Katerdämmerung. Petra Zeichner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Zeichner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016758
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hakte er nach.

      „Nein, ich meine, ich kann keine Mäuse jagen.“

      „Willst du damit sagen, dass du“ – Robin machte eine Pause, bevor er die unglaubliche Frage aussprach – „noch nie eine Maus gefangen hast?“

      Leo nickte wortlos. Auch Robin schwieg. Er musste das soeben Gehörte erst einmal verarbeiten. Katzen und Mäuse, Mäuse und Katzen – das war ein Bund fürs Leben. So sicher, wie Kater und Katzen Mäuse fingen und fraßen, so sicher wurde es jeden Tag morgens hell und abends dunkel. Kater und Katzen fraßen Mäuse und waren dankbar für das gute Futter. Die überlebenden Mäuse freuten sich, dass sie weniger Konkurrenz bei der eigenen Nahrungssuche rund um ihre Mäusewohnung hatten. Es war also ein Bund, von dem jeder der Beteiligten profitierte. Er hatte noch nie von einem Kater gehört, der im Alter von einem Jahr noch keine Mäuse fangen konnte. Das passierte, wenn kleine Kätzchen zu früh von ihren Müttern zu den Menschen geholt wurden. Keine Menschenmutter war in der Lage einem Katzenkind zeigen, wie es Mäuse jagen oder sein Revier markieren sollte.

      „Ich hab´s.“ Robin war fertig mit seinen Überlegungen. „Hör´ mir gut zu“, sagte er entschieden.

      „Ich habe einen Ausbildungsplan für dich. Zuerst bringe ich dir bei, wie man Mäuse jagt, fängt und frisst. Denn die Idee, sie dem Mankowski in die Wohnung zu setzen, damit sie ihm die Vorräte wegfressen, ist sehr gut. Im Übrigen können wir das auch bei den Jungen in deinem Haus machen.“

      Leo, der mit hängendem Kopf dagesessen hatte, richtete sich auf.

      „Zweitens: Wir müssen an deiner Körpersprache arbeiten. Wichtig ist eine stolze Haltung: den Kopf hoch, den Blick direkt auf den Gegner richten. Drittens: Reviermarkierungen, also den Kopf an einem Holzstapel reiben, mit den Krallen an Baumstämmen kratzen, anpieseln – den Schwanz steil aufstellen und die Flüssigkeit aus deinem Hinterteil drücken. Viertens: Du musst lernen, wie du drohen kannst.“

      Leo piepste. Robin schnaubte verächtlich.

      „Das gehört bestimmt nicht dazu. Allerdings gehören Fauchen, den Schwanz zum Staubfeudel machen und die Rückenhaare aufstellen dazu. Fünftens: Noch stärkere Drohgebärden, nämlich Knurren.“

      Robin sah Leo scharf an. Der presste seine Lefzen fest zusammen und blieb stumm. „Sechstens: der Angriffsschritt, das ist mit steifen Beinen auf den Gegner zugehen. Siebtens: den Angriffssprung vorbereiten, das heißt sich auf den Boden ducken, dabei mit den Hinterbeinen auf der Stelle treten, um die Muskeln warm zu machen. Achtens: den Angriffssprung ausführen, nämlich sich mit den Hinterbeinen kräftig abstoßen und wie ein Flummi auf den Gegner zuschießen.“ Robin hielt inne und überlegte.

      „Vielleicht können wir Nummer sieben und acht zusammennehmen. Auf jeden Fall ist die letzte Übung in deinem Trainingsprogramm die Königsdisziplin: der Todesbiss.“

      Leo riss die Augen auf. Robin nickte bekräftigend. „Sonst hat alles keinen Sinn. Am besten fangen wir gleich damit an, denn wir müssen viel üben. Besser gesagt: Du musst viel üben.“

      Robin lief in den Flur, doch Leo zögerte. Unschlüssig peitschte mit dem Schwanz von einer Seite zur anderen. Robin blieb stehen und wandte den Kopf.

      „Was ist? Komm, das Wetter ist gut, die Mäuse wissen das zu schätzen und strecken ihre Köpfe aus den Löchern.“

      „Ich wollte mich gerade noch etwas ausruhen“, sagte Leo seufzend.

      „Ausruhen? Aber wovon?“

      „Das Nachdenken heute Morgen bei mir in der Wohnung, der Weg hierher, noch viel mehr nachdenken hier in der Wohnung …“

      Robin überlegte. Er mit seinen sechs Jahren war viel älter als Leo und gar nicht müde. Zumal sie hauptsächlich rumgesessen hatten. Bestimmt war es nur eine Ausrede, um nicht mit dem Üben anfangen zu müssen.

