Mit einem Wink beendet er seine Ansprache und wendet sich dem neben ihm liegenden alten Medewiwin zu. Ernst und nahezu vorwurfsvoll sieht er ihn an.
„Wie konnte das geschehen, Stummer Fisch? Gab es keine Anzeichen oder Warnungen? Oder bist du nun nicht mehr nur stumm sondern auch blind? Wakan-Tanga, unser Gott, hat uns doch nicht verlassen, oder?“
Ärger, Enttäuschung und viel Hilflosigkeit schwingen in seinen Worten mit. Fast tut ihm der alte Mann leid, der kaum in der Lage scheint, sich jemals wieder zu erheben. Doch offensichtlich kann man sich in diesem Volk sehr täuschen.
Mit Empörung im Blick ist der Alte, mit Hilfe seines dicken Holzstabes, wieder auf den Beinen. Der Stab ist Zeichen seiner Würde. Oben ist eine Steinspitze befestigt, darunter ein Sammelsurium aus kleinen Fellen, Federn und anderen Dingen. Wild gestikuliert Stummer Fisch, wobei er sich vor die Stirn schlägt, die Hand vor die Augen legt, zum Himmel zeigt und so weiter. Es geschieht so schnell, dass ich nicht in der Lage bin zu begreifen, was das nun soll.
Die Erklärung kommt von seiner zarten Tochter Morgentau, die die Flucht vor dem Feuer anscheinend ohne Schwierigkeiten bewältigen konnte. Das Mädchen muss enorme Kraft und Stärke haben.
„Mein Vater sagt, Ihr, Häuptling Adlerblick, seid wohl von Sinnen. Die Flucht muss euch die Sinne vernebelt haben, solche Rede mit mir zu führen. Er sieht noch sehr gut, was Wakan-Tanga ihn sehen lässt. Doch wo kein Feuer ist, ist auch kein Rauch zu sehen. Also waren da auch keine Anzeichen oder Warnungen unseres Gottes. Das alles ist aber noch lange kein Grund, an ihm zu zweifeln. Wenn ein Gott es für angebracht hält, wird er seinem Volk schon Zeichen geben. So lange wird ein erwachsener Krieger sich doch wohl selbst beschützen können. Oder hat unser Häuptling das in den letzten Tagen verlernt? War er nicht der Meinung, das Feuer wäre keine Gefahr für uns? Wer ist denn nun der Blinde von uns beiden?“
Sie spricht geradeso zornig, als habe der Häuptling sie selbst heftig angegriffen. Ihr Blick spuckt Gift und Galle.
In des Häuptlings Augen blitzt es verdächtig, als er zwischen Vater und Tochter hin und her blickt. Seine rechte Faust ballt sich vor Zorn. Die Umstehenden, die die Auseinandersetzung mitbekommen, weichen unwillkürlich einige Schritte zurück. Sie spüren die Spannung, die sich zwischen den Kontrahenten aufbaut. Beide sind gleichrangig im Stamm und damit ist der Medewiwin der Einzige, der überhaupt ein Widerwort gegenüber dem Häuptling erheben darf. Das schmeckt Adlerblick überhaupt nicht, doch er muss den Vorwurf des alten schlucken, denn leider hat er recht und das zu verleugnen, würde sein Ansehen schädigen. Nichts ist diesem Volk so wichtig, wie die Wahrhaftigkeit.
Er schluckt tatsächlich und seine Faust öffnet sich wieder. Gequält ruhig spricht er:
„Wenn also dein Blick ungetrübt ist für die Zeichen unseres Gottes, so sage mir, was er uns mitzuteilen hat.“
Erneutes wildes Gestikulieren ist die Antwort und schon bevor Morgentau zu antworten beginnt, dreht er sich um und verlässt die lagernden Menschen.
„Ich werde sehen, was mich Wakan-Tanga sehen lässt. Kümmere dich um den Stamm, ich kümmere mich um Gott.“, übersetzt sie schnell und eilt ihrem Vater hinterher.
„Es wird Zeit, dass der Alte sein Wissen an einen Jüngeren weiter gibt und dieses böse junge Weib endlich wieder sein Maul halten muss.“ brummelt der Häuptling und wendet sich den Sammlungen zu. Er kann die junge Frau nicht leiden, wohl auch, weil sie durch ihren Vater ein großes Ansehen im Stamm geniest.
Stummer Fisch hat sich einen Platz erwählt, auf dem er mit Steinen einen Kreis auslegt und in dessen Mitte er aus ausgesuchten umliegenden Hölzern einen Haufen errichtet.
