Utz wider die Alben. Rainer Seuring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Seuring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738092950
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waren aber deutliche Worte. Spricht euer Gott immer so, wie soll ich sagen, ausführlich und klar mit euch?“

      „Nein, Waltruda. Auch für uns war das neu. Aber gegen die Anweisungen Wakan-Tangas gibt es keine Wiederworte. Denen muss sich auch ein Häuptling unterwerfen.

      Sogleich begannen wir, uns mit allem zu versorgen, was benötigt werden würde. Wild gejagt, gehäutet und zu Kleidung verarbeitet, Fleisch und Fisch getrocknet und alles sonst noch so. Schon fürchteten wir, des Guten zu viel getan zu haben und das Fleisch würde uns verderben, da begann es zu schneien. Das Lager wurde abgebrochen und alles so zusammen gepackt, dass es getragen werden konnte.

      Wohl geordnet machten wir uns auf den Weg. Tagelang wanderten wir gegen den Wind und den Schnee. Dick in Kleidung und Decken gehüllt, mit dicht geflochtenen Schneeschuhen an den Füßen, stapften wir, jedem Wetter zum Trotz, gen Norden. Wir hatten uns die Augen verbunden und nur noch kleine Schlitze zum Sehen gelassen. Der Wind biss in die Haut, die Flocken machten uns weinen. Und wehte es einmal nicht, dann war das gleisende grelle Weiß des Schnees so blendend, dass man nichts mehr sehen konnte.

      Keine Klage kam über unsere Lippen. Selbst die wenigen Kinder, die wir noch hatten, kämpften sich verbissen neben ihren Eltern voran. Manch einer war froh, die Alten auf der Flucht vor dem Feuer verloren zu haben. Nicht, weil sie eine Last gewesen wären, sondern weil die Anstrengung sie völlig überfordert hätte.

      Die Gegend war trist und langweilig. Kein Hügel sorgte für Abwechslung, kein Baum, kein Wasser. Nichts. Nur Eis und Schnee.

      Wäre Stummer Fisch nicht stumm gewesen, hätte man sagen können, er würde schweigsam. Immer weniger gab er seiner Tochter ein Zeichen. Immer gebeugter ging er, völlig in sich gekehrt. Auf Fragen des Häuptlings schüttelte er nur unwirsch den Kopf. Dann drängte sich Morgentau zwischen die beiden Männer und schirmte ihren Vater ab.

      Eines Nachts, ich nehme an, es war gerade Nacht, denn es war schon lange nicht mehr so recht hell geworden, sahen wir zum ersten Mal die grünen Lichter am Himmel. Wunderschön anzusehen. Doch als habe Stummer Fisch Schreckliches erblickt, beginnt er aus Leibeskräften zu schreien. Wakan-Tanga hatte ihm die Stimme zurück gegeben.

      Lüge, Betrug, Verrat. Bösartige Täuschung. Hütet euch vor dem schwarzen … , schrie er. Es waren seine letzten Worte. Dann brach er auf der Stelle tot zusammen. Was er mit seinen Worten gemeint hat, sollten wir erst viel später erfahren.“

      „Ich fürchte, ich ahne schon, was er meinte.“, entfährt es mir.

      „Das glaube ich wohl, Waltruda. Nur was sollten wir Unwissenden auch tun? Wir waren in großer Not. Unser Medewiwin, das Sprachrohr zu Wakan-Tanga, war nicht mehr. Ein Nachfolger war nicht bestimmt und angelernt worden. Seine Tochter darf diese Aufgabe nicht übernehmen, auch wenn sie es wohl kann. Es muss ein Mann sein. Sie darf von nun an ihre Stimme nicht mehr im Rat erheben.

      Unsere Vorräte sind schon fast aufgebraucht, ein Zurück gibt es darum nicht für uns. Häuptling Adlerblick versammelt die Ältesten zum Rat um sich. Wir anderen stehen im Kreis drum herum.“

      Ich stehe mit im Kreis und sehe und höre, als sei ich eine von ihnen.

      „Hört mich an, ihr Männer des Rates.“, spricht Adlerblick vernehmlich. „Wir sind in einer sehr schlechten Lage. Unser Medewiwin ist in die ewigen Jagdgründe gerufen worden. Es ist zwingend notwendig, alsbald einen Nachfolger für ihn zu bestimmen. Leider hat er sich bis jetzt keinem Manne anvertraut und ihn in die Geheimnisse seines Tuns eingeweiht. Seine Tochter Morgentau ist mit Abstand diejenige, die in allem unterwiesen ist. Ihr aber sind jegliche Handlungen untersagt. Wenn ich mich in eurem Kreise umsehe kommt nur einer in Frage, den Platz von Stummer Fisch einzunehmen.“

      Langsam blickt er suchend in die Runde, bis sein Blick auf einem hängen bleibt. „Lachsfänger!“, ruft er vernehmlich. „Du hast als kleiner Knabe schon in seinem Wi-Kiwa gesessen und ihm bei vielerlei Verrichtungen geholfen. Du sollst unser neuer Medewiwin sein.“

      Ich höre die Gedanken meines Erzählers in meinem Kopf.

