Es verging eine so lange Zeit, dass es auf Erden noch keinen Namen dafür gibt. Die Alben lebten in ihrer Verbannung tagein tagaus und es veränderte sich nichts.
Natürlich legten Sie alles daran, ihrer im Krater versenkten Macht wieder in irgendeiner Form habhaft zu werden. Doch sie konnten sich nur bis auf Sichtweite dem Vulkan nähern. Die gebündelte Kraft aller Alben war derart mächtig, dass es sie ein Leben kostete näher heran zu treten.
Danach versuchten sie herauszufinden, wie weit sie sich von der Insel entfernen könnten. An manchen Stellen erreichten sie aber nicht einmal die Küste ihres Gefängnisses. Fast augenblicklich spürten sie, wie sie von allen körperlichen Kräften verlassen wurden, machten sie nur wenige Schritte über diese unsichtbare Grenze hinaus. Selbst wenn also das Meer gänzlich zufrieren würde, wären sie an die Vulkaninsel gebunden. Entkommen absolut unmöglich.
Erst viel später kamen andere böse Wesen, vornehmlich Menschen, die für eine gewisse Zeit das Los der Alben teilen mussten, weil sie gegen die göttlichen Gesetze unverzeihlich verstoßen hatten. Für Alamon und sein Gefolge waren diese Bestraften nichtswürdige Genossen, die eher zu ihrer Kurzweil dienten. Sie misshandelten sie und vergnügten sich an ihrem Leid. Sie mussten den Alben dienen und für sie sorgen. Diesen, von den Göttern zur Sühne, Verbannten war es zwar möglich, an allen Stellen die Küste zu erreichen, denn nur das Meer hielt sie auf, doch auch sie konnten sich dem Krater nur unwesentlich mehr nähern. Anscheinend war kein Lebewesen befähigt, auf den Berg zu steigen.
Und die Erde versuchte ständig weiter, sich der bösen Macht der Alben zu entledigen. Immer wieder kam es zu gar fürchterlichen Explosionen, die heiße Lava ausspie und grässlichen dreckigen Staub bis weit über die Wolken hinaus schleuderte.
Dann geriet das Bündnis der Götter aus den Fugen. Ihre Schöpfung entwickelte sich derart, dass es ihnen nicht gefiel und sie keinen Spaß mehr an ihren Kreaturen hatten. Sie vernachlässigten zum Teil ihr Werk und erhörten das Flehen ihrer Wesen nicht mehr.
Da erhob sich einer über die Götter, der mächtiger war, als sie alle zusammen. Er sah auf das Werk und war sehr unzufrieden. Dieser mächtige Eine schimpfte die Götter, deren Werk mangelhaft war und jagte sie fort. Daraufhin waren einige der Gerügten so erzürnt, dass sie einen großen Brocken aus dem Firmament rissen und diesen auf die Erde schleuderten, ihr Werk gänzlich zu vernichten, bevor sie flüchteten. Aber die Erde hatte sich schon so sehr verändert, dass das Vorhaben misslang. Der Fels zersplitterte hoch über dem Kontinent und viele Stücke verbrannten bevor sie Schaden anrichten konnten oder fielen in das große Meer. Nur das größte Stück schlug den Boden hart und grub ein tiefes Loch. Der Aufschlag war so heftig das sich die Erdmassen in Bewegung setzten und so entkamen viele Geschöpfe. Trotzdem ward fast alles Leben auf der Erde vernichtet.
Der mächtige Eine sah, wie sich langsam die böse Macht von ihrer Insel über die Erde verteilte. Er sah aber auch, dass die Alben selbst dies noch nicht bemerkt hatten. Und er erkannte, was in Zukunft geschehen werde. Also schickte er sich an, die Menschen neu nach seiner Vorstellung zu erschaffen und er gab ihnen von Anfang an das Wissen um Gut und Böse mit. Und er gab ihnen Gesetze, wie sie sich verhalten sollten. Dann ließ er sie Erfahrungen des Lebens sammeln und regelte nur ab und an. Er baute auf das größere Verständnis der neuen Menschen und hoffte auf den Reifeprozess, der sich nach seinem Willen einstellen sollte.
Natürlich trafen sich alte und neue Menschen und tauschten sich aus, was sie gelernt hatten. Auf diese Weise blieb auch das Wissen um die alten Götter erhalten, die es seit langem bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr gab.
Die Götter, deren Werk gut geheißen wurde und die mit Liebe ihre Geschöpfe versorgten und behüteten, hieß der mächtige Eine, mit ihrer Arbeit fortzufahren. Sie mussten sich aber getreu an die vereinbarten Gesetze der Götter halten, die den Bestand der Welt garantierten. Ihre Änderung hätte unweigerlich das Ende der Erde bedeutet. Zu diesen Göttern gehört bis auf den heutigen Tag auch Gabbro, unser Zwergengott.
