Katerdämmerung. Petra Zeichner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Zeichner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016758
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brach ab. Er wollte den Roten nicht noch mehr verschrecken, indem er ihm nach dem Angriff auf ihn von Floras totem Kätzchen und den Fehlgeburten erzählte. Das musste warten. Etwas anderes aber duldete keinen Aufschub. Wenn es die Jungen freute, dass es irgendwer einer Katze „gegeben hatte“, dann sollten sie beobachtet werden.

      „Wir müssen in der Tonne nachschauen, was sie reingeworfen haben.“

      „Wie willst du das machen?“, fragte Leo unsicher.

      „Ganz einfach. So wie vorhin.“

      Und wieder sprang Robin auf das Häuschen. Er nahm Anlauf und landete auf der Tonne. Die rappelte kurz hin und her, blieb aber stehen. Noch einmal versuchte er es, wieder ohne Erfolg.

      „Du musst mir helfen“, rief er zu Leo hinunter, der ihn vom Boden aus beobachtete.

      „Ich?“, piepste der erschrocken.

      „Stell´ dich nicht so an. Zu zweit schaffen wir das schon.“

      Und wieder war Robin erstaunt über den neuen Gefährten. Denn mit einer Eleganz, die er ihm nicht zugetraut hätte, landete er sicher neben ihm auf dem Dach.

      „Eins, zwei, drei“, kommandierte Robin und beide Kater sprangen auf die Tonne. Die kippte nach links, dann nach rechts und fiel schließlich mit lautem Getöse um.

      Nichts fiel heraus. Der Deckel hatte sich an einem auf dem Boden liegenden Ast verkeilt.

      „Komm, komm“, rief Robin wieder und biss in den Ast. Gemeinsam zerrten sie das Stück Holz weg. Robin bearbeitete den Deckel mit den Pfoten. Er öffnete sich einen Spalt. Ein Mann bog um die Ecke.

      „Weg mit euch“, rief er laut und wedelte mit den Händen.

      Erschrocken flüchteten die Kater bis zu einer großen Tanne am anderen Ende der Wiese. Unter den Zweigen, die bis auf den Boden herabhingen, verbargen sie sich. Zwar sahen sie nicht, was der Mann tat, aber sie hörten seine Stimme.

      „Was für eine Bescherung! Der ganze Müll. Wird Zeit, dass die Wohnungsbaugesellschaft die Tür endlich reparieren lässt. Ständig stehen die Mülltonnen draußen und jetzt auch noch umgeworfen. Lockt nur Ratten und anderes Getier an.“ Ein Scharren, dann ein Quietschen. Kurze Zeit später fiel eine Haustür ins Schloss.

      Robin war der erste, der seinen Kopf unter den Tannenzweigen hervorschob. Alles blieb still. Dann kroch er unter dem dunklen Tann hervor. Der Rote folgte ihm, blieb aber dicht hinter seinem Retter stehen. Der Mann hatte die Tonne zurück in das Häuschen gestellt und die Tür zugedrückt. Robin gab jeden Gedanken an eine weitere Untersuchung des Mülls auf. Auf der Tagesordnung stand jetzt ein Team zu bilden. Dafür brauchte er Artgenossen. Einen hatte er, obwohl der noch nichts davon wusste. Ein Team brauchte, um regelmäßig an einem Fall arbeiten zu können, einen sicheren Treffpunkt. Den hatte er auch.

      „Komm mit mir“, forderte er den Kleinen auf. „Ich will dir etwas zeigen.“

      Seite an Seite liefen sie über die Johann-Sebastian-Bach-Straße und rannten in großen Sätzen in der dunklen Nacht quer über das platt gewalzte Erdfeld in Richtung Reitstall. Robin gestand es sich nur ungern ein, aber er freute sich, nicht mehr alleine zu sein. Er stellte seinen Schwanz schräg und legte an Geschwindigkeit zu. Leo hielt mit.

      Sie fegten um die Ecke des Stalls. Robin bremste. Leo prallte auf ihn. Der Schwung seines Laufs ließ ihn einen Purzelbaum schlagen.

      „Tut mir leid“, piepste er, als er wieder auf seinen vier Pfoten stand.

      Robin sagte nichts und starrte in Richtung seines Mauselochs. Dort saß der Schwarz-Weiße. Er wendete den Kopf, als er Leos Piepsen hörte. Dabei leckte er sich das Maul. Robin knurrte. Offenbar hatte der sich gerade eine Maus schmecken lassen. Kein Zeichen, dass der Zerzauste seinen einstigen Freund mittlerweile wiedererkannte. Würde es wieder zum Kampf kommen? Der nächste würde ernster sein als ihr erster. Vergangene Freundschaft hin oder her. Robin spannte seine Muskeln an und starrte den Schwarz-Weißen mit feindseligem Blick an. Diesmal würde er sich nicht überrumpeln lassen. Er legte seine ganze Kraft in die Hinterbeine, als er aus den Augenwinkeln etwas Rötliches an sich vorbeifliegen sah. Wie von einem Katapult geschossen war Leo an ihm vorbeigesprungen und landete nun ein paar Zentimeter vor dem Eindringling.

