Katerdämmerung. Petra Zeichner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Zeichner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016758
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und als sie anhielten, öffnete der Mann die Türen. Streuner verschwand. Später würde er hierher zurückkommen und seine Spur aufnehmen. Doch zuerst müsste er größer und stärker werden.

      Warum er Robin nichts von seiner Absicht erzählt hatte? Streuner legte die Ohren an. Robin war ein Freund der Tierheimmitarbeiter, er ließ sich streicheln und kraulen und er, Streuner, konnte Menschen nicht leiden und diese schon gar nicht. Warum hatten sie nicht verhindert, dass Floras Geburt schief ging?

      „Du warst eifersüchtig“, konstatierte Robin.

      Der Schwarz-Weiße knurrte, sagte aber nichts mehr.

      „Wo wohnst du?“, fragte Robin.

      „Nirgendwo.“ Streuner hob stolz seinen Kopf.

      „Bist du jetzt eine Wildkatze?“, fragte Leo.

      „Nein“, antwortete Robin an Streuners statt. „Wildkatzen sind größer. Und wilder.“ Diesen Seitenhieb auf Streuners mangelnde und vor allen Dingen ihm unterlegene Kampfkunst konnte er sich nicht verkneifen. Auch wenn er bisher noch nie einen seiner wilden Artgenossen gesehen hatte.

      Streuner fauchte, legte die Ohren an und richtete sich auf seinen Hinterbeinen auf. Die Krallen an seinen gespreizten Vorderpfoten hatte er weit ausgefahren, bereit, zuzuschlagen.

      „Noch wilder?“, fragte Leo ehrfürchtig.

      Streuner setzte sich wieder hin. „Kein Mensch nennt mich seine Katze“, sagte er hoheitsvoll, wobei er das Wort seine besonders betonte. „Ich bin nirgends zu Hause.“

      „Dann bist du schon viel rumgekommen?“, fragte Leo. „Und hast schon viel gesehen? Erzähl´ mal. Hast du eine Freundin?“

      „Ich habe schon genug geredet“, antwortete Streuner. Er stand auf. Auch Robin erhob sich. Es war klar: Nichts war mehr so wie früher zwischen ihnen. Die Monate in der Freiheit hatten seinen einstigen Gefährten verändert. Rau war er geworden, unzugänglich und feindselig. Steif standen sich die beiden Kater gegenüber und starrten sich an. Schließlich blickte Streuner zur Seite und machte einen Schritt nach hinten. Robin verstand und tat es ihm gleich. Waffenstillstand. Streuner drehte sich um, lief drei Schritte, blieb dann stehen und drehte seinen Kopf.

      „Die Unterhaltung mit euch war – interessant.“ Dann verschwand er hinter dem Stall. Leo machte ein paar linkische Sprünge hinter ihm her und lugte um die Ecke. Mittlerweile war es stockdunkel geworden und selbst Leos Kateraugen konnten das Dunkel nicht weiter als ein paar Meter durchdringen. Da war kein Streuner mehr zu sehen.

      Nachdem Leo nun die Vorgeschichte kannte, erzählte ihm Robin, worum es ihm tatsächlich ging: Um die Aufklärung des Falles Flora. Dass er sich eine Ermittlergruppe zusammenstellen würde und dass er, Leo, das erste Mitglied – außer ihm selbst natürlich – war. Besser wäre es, wenn sie auch Streuner dafür gewinnen würden, aber notfalls würden sie es auch ohne ihn schaffen.

      Leo schwieg. Robin beschnüffelte Leo freundschaftlich am Kopf. Leo drehte seinen Kopf zur Seite.

      „Warum hast du mich vorhin angefaucht?“, miaute er weinerlich.

      Robin brummte ärgerlich. Musste er sich hier vor dem Kleinen rechtfertigen? Dann fiel ihm ein, dass er selbst Leos Unbekümmertheit geschätzt hatte. Er gab sich einen Ruck.

      „Okay, okay. Tut mir leid, ja?“

      „Ja, aber warum? Ich verstehe das nicht.“

      Robins Nasenflügel bebten, so tief holte er Luft.

      „Weil, na ja, weil du so freundlich zu meinem Feind warst und ich dachte, du wärst mein Freund.“

      Leo sprang auf und stupste Robin mit dem Kopf in die Flanke. „Aber ich bin doch dein Freund“, rief er glücklich. „Warum kann ich nicht mehrere Freunde haben?“

      Darauf wusste Robin keine Antwort.