      „Mir ist, als habe mich der Schlag gerührt. Stocksteif stehe ich und kann mich vor Schreck nicht rühren. Dies wird wohl allseits als Einverständnis gewertet. Zustimmendes Gemurmel wird laut. Ich versuche, etwas zu sagen, doch unser Häuptling spricht schon weiter.“

      „Ich höre keinen Widerspruch aus dem Rund des Rates. So soll es also sein. Morgentau, bringe dem neuen Medewiwin die Zeichen seines Amtes.“

      Die Frau schickt sich an, dem Befehl Folge zu leisten und geht zu dem Leichnam ihres Vaters, seinen Stab und den Büffelschädel, den er stets trug, zu holen.

      „Wir alle wissen, dass du, Lachsfänger, erst noch Zeit brauchst, dich in dein Amt einzufinden, darum sage ich: Nimm Morgentau zu deinem zweiten Weib. Sie soll dir helfen, alles zu lernen.“

      Nun ist es an ihr, vor Schreck und Überraschung zu erstarren. Auf der Stelle dreht sie sich um und schaut voll Empörung Adlerblick an.

      „Es ist richtig, dass Morgentau nun einem Mann übergeben werden muss.“, erklären mir Lachsfängers Gedanken. „Es gibt auch genügend Krieger, die ihr Weib während der Flucht verloren haben. Aus diesem Grund darf eigentlich kein anderer Mann eine Zweitfrau haben. Ich erkenne die List, der sich unser Häuptling bedient. Als zweite Frau eines Kriegers hat sie weniger Rechte als die Erste. So hat ihr Adlerblick im Grunde ihren Status genommen, den sie zu Lebzeiten ihres Vaters hatte. Ich sehe in die Augen von Morgentau und erkenne darin Tränen der Wut und Ohnmacht. Lieblicher Sonnenstrahl, mein Weib, schaut im Moment auch nicht mehr sonnig und lieblich. Zu engen Schlitzen haben sich ihre Augen zusammen gezogen. Es drängt sie sicherlich, sich gegen die Entscheidung zu wehren. Allein, sie darf es nicht. Würde sie jetzt Klage erheben, müsste ich sie dafür vor allen hart bestrafen. So schweigt sie, doch ich weiß, es wird lange dauern, bis sie sich wieder beruhigt hat.“

      Aus den Reihen der alleinstehenden Männer erklingt Murren, was Adlerblick zu weiteren Erklärungen zwingt.

      „Natürlich ist diese Entscheidung nicht ganz unseren Gesetzen entsprechend. Ein jeder von euch, die ihr ohne Weib seid, hätte ein Recht auf sie gehabt. Doch wer von euch will das Amt des Medewiwin übernehmen?“

      Sofort verstimmt jeglicher Protest.

      „Morgentau, was zögerst du?“, verlangt Häuptling Adlerblick zu wissen. Die angesprochene eilt, die Zeichen der Amtswürde zu bringen und Lachsfänger verhalten darzureichen. Immer noch kullern Tränen ihre Wangen hinab.

      Lachsfänger als der neue Medewiwin nimmt den Schädel und setzt ihn sich auf den Kopf. Er wackelt ein wenig und er muss sich an das alte Ding erst einmal gewöhnen. Den Stab nimmt er in die Rechte und reckt ihn zum Zeichen seiner Amtsübernahme in die Höhe. Nur verhaltener Jubel erschallt. Der Häuptling hat seine Entscheidung verständlich begründet, doch nicht alle sind von der Richtigkeit überzeugt.

      Auffordern sieht Adlerblick den jungen Mann an. Er soll etwas sagen.

      „Lasst uns eine kurze Zeit rasten und Stummer Fisch die Ehre erweisen, die er verdient hat. Danach werden wir weiter ziehen, so, wie er es vorgegeben hat. Die grünen Lichte werden uns den Weg weisen.“, ruft er laut.

      Dann höre ich wieder seine Gedanken.

      „Mit Blicken fordere ich meine beiden Frauen auf, mir zu folgen und gehe zum Toten. Bekümmert stehe ich neben ihm. Morgentau dreht ihn auf den Rücken und legt ihm seine Hände auf die Brust. Dann kniet sie sich neben ihn. Ich erwarte, dass der Medewiwin nun ein Klagelied anstimmt, bis mir siedend heiß einfällt, dass dies ja nun meine Aufgabe ist. Krampfhaft versuche ich mich daran zu erinnern, wie dies Stummer Fisch tat, als er noch sprechen konnte. Mir wird trotz der Eiseskälte so heiß, dass mir Schweißperlen unter dem Schädel hervortreten. Ich schließe die Augen und sehe in Gedanken, wie es damals war. Langsam wiege ich mich im Rhythmus und beginne zu singen und um die Leiche zu tanzen. Möge Wakan-Tanga ihm großes Glück in den ewigen Jagdgründen schenken.“

      Die