Morgentau hat schon die Feuersteine geholt und einige kleine Lederbeutel, von denen der Medewiwin sich einen erwählt. Dann entzündet er das Feuer, setzt sich mit verschränkten Beinen an den Rand des Steinkreises und wirft ab und zu eine Prise des Pulvers in die Flammen. Dabei achtet er darauf, den Rauch inhalieren zu können. Er beginnt leise eine merkwürdige Melodie zu singen, die mich fast an ein Jammern erinnert.
* * * * *
Ich löse mich aus dem Geschehen und kehre wieder zurück zu Lachsfänger.
„So wird er nun einige Tage sitzen. Wenn das Singen verstummt und er kein weiteres Pulver ins Feuer einstreut, spricht er mit unserem Gott. Es ist dann, als würde er schlafen, doch er fällt dabei nicht um.“, erklärt er mir.
„Und Trinken? Und Essen?“, frage ich entgeistert.
„Nichts. Jegliche Regung stört ihn jetzt nur. Seine Tochter wird sich ihm nicht nähern und auch niemand anderes aus dem Stamm. Es muss schwer sein, mit Gott zu reden. Ich mein so richtig reden, dass man auch eine Antwort erhält, wenn du verstehst.“
Oh ja, ich verstehe ihn. Wie oft habe ich schon zu Gott Gabbro gebetet und keine Antwort erhalten.
„Er wird Tage so sitzen, sagt ihr. Das ist aber doch gefährlich, nicht wahr?“, will ich wissen.
„Natürlich, doch so ist seine Aufgabe. Er wurde von seinem Lehrer und Vorgänger dazu erwählt, nachdem er gewisse Geschicklichkeiten bewiesen hatte. Unser alter Medewiwin ist bei solch einer Unterhaltung mit Gott gestorben. Er ist einfach nicht umgefallen. Stummer Fisch wollte nach ihm sehen, weil es denn doch schon sehr lange dauerte. Er fand ihn auf seinem Gebetshügel, da kamen schon Maden aus seiner Haut.“
Mich schaudert. Ein merkwürdiges Volk.
„Die nächsten Tage kann ich abkürzen. Der Stamm wartet auf die Anweisungen Wakan-Tangas. Derweil haben die Jäger nicht nur reiche Beute gebracht, sie haben auch heraus gefunden, dass wir weit und breit die Einzigen sind, die hier wohnen. Völlig ungefährdet erholen sich alle wieder. Und auch wenn die Trauer über die Verstorbenen immer noch groß ist, so geht doch das Leben wieder seinen gewohnten Gang. Häuptling Adlerblick hat zunächst keine Veranlassung, das Lager abbrechen zu lassen.
Es kommt der Tag, da Stummer Fisch sich wieder bewegt.“
Augenblicklich bin ich wieder zwischen den Menschen und höre gerade ein sonderbares Gurgeln. Es kommt aus der Richtung, in der der Medewiwin sitzt. Sofort ist Morgentau neben ihm und reicht ihm zu trinken. Mit großen Schlucken leert er die Schale. Dann erhebt er sich ohne jegliche Hilfe und Stütze, als habe er nicht tagelang in dieser seltsamen Haltung gekauert, und schreitet auf den Stamm zu. Eiligst haben sich alle neugierig vor ihm eingefunden. Adlerblick muss sich erst einmal einen Weg nach vorne bahnen.
Erhaben wartet der Alte, die Aufmerksamkeit genießend. Dann beginnt er in seiner Zeichensprache und seine Tochter erklärt mit lauter Stimme:
„Nach dem Willen unseres Gottes sollen wir hier lagern bis der Winter anbricht. Wir sollen so viel Jagen und Vorräte anlegen, wie wir nur können und später zu tragen vermögen. Sammelt Holz und Früchte in großer Menge. Es wird sehr kalt werden. Fertigt dichte warme Kleidung. Wenn der erste Schnee fällt, brecht nach Norden auf. Die Wi-Kiwa lasst zurück. Die Felle darum nehmt zum Schutz vor Kälte mit. Ihr werdet sehr lange und nur mit wenig Sonne wandern. Grüne Lichter werden euch den Weg weisen. Wandert, denn ihr werdet erwartet.“
An manchen Stellen stockt die Tochter mit ihrer Übersetzung und erhält jedes Mal einen auffordernden Rempler von ihrem Vater.
Nachdem alles gesagt ist, wendet sich Stummer Fisch um und lässt sich zum Wi-Kiwa führen, das schon lange fertig ist. Sonderbare Abbildungen sind darauf zu sehen. Wo andere mit Jagd- und Kampfesbildern, vermutlich die ruhmreichen Taten ihrer Bewohner, verziert sind, sehe ich dort nur unklare Symbole. Lediglich Sonne und Mond kann ich erkennen.
* * * * *
Lachsfänger hat mich wieder zu sich geholt und erzählt.
„Zwei Tage lang hat man den Medewiwin anschließend nicht mehr gesehen. Erst danach war er soweit bei Kräften,