      Überrascht von plötzlich zwei Gegnern wich der Schwarz-Weiße zwei Schritte zurück. Robin hatte sich aufgerichtet und beobachtete die Szene. Leo sah alles andere als angriffslustig aus. Linkisch tapste er auf den fremden Kater zu.

      „Hallo“, sagte er unbekümmert. „Ich heiße Leo. Wie heißt denn du?“

      Patsch! Leo zuckte zurück und entging der Tatze mit den ausgefahrenen Krallen um Haaresbreite.

      „Ich habe dir doch gar nichts getan“, jammerte er. „Ich will mich nur mit dir unterhalten.“

      „Bist du so blöd oder tust du nur so?“, fauchte der Schwarz-Weiße und umkreiste Leo in geduckter Stellung. Das borstige Rückenhaar war steil aufgestellt. „Wir sind hier nicht bei den Menschen, sondern draußen, unter uns. Da wird sich nicht unterhalten. Da wird gekämpft und gesiegt. Oder gestorben!“

      Erschrocken machte Leo einen Satz nach hinten. Doch da war Robin an seiner Seite.

      „Lass´ ihn in Ruhe! Wann besinnst du dich endlich? Ich bin´s!“

      „Ihr kennt euch? Woher? Erzählt doch. Das ist ja spannend.“ Offenbar hatte Leo den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt.

      Der Schwarz-Weiße hatte während Robins Worten einen Sicherheitsabstand von mehreren Katzenlängen zwischen sich und die beiden Kater gebracht. Er peitschte mit dem Schwanz von einer Seite zur anderen. Robin spürte seine Unsicherheit.

      „Aber wir müssen uns doch nicht weh tun“, meldete sich Leo zu Wort. „Wo ihr euch auch noch kennt.“

      Der Schwarz-Weiße ließ ein zischendes Lachen hören. Robin rümpfte die Nase, seine Schnurrhaare richteten sich aufwärts. Offenbar kannte Leo die einfachsten Gesetze des Revierkampfes nicht.

      Leo senkte den Kopf. „Also tut mir leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe. Ich wollte euch nicht verärgern. Ich freue mich einfach nur, das ist alles. Guck mal“, sagte er an den Schwarz-Weißen gewandt „Ich kenne hier noch gar keinen in eurem Revier …“

      Robin legte die Ohren an und fauchte.

      „Oh, entschuldige, ich meine natürlich, in deinem Revier. Und dann treffe ich auf einmal innerhalb von ein paar Stunden gleich zwei Kater und das finde ich wirklich schön. Und da wollte ich doch einfach nur wissen, wie ich dich ansprechen kann, denn wie Robin heißt, weiß ich ja und …“

      „Streuner.“

      Robin und Leo schauten den anderen an. Ein paar Sekunden lang war es still zwischen den dreien. Dann sagte der Rote:

      „Du heißt Streuner? Ach, das ist aber ein schöner Name.“

      Stille.

      „Ein – interessanter Name“, meldete sich Robin schließlich. Dass der Schwarz-Weiße, also gut, dass Streuner seinen Namen genannt hatte, war ein gewisses Entgegenkommen. Schimmerte da etwas von dem früheren Vertrauen durch? Das war auch Leo zu verdanken, wenn er ehrlich war. Der kleine Kater war so unbekümmert hier aufgetreten, als ob es keine Feinde gäbe. Immerhin hatte er ihm damit einen zermürbenden Kampf erspart.

      Und dann erzählte Streuner, was damals geschehen war. Im Alter von fünf Monaten hörte er im Tierheim ein Gespräch, das der Mann, der regelmäßig das Futter brachte, am Handy mit jemandem führte. Streuner verstand nicht alles. Aber er hörte aus dem Gespräch heraus, dass der Mann wütend war. Er beschimpfte seinen unsichtbaren Gesprächspartner und sagte, dass er es allen zeigen wolle. Zu allem Überdruss müsse er freundlich zu den Katzen sein, obwohl er die gar nicht leiden könne. Immerhin sei er im Tierheim schon einmal erfolgreich gewesen. Das würde er, wenn nötig, so oft wiederholen, bis sie in der Firma ein Einsehen hätten. Er, Streuner, wollte herausfinden, woran sein kleiner Bruder bei der Geburt gestorben war. Hier bot sich eine Gelegenheit. Es war