Steintränen. Manja Gautschi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manja Gautschi
Издательство: Bookwire
Серия: Steintränen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742797964
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hatte.

      „Was soll ich nur mit dir machen?“ begann Martin das Gespräch. „Dich zur Strafe für ein paar Tage hier einsperren?“ fragte er sarkastisch.

      Ohne den Blick vom Boden zu nehmen antwortete Zylin „Spar dir deinen Sarkasmus, Martin. Mit ist nicht nach Spassen zumute.“ Martin lächelte „Das weiss ich doch. Ist es dir nie, Zylin.“ Martin sah sich um. War wirklich alles wieder sauber. Ausser Zylin selbst. Seine Kleidung verblutet, die Wunde am Hals und eine von Blut verklebte Kopfwunde.

      „Weißt du“ nahm Martin das Gespräch wieder auf „ich habe das Gespräch mit deinem Besuch mitverfolgt und frage mich: Warum nur hast du das Angebot abgelehnt? Du kannst nicht ernsthaft hierbleiben wollen? Also wenn ich dich“ „Martin, lass es. Hör auf drum herum zu reden und stell deine Fragen.“ „Naja, eigentlich dachte ich, das eben war eine Frage.“ Martin hielt inne, überlegte „Ah schon klar. Du findest, ich wüsste die Antwort darauf schon selbst.“ Martin kratzte sich am Kopf „Vermutlich hast Du Recht: Du ordnest dich hier nicht unter, dann tust du es bei denen auch nicht.“ Martin nickte mit dem Kopf „Konsequent, muss ich dir lassen.“

      Nun hob Zylin den Kopf und sah seinen Besucher mit wartendem Blick an. „Also gut“ antwortete Martin darauf „Warum ich dich sprechen wollte: Die vier verletzten Männer hätte ich gerne vermieden. Was ist schiefgelaufen? Was hat dich so aufgebracht? Hätten wir nur den Alten, diesen...äh...Dek, ja so hiess er. Hätten wir nur ihn mit dir sprechen lassen sollen ohne diesen heissblütigen Jungspund, der dich offenb..“ „Nein“ unterbrach Zylin abrupt „O.K.“ nahm Martin die Auskunft zur Kenntnis. Zylin sah nun zu Petra bei der Tür, sagte nichts weiter.

      „Domic erzählte mir, was passiert ist. Fred der Trottel!“ Martin seufzte „Ganz ehrlich. Wärst du ruhig geblieben, hätte Fred nicht diese saublöde unnötige herablassende Bemerkung gemacht?“ Zylin dachte nach. War wirklich nur diese Bemerkung der Auslöser gewesen? Oder hätte er ohnehin dreingeschlagen?

      Schliesslich kam er zum Schluss „Ja, vermutlich schon.“ „Vermutlich?“ wollte es Martin genau wissen. Zylin stand auf, Martin machte einen Schritt zurück, hielt Zylin das frische Hemd entgegen. Bevor es Zylin aber entgegennahm, zog er sein Blutiges aus, warf es zu Boden, sah Martin an „Ja“ wiederholte er „Ich hätte nichts getan“. Während er sich das frische Hemd über den Kopf zog „Unterlass es in Zukunft Leute zu schicken, die sich ihr Selbstwertgefühl mittels dummen Bemerkungen aufpolieren wollen, weil ihnen die Freundin den Laufpass gegeben hat.“ Überrascht von dieser Auskunft beobachtete Martin wortlos, wie sich Zylin die Hose auszog, kaum hatte er das frische lange Hemd an.

      In Abteilung 3 gab es nur ein weisses knielanges Hemd, keine Hose. Der Gefangene stand ja fixiert über dem Abfluss. Dafür war das Hemd so gearbeitet, dass es dem Gefangenen an- und abgezogen werden konnte, ohne ihn loszubinden.

      Immer wieder überraschte Martin sein besonderer Gast mit derlei Auskünften. Martin konnte sich darauf verlassen, dass sie korrekt waren. Er konnte sich nur nicht erklären, woher Zylin diese Dinge wusste. Allein gute Beobachtung konnte es nicht sein. ‚Egal.’

      „Sonst noch was?“ Zylin sah Martin an. „Nein, eigentlich nicht. Danke für deine Auskunft.“ Damit ging Zylin die paar Schritte zur Mitte der Zelle, wo Petra bereits wartete. Mischa kam gerade mit seinem Utensilien-Wägelchen durch die Tür. Kommentarlos fing Petra an, Fuss- und Handfesseln wieder anzulegen. Martin stand untätig daneben, war ja nicht seine Aufgabe.