      Vielleicht hatte der Rote Angst? Laut sagte er:

      „Wir schaffen das schon. Los. Mir nach.“

      Leo beugte sich der Autorität des Älteren und trabte hinter Robin in den Flur. Als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre, war er mit einem Satz hinter dem grau Getigerten in dem Aufzug. Robin knurrte und brummte, ließ den Jüngeren aber in Ruhe.

      Robin hatte entschieden, dass sie für die Übungen nicht sein besonders ertragreiches Mauseloch nehmen würden. Das wäre zu gefährlich, schließlich könnten sie dort jederzeit auf Streuner treffen. So lange nicht wieder eine Art Freundschaft gewachsen war, so lange wollte er Leo dem Kampfkater nicht aussetzen. Selbst wenn Streuner sie in Ruhe lassen würde – es wäre auch viel zu leicht. Wenn ihm die Mäuse bissgerecht vor das Maul liefen, würde Leo nicht lernen, geduldig zu warten. Geduld war eine grundlegende Eigenschaft um erfolgreich zu jagen. Deshalb saßen sie im Halbschatten des großen Kastanienbaumes neben Robins Haus und warteten. Das Mauseloch lag am Hang des Hügels, auf dem der Baum stand, was eine erschwerende Bedingung für einen Anfänger wie Leo war. Er musste lernen, sein Gleichgewicht in schräger Körperhaltung nicht zu verlieren. Dabei durfte er sich nicht bewegen, um die Mäuse nicht zu verschrecken.

      Wie zwei Statuen saßen Robin und Leo einen Meter entfernt vor dem Mauseloch. Nur Robins Nasenflügel zitterten von Zeit zu Zeit, wenn er versuchte, eine Mäusewitterung aufzunehmen. Leo hatte er befohlen, sich auf keinen Fall zu bewegen. Bis jetzt hielt er sich daran. Aber sie saßen erst seit vier Minuten hier. Aus den Augenwinkeln beobachtete Robin den roten Kater. Da bewegte sich zuerst dessen Schwanzspitze, dann der ganze Schwanz.

      „Pssst!“, zischte Robin leise.

      „Aber ich …“ piepste Leo leise.

      „Pssst!“

      Wieder saßen die beiden Kater drei Minuten lang unbeweglich.

      Eine Maus streckte ihren Kopf zum Mauseloch heraus.

      „Guck mal!“, piepste Leo laut und sprang auf. „Da ist eine Maus.“

      Ruckzuck war die Maus wieder verschwunden.

      „Guck mal, da war eine Maus“, miaute Robin laut und ärgerlich.

      „Ich hab dir doch gesagt, dass du mich vorerst nur beobachten sollst. Nicht miauen, nicht piepsen, nicht jammern.“

      Bestimmt würde er selbst mindestens so viel Geduld brauchen, um Leo alles Lebensnotwendige beizubringen, wie sein Schüler für die Übungen. Er ermahnte sich selbst, nicht so schnell aus dem Fell zu fahren. Schließlich mussten sie den Kätzchenmörder finden. Dafür mussten sie sich bestmöglich auf diesen erbitterten Kampf vorbereiten. Und dass es am Ende einen solchen Kampf geben würde, daran zweifelte Robin keine Sekunde lang.

      „Noch mal von vorne“, kommandierte Robin. Als ob die Mäuse Robins Befehl gehört hätten, streckte eine von ihnen ihren Kopf heraus. Alles blieb still. Schnüffelnd und mit zitternden Schnurrhaaren wagte sie sich weiter vor. Ihre schwarzen Knopfaugen glänzten in der Vormittagssonne, die hier und da durch das Blätterdach des Kastanienbaums fiel. Da schnellte Robin nach vorne, flog einen Meter weit durch die Luft und landete kurz vor der Maus. Im Sprung hatte er seine Vorderpfoten nach vorne gestreckt und die Krallen ausgefahren. Er erwischte sie mit einer Tatze, bevor sie wieder im Mauseloch verschwand.

      Die Maus piepste verzweifelt und wand sich auf dem Boden, während Robin ihr unbarmherzig die Krallen in den pelzigen Leib schlug und sie mit einer Pfote ins Gras drückte.

      „So“, sagte er zu Leo gewandt. „Du bist an der Reihe.“

      „Aber was soll ich mit ihr machen?“, fragte Leo und das verzweifelte Schreien des kleinen Nagers trieben ihm Tränen in die Augen. Er blinzelte in die Sonne.

      Robin nahm die Maus ins Maul, darauf bedacht, sie nicht zu töten. Noch nicht. Das sollte Leo tun. Er ging zu ihm und hielt ihm die zappelnde Maus vors Gesicht. Leo wich einen Schritt zurück. Robin folgte ihm und stupste ihn mit der Maus gegen das Maul.

      „Aber ich …“ begann Leo, konnte aber nicht weiter sprechen, denn Robin hatte ihm die Maus ins Maul gedrückt.

      „Halt