Auch wenn diese Unterhaltung tonlos war, empfinde ich doch die Häme, die darin steckt. Ich drehe mich um. Meine Leute sind ein Haufen kleiner Wesen. Irgendwo weit abseits sehe ich den schwarzen Fleck im weißen Schnee, der wahrscheinlich Alamon heißt.
Ich zucke mit den Schultern und erkenne unsere Ohnmacht. Unser Schicksal ist besiegelt.
Der Abstieg ist zunächst leichter als erwartet. Hier kann man eigentlich nicht abstürzen. Sagt, Alamon, was ist mit Adlerblick geschehen, will ich wissen. Und dabei will ich auch erkennen, ob irgendwann seine Gedanken mich nicht mehr erreichen.
Du hast recht, er ist nicht abgestürzt. Er hat sich das Leben genommen, der Spaßverderber, bekomme ich zur Antwort.
Warum?
Das wirst du noch früh genug selbst erkennen. Klettere weiter.
Allmählich wird der Abstieg schwieriger, denn ich finde immer weniger Möglichkeiten, mich festzuhalten. Kräftemäßig aber wird es immer leichter, so als würden meine Muskeln erstarken, obwohl mein Körper mehr und mehr schmerzt. Schon vor geraumer Zeit habe ich meine Fäustlinge ausgezogen, um besser greifen zu können. Der Fels wird wärmer. Je tiefer ich komme, desto größer sind die Schmerzen in jeder Faser meines Körpers. Beim nächsten Griff bemerke ich, dass meine Haut dunkler wird und ich sehe meine Hand, die Finger, alles wird breiter, muskulöser, stärker. Zudem sprießen Haare, wo früher glatte Haut war. Die Nägel werden krallenartig lang und hart, behindern aber nicht das Greifen, sodass ich weiter, nein, sogar leichter mich am Fels halten kann.
Was ist das? Was passiert mit mir, Alamon?
Du wirst respektlos, Lachsfänger. Wo bleibt der mir gebührende Titel? Wie wär es mit Albenfürst? Du wirst es noch lernen.
Um deine Frage zu beantworten: Du badest soeben in unser aller Macht.
Eure Macht? Erzählt mir mehr, Fürst der Alben, frage ich nach.
Na also, geht doch.
Alamon scheint amüsiert zu sein.
Dir alles zu erzählen dauert zu lange. Es soll dir genügen zu wissen, dass wir Alben an diesen Berg gefesselt sind, denn unsere Lebenskraft und die Kraft unserer Magie, alles das wurde im Boden tief versenkt. Daraufhin hat sich der Vulkan gebildet, weil die Erde sich gegen diesen Eingriff wehrt. Mit jedem Ausbruch werden kleine Teilchen davon heraus geschleudert. Ich will wissen, ob es jetzt einen Zugang in den Fels gibt. Ob sich irgendeine Höhle oder dergleichen finden lässt.
Ich spüre, dass du schon sehr bald außerhalb meines Bereiches bist, in dem ich dich erreichen kann. Sieh dich gründlich um, ob du etwas Besonderes entdeckst, gleich, wie es aussieht. Versuch dein Glück. Es soll dein Schaden nicht sein. Ich warte auf dich und wenn du Erfolg hast, mache ich einen ganz Großen aus dir.
Ich fühle den Druck in meinem Kopf schwinden. Darf ich deswegen nun glauben, ich sei für mich allein? So ganz allein? Zunächst kümmere ich mich erst einmal um meinen Abstieg auf den Grund des Vulkans. Inwendig geht es deutlich tiefer hinab, als von außen hinauf.
Als ich unten angekommen bin, sehe ich, dass sich mein ganzer Körper verändert hat. Es erschreckt mich zu tiefst. Soweit unbedeckt sehe ich auf der Haut fellähnliche Behaarung. Nicht sehr lang, aber dicht und wärmend. Die Hände erinnern mich entfernt an tierische Krallen an dicken Pranken. Doch die Finger sind weiterhin ausgebildet und ich spüre eine enorme Kraft, als ich einen Stein neben mir aufhebe. In geringer Entfernung sehe ich in der beginnenden Dämmerung ein dunkles Bündel liegen. Es ist nicht mehr hell genug, als ich es erreiche und ich muss die Untersuchung auf morgen verschieben.
Ich kauere mich auf den Boden wie ein kleines Kind und schlafe traumlos.
* * * * *
Beim ersten Morgenlicht erwache ich. Was ich für ein Bündel hielt, ist tatsächlich ein menschliches Wesen, das an einem dicken Felsbrocken liegt, als habe es sich darum gekauert und wolle es nicht mehr loslassen. Ich löse die Umklammerung und drehe es auf den Rücken. Voll Entsetzen stelle ich fest, dass das Bündel Häuptling Adlerblick ist. Oder sollte ich sagen, er war es? Ich erkenne ihn nur an den Gewandfetzen, die noch an ihm hängen. Er hat sich sehr verändert, um es gelinde auszudrücken.