      Es war mitten in der Nacht, als sie Robins Wohnhaus mit den zwei Erkern erreichten. Alle Fenster waren dunkel. Robin hatte viel schneller hier sein wollen, aber Leo bockte an der Bundesstraße. Obwohl es schon später Abend war und nur dann und wann mal ein Auto vorbeifuhr, weigerte sich der kleine Kater, die Straße zu überqueren.

      Erst, nachdem Robin sich demonstrativ auf die Mitte der Fahrbahn gesetzt hatte – was er noch nie in seinem Katerleben getan hatte und was er noch heute Mittag vehement verneint hätte, es jemals zu tun – erst dann traute sich Leo. Schnell lief er zu dem großen Kater bis in die Straßenmitte und gemeinsam erreichten sie sicher die andere Seite.

      „Wie soll ich da hoch kommen?“, fragte Leo. Er stand am Fuß des Kastanienbaumes, Robin hing einen Katersprung hoch am Stamm und blickte nach unten.

      „Na so wie ich natürlich. Mach´ es mir einfach nach.“ Robin kletterte weiter und hatte bereits den ersten Ast erreicht. Als er wieder nach unten blickte, hing Leo kopfüber am Stamm.

      „Was machst du denn da?“, miaute Robin nach unten. „Du musst vorwärts klettern, nicht rückwärts.“

      „Ich weiß, aber ich schaffe es nicht. Deshalb bin ich wieder umgekehrt.“

      Robin klettert ebenfalls kopfüber den Stamm hinunter, bis er neben Leo hing.

      „Hier, guck mal.“ Dann änderte er wieder die Richtung, umarmte den Stamm, stieß sich mit den Hinterbeinen ab und erreichte so wieder den ersten Ast. „Nur bis hier hin“, ermutigte er den kleinen Kater. „Wenn du es bis hier hin schaffst, dann ist der Rest ganz leicht.“

      Leo drehte sich wieder um und versuchte, mit seinen wesentlich kürzeren Vorderbeinen den Stamm zu umgreifen. Es klappte. Seine Nase war dunkelrosa vor Aufregung.

      „Ich kann es!“, rief er nach oben. Seine Hinterbeine rutschten zwar ab und zu ab, aber er erreichte den ersten Ast.

      „Bravo“, lobte ihn Robin. „Wir müssen leise sein, damit ich dir auch das zeigen kann, was die Menschen nicht wissen dürfen.“

      Zusammen erreichten sie den vierten Stock und sprangen auf den Balkon. Die Balkontür war ein Spalt offen. Johanna und Stefan schlossen sie nachts nicht, wenn es draußen warm genug war. Dann konnte Robin ungehindert rein- und rausspazieren. Auch ein Licht ließen sie extra für ihn im Flur brennen. Ein Schimmer fiel auf den Balkon. Die beiden Kater liefen durch das Wohnzimmer bis in den Flur. Dort blieb Robin vor der Wand neben der Wohnungstür stehen. Anders als alle anderen Wände in der Wohnung war diese hier nicht mit Tapete verkleidet, sondern mit verzierten Holztafeln.

      „Hier ist es“, miaute Robin leise.

      „Hier?“, fragte Leo erstaunt und starrte auf die Wand.

      „Na ja, um genau zu sein, dahinter“, flüsterte Robin. Dann machte er aus dem Stand einen Luftsprung und landete auf einem Regalbrett, das an der Wand befestigt war. Er klopfte mit der rechten Vorderpfote auf eine der hölzernen Verzierungen auf der Wand. Die Holztafel über dem kleinen Brett glitt zur Seite. Leo machte einen Satz rückwärts. Dabei trat er sich auf den Schwanz und fiepte.

      „Pssst!“, zischte Robin. „Das ist doch nur eine Tür.“

      „Das weiß ich, aber was ist da drin?“

      Vom Boden aus sah er gar nichts und für zwei Kater war das Regal zu eng.

      „Das ist ein Aufzug“, sagte Robin und verstummte dann, als ob das alles erklärte.

      „Der ist aber klein“, sagte Leo.

      „Unser Haus war früher ein Hotel. Ich habe einmal ein Gespräch zwischen Johanna und dem alten Mankowski gehört. Die Menschen hier haben Essen in den Aufzug gestellt und es hoch und runter gefahren.“

      „Und warum haben sie Essen reingestellt?“, hakte Leo nach.

      „Damit die Angestellten es nicht tragen mussten, von einer Etage in die nächste. Habe ich doch schon gesagt“, knurrte Robin. Dann miaute er mit gesenkter Stimme weiter: „Was besonders gut ist, ist der Ausgang des Aufzugs im Garten. Dort haben die Gäste bei schönem Wetter draußen