      „Und danke dafür, dass du bei mir aufgehört und mir nicht den Brustkorb zerdrückt hast.“ Zylin beobachtete Petra, die die Fussfesseln anbrachte „Red keinen Blödsinn! Du wusstest ganz genau, dass ich dir nicht ernsthaft etwas antun würde. Sonst hättest du Janus nicht abgehalten zu schiessen.“ Martin lächelte „Ja, erwischt. Aber du musst zugeben: Ist trotzdem anständig von mir.“

      Mischa stand nun vor Zylin. Mischa war gut 40 Jahre alt. Schlaksig, kurzes schwarzes Haar, freundliches Gesicht und schwul. Als Soldat eigentlich völlig unbrauchbar und die meisten belächelten ihn auch bloss. Darum war er auch nicht Mitglied von Martins Sicherheitsteam der Abteilung 3, so wie Petra. Nein, Mischa hatte den eigens für ihn kreierten Posten als medizinischen Betreuungswärter inne. Gab es etwas zu erledigen, was nicht eines Arztes bedurfte, tat es Mischa. Brauchte jemand ein Pflaster oder eine Kopfwehpille stand Mischa zur Stelle. Brachte Eis für geschwollene Knöchel, kümmerte sich um die Wehwehchen der Gäste. Und er war grandios darin. Irgendwie konnte er mit allen. Flüssigkeitszugang und Magensonde in der Abteilung 3 setzten zwar üblicherweise die vom Team der Abteilung 3 selbst, aber Mischa konnte das auch und er machte es einfach mit mehr Feingefühl, schlicht am angenehmsten. Also hatte ihn Martin extra dafür kommen lassen. Nebenbei gab es mit Mischa bei Zylin am wenigsten Theater. Mischa konnte eben gut mit allen.

      Martin hatte immer noch diesen Versuch im Kopf, als Pitos zusammen mit Domic Zylin fixieren sollten. Über zwei Stunden hatten sich gebraucht, liessen dann erst eine Aktivsequenz laufen, was Zylin für einen Moment ausser Atem geraten liess und weitere drei Personen um ihn festzuhalten, damit Pitos die Magensonde...’Ach!’ er wollte nicht dran denken. Und alles nur, weil Pitos Hände angeblich stanken. ‚Nein, danke.’ sagte sich Martin. Wenn möglich nur noch mit Mischa und Schluss. Obwohl es Paul eigentlich untersagt hatte.

      Wie immer begrüsste Mischa mit „Süsser“ und Zylin entgegnete trocken „Mischa“. Darauf streckte Zylin ihm den Arm hin, denn als erstes würde er ihm die Handfesseln anlegen und danach den Zugang für die Flüssigkeit legen. Zylin mochte Mischa. Nicht weil er schwul war. Nein, Zylin respektierte und schätzte es, wenn jemand ehrlich offen und freundlich war. Und das war Mischa. Es gab nicht viele Menschen, die das waren. Mischas Getue war stets wirklich ehrlich, nie gespielt. „Ach“ seufzte Mischa mitleidend als er Zylins Arm nahm und anfing. Alle seine Handgriffe waren professionell und sehr sorgfältig, er beherrschte sein Handwerk. Alle wussten, dass es am angenehmsten war, wenn es Mischa tat. Hinzukam, dass er nicht auf die Gäste des Hauses herabsah und keine Angst vor Zylin hatte. Das fühlte sich immer angenehm an, wenigstens das, fand Zylin.

      Derweil konnte sich Petra das Grinsen über Mischa nicht verkneifen und Martin sprach weiter „Wenn ich fragen darf: Obwohl er so tat als würde er dich nicht kennen. Deiner Reaktion zu folge, kennt ihr euch aber sehr wohl, du und dieser Dek. Stimmt das? Woher? Du musst wissen, deine Akte ist zwar hier, der Inhalt stammt allerdings mehr aus einer Vorlage, denn aus dem wirklichen Leben. Alles unter Verschluss wegen deiner Tätigkeiten und so. Wie soll ich da arbeiten.“ „Du redest doch nicht über die Geschichten der Sträflinge mit den Sträflingen selbst. Interessiert dich nicht. Also was fragst du.“ „Das ist richtig. Nur bist du eine Ausnahme und seit du hier bist, werde ich das Gefühl nicht los, dass da was zum Himmel stinkt. Ich bin neugierig. Und warum hat dich sein Angebot so wütend gemacht? Und he...“ Martin hob die Schultern „...ich hab keinen Aufmerksamkeit erregenden Tumult veranstaltet.“

      Unterdessen stach Misch mit der Nadel vorsichtig in Zylins Blutgefäss. Ein unangenehmes Gefühl. Brrr... Ein leichtes Schaudern huschte durch Zylins Nervensystem, jedes Mal aufs Neue. Er hasste es.

      Petra stand auf, ging zur Tür und wartete neben der Bedienkonsole auf Mischas Zeichen.

      „Nicht sein Angebot hat mich wütend gemacht. Sondern“ Zylin wendete den Blick ab von Mischa zu Martin „Sagen wir einfach, dass sich alte Wunden wieder geöffnet haben. Ich hatte gehofft, dieses Kapitel für immer geschlossen und hinter mir zu haben.“

      „Fertig?“ fragte Petra und Mischa nickte „Ja“ Petra liess die Ketten der Handfesseln hochziehen, Zylins Arme spannten sich seitlich, leicht nach oben. Ein Zug war zu spüren. Zylin ballte die Fäuste, hielt dagegen. Die Maschinen stoppten. Die Flüssigkeit fing an durch den Zugang in seine Blutbahnen zu laufen. Fühlte sich kalt an, denn die Flüssigkeit hatte nicht seine Körpertemperatur. Die Arme in alt gewohnter Position.

      Mischa