Auch das Urteil über die Alben behielt Bestand. Der mächtige Eine nutzte dies dazu, die Geister seiner neuen Menschen zu formen. Jeder, der im Leben fehlte, wurde mehr oder weniger lang zur Buße zu den Alben verdammt. Und so geschieht dies bis auf den heutigen Tag.
Den Elben gab der Eine eine Heimat in den Bergen von Schambala, wo sie in Frieden leben und nur noch in seinem Auftrag in die Welt ziehen, um regulierend in das Geschehen einzugreifen. In ihrer Abgeschiedenheit hoffen sie bis heute, ihre Zahl wieder herstellen zu können. Es will ihnen aber nicht gelingen, wie es scheint.“
„Das ist aber sehr schade.“, finde ich, die ich sehr aufmerksam gelauscht und mir alles gemerkt habe. „Sicher wäre das Leben vor dem Fall der Alben dem heutigen vorzuziehen.“
„Das wissen nur die Götter. Brauchst du nun Zeit, meinen Bericht aufzuschreiben oder fühlst du dich bereit, noch mehr zu erfahren?“
„Ich bin bereit für mehr, werter Gilbret.“
„So höre und sehe und merke wohl.“
* * * * *
„Nun wirst du in eine ganz andere Welt eintauchen, Waltruda. Dies hier ist ein Nordlinger, der vor sehr vielen Jahrhunderten lebte. Zu einer Zeit, da die Alben noch auf ihrer Insel gefangen saßen, aber doch schon andere böse Seelen bei ihnen waren.“
Neben Gilbret Steinschleifer erscheint ein Mann, der gut zwei Köpfe größer ist als der Zwerg, trotz einer leicht gebeugten Haltung. Er ist breitschultrig, hat eine wetterbraune Haut und starke Arme und Beine. Kaum dass ich ihn erblicke, zeigt sich mir auch schon ein Bild, das mir der Mann erklärt.
„Das bin ich, als ich im zweiundzwanzigsten Winter lebte.“
Ich sehe eine große Zahl von Menschen und wie um mir die Person zu verdeutlichen, ist kurz ein helles Licht auf sie gefallen und ich erkenne meinen Erzähler. Die pechschwarzen Haare, die zu einem lockeren Zopf gefasst sind, sind stammesüblich. Im Grunde ist er ein Mann, der in der Menge nicht sonderlich auffällt.
„Mein Name ist für deine Zunge fast unaussprechlich. Er bedeutet: Der den Lachs mit der Hand fängt. Wir erhalten unsere Namen immer erst, wenn wir etwas Besonderes getan haben und der Rat der Alten uns für reif hält, in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen zu werden. Dies habe ich getan und so wurde ich seit dem genannt. Ich bin erst vor kurzer Zeit dazu berufen worden. Um es dir einfacher zu machen, nenne mich Lachsfänger.“
„So werde ich gerne tun, Lachsfänger.“
„In diesem Moment sind wir gerade am Ende unserer Flucht vor dem Feuer.
Einst hatten wir unser Lager an einem breiten Fluss, der voll von leckeren Fischen war. Viele hundert Köpfe zählte damals unser Stamm. Wir waren ein stolzes Volk und folgten den Zeichen, die uns unser Gott Wakan-Tanga sendete. Unser Medewiwin war sehr gut darin, diese Hinweise zu lesen. Allerdings benötigte er die Hilfe seiner Tochter Morgentau, uns diese mitzuteilen. Er verlor vor Jahren durch einen Sturz in den Bergen seine Sprache. Darum wurde sein Name geändert in Stummer Fisch.“
Begleitend zu Lachsfängers Erzählung sehe ich die dazu gehörenden unbewegten Bilder.
Auf einer großen Lichtung liegt die Siedlung dieser Menschen nahe an einem sehr breiten, langsam fließenden Gewässer. Sie leben in merkwürdigen Hütten. Eine Anzahl von langen Stangen sind in einem Kreis aufgestellt und oben, wo alle Hölzer zusammen kommen, miteinander verbunden. Darüber sind große Lederplanen geworfen, die vor Wind und Regen schützen. Oben ist eine Klappe gebildet, die bei manchen Behausungen offen ist, um den Rauch des Feuers heraus zu lassen.
Zwischen diesen Hütten, die sie Wi-Kiwa nennen, wie ich ohne weitere Erklärung plötzlich weiß, herrscht reges Treiben. Kinder laufen spielen herum, Frauen gehen ihren Arbeiten nach und alte Männer sitzen Pfeife rauchend um ein Lagerfeuer. Gerade kommt eine Gruppe von Männern zurück. Sie tragen ein großes Tier, das einem heutigen Pferd nicht unähnlich ist, als Jagdtrophäe an Stangen gebunden, zwischen sich ins Lager.