wie alle angeschnallt hatte.

      Zu guter Letzt informierte Bob Zylin leise und ganz scheinheilig nett „Wir haben etwa 10 Stunden bis zur Landung auf Steinwelten. Ich schlage vor, Sie nutzen die Zeit um sich auszuruhen.“ Zylin machte es sich auf seinem Sitz so gemütlich wie nur möglich, schloss die Augen und antwortete „Endlich mehr als 3 Stunden durchschlafen. Was dachtest du denn, was ich vorhatte.“ „Wie meinen Sie das: ‚endlich mehr als 3 Stunden am Stück schlafen?’“ hackte Bob schon wieder überrascht und neugierig nach.

      Als Zylin darauf keine Antwort gab, sondern tatsächlich zu schlafen schien, wollte ihn Bob an der Schulter rütteln und mit „He...“ aufwecken, als ihn eine Hand am Arm zärtlich davon abhielt. Es war Isara, die sich neben Bob gesetzt hatte „Lass ihn.“ flüsterte sie leise „Weißt du, ich habe in Sarg gearbeitet und...“ sie stoppte „Ja? Was und...?“ forderte Bob Isara ungeduldig auf weiterzureden. „Na ja, ich musste während ein paar Jahren in allen Gefängnissen den gesundheitlichen Zustand der Insassen untersuchen und dokumentieren. War so ein Untersuchungsprojekt der Medizinische Abteilung.“ Isara machte eine Pause „Und was soll das heissen?“ fragte Bob. Isara überlegte „Verstehst du? Ich war in Sarg. Und...„ wieder hielt Isara einen Moment lang inne „Eigentlich darf ich das gar niemandem anvertrauen, aber du bist neu und ich hoffe, du behältst es für dich.“ Bob nickte heftig „Ja, natürlich.“ versicherte er ihr.

      Isara holte tief Luft und flüsterte „Bob, so ein Gefängnis ist eine Welt für sich. Die Gefangenen haben nichts mehr zu verlieren, sie sind ja schon im Gefängnis. Dann noch in Sarg. Ich meine, schlimmer geht’s nicht.“ Bob hörte aufmerksam zu „Es gibt viel Gewalt und viele Verletzungen.“ Isara schüttelte den Kopf „Es ist unglaublich. Wärter wie Gefangene reizen sich ständig. Und Paul, der Gefängnisleiter, ist wirklich in Ordnung. Es geht ihm immer um die Sicherheit aller, nicht nur um die der Wärter.“ sie sah Bob in die Augen „Nicht das du mich falsch verstehst, ich finde das auch nicht gut, aber bevor er Zylin in Sicherheits-Einzelhaft gesteckt hatte, gab’s fast tägliche blutige Auseinandersetzungen.“ sie rutschte noch näher an Bob heran und wurde noch leiser „Angeblich soll eines Tages einer der Wärter beschlossen haben, Zylin müsse sein Haarband aus Sicherheitsgründen abgeben und wie du dir bestimmt vorstellen kannst, gab es Zylin nicht her. Er soll den Wärter getötet haben.“ sie hob die Schultern „...nur so konnte es sich offenbar beruhigen: Zylin komplett fixiert und künstlich ernährt und den Wärtern näherer Kontakt untersagt. So alle 3 Stunden werden dort die Strafgefangenen mit Strom behandelt um die Muskulatur zu erhalten, damit sie gesund bleiben, aber geschwächt sind von der Anstrengung, was durch den Schlafentzug noch gefördert wird. Zur Sicherheit. Ein geschwächter Gefangener ist einfacher zu handhaben als ein fitter, verstehst du?“ Isara kniff ihre Augen zusammen, als ob sie sehen wollte, ob ihr Bob auch glaubte, aber Bob hörte einfach nur sprachlos zu „An ein oder zwei Tagen im Monat und für meine Untersuchungen konnte er sich etwas frei bewegen. Und stell dir vor, das seit mehreren Jahren. Er muss völlig übermüdet sein. Normalerweise wird ein Gefangener nämlich nur zur Strafe für ein oder zwei Tage dieser Tortur ausgesetzt.“

      Bob blieb wie versteinert sitzen, ob sich Isara einen Scherz mit ihm erlaubte, aber sie fuhr in sehr ernstem Tonfall fort „Ich vermute die Schnittwunde am Bein ist auch irgend so etwas. In Sarg dokumentierte ich viele solcher merkwürdigen Verletzungen. Und Bob, mal ehrlich, wenn kümmert ein Kratzer am Bein eines Kriminellen den sowieso alle vergessen hatten?“

      Jetzt ging Bob der Tag durch den Kopf, an dem er und Captain Dek Zylin in Sarg besucht hatten und der Wärter ohne zu Zögern Zylin mit einem Messer am Hals verletzt hatte. Bob dachte nach und konnte trotzdem nicht wirklich glauben, was ihm Isara da erzählte und fragte flüsternd „Isara, aber woher willst du das alles denn wissen, du warst nicht für mehrere Jahre lang da? Sowas überlebt doch keiner.“ Isara war bereits auf dem Weg zurück an ihren Platz, drehte nochmals den Kopf, zuckte mit den Schultern und antwortete Bob kurz und bündig „Ich fragte ihn einfach, nachdem ich seinen Zustand und die Wunden gesehen hatte.“ Damit drehte sie sich endgültig um und setzte sich auf ihren Platz zwischen den Kisten, Regalen und einer Schrage für einen eventuell Verletzten, schnallte sich an und schloss die Augen.

      Isara lächelte innerlich ganz stolz, denn was Bob vielleicht anhand der Personaldossiers wusste, aber aufgrund seiner Unerfahrenheit offenbar nicht wirklich realisiert hatte, war, dass diese Mission auch für sie, der erste richtige Ausseneinsatz überhaupt war. Zudem hatte sie sich nicht freiwillig gemeldet, sie zählte sich eigentlich mehr zum Typ „Labormaus“ und arbeitete bisher immer nur als Ärztin in der medizinischen Abteilung, aber Dek wollte sie unbedingt dabeihaben. Sie war unsicher. Doch dieser kleine Wissensvorsprung über Zylin machte sie jetzt unheimlich stolz. Zylin war verschlossen, nur hin und wieder hatten sie sehr gute Gespräche geführt, das kam ihr jetzt zugute. Vermutlich forderte sie Captain Dek deswegen an. Gut gelaunt und zufrieden schlief Isara ein.

      Verdutzt betrachtete Bob Isara eine ganze Weile