Haare an jeglicher Körperstelle. Das Haupthaar schwarz und zottelig. Muskulös, Krallenpranken statt Händen. Widerwillig muss ich Übereinstimmungen mit meinen Händen und Armen zugeben.
So also sehe wohl auch ich aus. Die Ohren sind klein und erinnern an einen Kojoten. Die Knochen über den Augen haben sich stark nach vorn geschoben und überschatten nun enorm die Augen. Das Nasenbein wirkt dadurch als läge es tiefer. Es mündet in einer Nase, der man anscheinend die Spitze abgeschnitten hat. Weit offen liegen die Nasenlöcher. Die Augen hat er im Tod weit aufgerissen und ich blicke in starre schwarze Augen. So schwarz, dass man nicht einmal einen Unterschied zur Pupille feststellen kann. Die Lippen liegen wulstig über den nach vorne erweiterten Kiefern. Adlerblicks Kiefer ist mehrfach gebrochen und geben den Blick auf mehr als die üblichen Zähne frei. Es wirkt wie ein Raubtiergebiss und hat tatsächlich stark ausgebildete Reißzähne. In seinem Körper gibt es wohl kaum noch einen heilen Knochen. Arme und Beine liegen völlig verdreht neben dem geschundenen Leib. Insgesamt ist der Tote gegenüber seinen Lebzeiten einiges kleiner, dafür aber deutlich breiter geworden. Ein Wunder, dass der Schädel bei seinem Sturz nicht völlig zu Matsch wurde. Das Blut seiner offenen Wunden ist rot und getrocknet. Wenigstens die Farbe des Lebenssaftes ist noch geblieben. Sonst hat dieses tote Wesen vor mir kaum noch etwas mit dem alten Häuptling gemein.
Ich sehe auf meine Hände und Tränen schießen mir in die Augen. Verfluchte Alben! Welch unglückliches Schicksal hat uns in eure Hände gegeben? Was kann ich tun, um mein Volk zu retten? Vielleicht sehen wir in naher oder ferner Zukunft alle so aus, wenn wir fortwährend dieser Macht ausgesetzt sind; so nah am Berg.
Zunächst will ich mich umsehen, wie mir Alamon aufgetragen hat. Es könnte ja sein, dass mir dabei etwas einfällt. Doch, wohin ich auch blicke, nur Geröll des letzten Ausbruchs in verschiedenster Größe. Gigantische Brocken bis zum kleinsten zerriebenen Sandbröckchen. Da ist nichts Besonderes, nichts Auffälliges lässt sich entdecken. Bis auf …
In der gegenüber liegenden Seite erkenne ich durch den momentanen Lichteinfall eine Spalte im Fels. Jetzt, wo ich die eine Öffnung entdeckt habe, sehe ich immer mehr dieser Risse. Eine liegt nicht besonders hoch und ich erklimme recht leicht die Wand. Neugierig stecke ich meinen Kopf in das Loch und augenblicklich nimmt ein durchdringender Gestank mir den Atem. So etwas habe ich noch nie gerochen. Am nächsten kommt der Vergleich mit etwas fauligem. Nur mit einer Hand haltend baumele ich im Fels und ringe nach Atem. Widerwillig blicke ich zum Loch, hole tief Luft und sehe erneut hinein. Ein vergebliches Unterfangen, denn in dieser schwarzen Bodenlosigkeit ist überhaupt nichts auszumachen. Die anderen naheliegenden Spalten lasse ich aus. Ich erwarte dort kein anderes Ergebnis. Von einer entfernteren größeren Öffnung im Fels verspreche ich mir mehr. Die Öffnung ist so breit, wie ich groß bin und liegt nur ein bisschen höher in der Kraterwand. Dadurch fällt ein wenig mehr Licht hinein, doch auch hier ist nur der faulige Geruch und gähnende Schwärze zu finden.
Ich gebe auf. Nichts außer Steinen ist hier zu finden und die erscheinen mir wenig interessant. Ich kehre zu Adlerblick zurück, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Er hat nicht verdient, derart offen liegen zu bleiben. Auch wenn in diesen Krater kein anderes Lebewesen kommt gehört es sich, ihn zu bestatten. Ich lege seinen Leichnam leidlich gerade und bedecke ihn mit den Steinen, die um ihn herum liegen. Einen besonders großen will ich als Abschluss oben auflegen. Er ist sehr schwer und Wakan-Tanga will es, dass er mir aus den Händen gleitet und heftig auf dem Boden aufschlägt. Er zerbricht und legt ein, in vielen Farben schillerndes, glänzendes Inneres frei.
Das muss es wohl sein, wonach ich für Alamon suchen soll.