0 oder 1. Franziska Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Thiele
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847690788
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Die Beschäftigung also im Einfachen gesagt, ist das, was mich beschäftigt. Viele Menschen haben sich freiwillige Arbeit, oft sogar ähnliche wie zuvor gesucht, die zwar nicht notwendig noch sinnvoll war, doch den Menschen ein Gefühl des Ausfüllens gaben – immerhin war die Sache der Unwichtigkeit oder auch Sinnlosigkeit aller Dinge hier offensichtlich und nicht wie im 21. Jahrhundert oftmals als Wichtigkeit vorgegeben – Im übrigen, was der initiierte und von der Elite sehr erwünschte, weil sinnloser, aber Geld, Beschäftigung und Ablenkung bringender Lifestyle-Zweig hiervon ein Musterbeispiel dieser Zeit, denn obgleich die Menschen nur ein Abbild ihrer selbst sahen, gab es weiterhin gut genutzte Einrichtungen, in welchen sich die Menschen ihre unechten virtuellen Körper verschönern ließen, soweit dies möglich war - in der virtuellen Welt arbeiten auch ehemalige Bauarbeiter daran, Häuser zu bauen, in welchen sie nicht wirklich schlafen, sie stellen sich das bauen vor und sehen also das Haus entstehen und natürlich gab es den großen Vorzug, dass keine körperliche Arbeit die Knochen schwächte und dem Rücken Schmerzen bereitete.Vielleicht, wenn ich mir das gerade aus dieser Sicht überlege, ist es doch ähnlicher hier, als es manchmal scheint – doch stelle ich mir die Frage, was ist wichtig, was sollte ich machen mit so viel Zeit, an jedem Tag? Ich habe angefangen, mir einen Hund, wie sie als imaginäre Programme angeboten werden, zu halten, natürlich zuerst mit einiger Unsicherheit, denn natürlich denkt sich kein echter Hund in die Welt, das ist leider nicht möglich, und mache lange, lange Spaziergänge, manchmal gehe ich Tagelang mit ihm, der sich wirklich wie ein Hund verhält und treu zu mir ist, spazieren, einfach nur, um die Landschaft zu sehen, um irgendetwas zu tun und das beruhigt tatsächlich. Andere Menschen, natürlich spreche ich gerne mit den, welchen ich auf dem Weg begegne, doch dann ziehe ich auch gerne weiter. Dann wieder sitze ich einfach da, einmal waren es drei Wochen gewesen, und mache nichts – Zeit hat wahrlich andere Dimensionen erhalten – was ist da noch wichtig?

      2 Nun, die zweite und gleichzeitig die vorherige eliminierende Frage nach einer bestimmten Wichtigkeit in einem endlosen Leben in der virtuellen Welt, ist die, welche eine Frau betrifft. Die Mächtigkeit, die stärker und hierarchischer, nur auch besser arrangiert ist denn je, sie hat es vorgesehen, diejenigen, die sich nicht der virtuellen Welt anschließen wollten, dadurch lebensunfähig zu machen, dass sie die Möglichkeiten des normalen Nahrungsangebots, von Freizeitaktivitäten trau ich mich gar nicht zu sprechen, wenn es um das reine überleben geht, soweit einschränkten, bis nur noch ein elendes, dem Tode näher als dem Leben, vegetierendes Leben im „herkömmlichen“ Körper in der „normalen“ Welt möglich war. Ich kannte diese Frau bereits, als auch ich nur aus natürlichen Körper bestand, wir verbrachten sehr schöne Zeiten miteinander. Während ich nach und nach den Schritten folgte, die mich anfangs vor allem aus Interesse und, ich muss es zugeben, wahrscheinlich vor auch der Anziehung eines langen Lebens wegen, hervorgerufen durch die Angst vor dem eigenen körperlichen Zerfall und der Auflösung in ein Nichts, leiteten, war sie vorsichtiger, ließ sich einen Arm, als der verwundet war ersetzten und dann endlich, als es schon fast zu spät war und die Knochen durch Artrose stark angegriffen, ließ sie auch ihre Gelenke in den Beinen machen, doch sonst blieb sie ganz wie sie war, obgleich die Menschen um sie herum sich nicht schnell genug alles auswechseln lassen konnten – sie stritten sich um die Termine, die Spitze der herauf beschworenen Angst vor dem Alter war erreicht – auch ich war zu gefangen von ihr, als zu sehen, wie sehr sie Teil des Plans war. Ihre Eltern starben, wie meine, zu dieser Zeit noch eines natürlichen Todes, wie auch die meinen – früh genug, um in den trügerischen Bann hineingezogen worden zu sein. Nun, die Frau, um die es geht, sie hat einen so liebenswerten wie eigentümlichen Charakter, denn sie hat sich dafür entschieden, weiterhin in der „normalen Welt“ zu leben und letztendlich damit auch zu sterben – denn den relevanten Ersatz an Organen, sie hat ihn abgelehnt wie schließlich auch den Gehirnchip, der ihr den Eintritt in unsere mittlerweile zum Hauptaufenthaltsort gewordenen zweiten Welt ermöglicht hätte. Warum? Ich kann sie nachvollziehen, diese Gedanken, die Natürlichkeit vorziehen, wenn auch das einen frühen und sicheren Tod bedeutete, doch anders sieht es mit den Nachteilen aus: Das Leben der letzten und sehr vereinzelten in der natürlichen Welt Lebenden ist zu einer Qual geworden. Ich verehre ihr Stärke umso mehr, was aus meiner geschützten Perspektive einfach gesagt ist, wie ich zugeben muss, und sie macht die Frau nur noch anziehender, der Tanz mit dem Tod – es war eines der beliebtesten Motive unterschiedlichster Epochen. Nun, die Frage der Wichtigkeit, denn diese Frau ist mir die ohne Zweifel wichtigste Person, richtet sich daher nach dem Leben an sich. Ich könnte nicht für einige Zeit wieder normal leben, um dann, wenn sie tot ist, wieder in die virtuelle Welt zurückzukehren, denn man wurde doch auch abhängig von der virtuellen Welt, allein vor allem aber, weil man einige Stunden täglich in der PR2 sein musste, weil es kontrolliert wurde und wohl Strafen für diejenigen, die länger weg blieben, gab – natürlich waren die Codes unserer Implantate gespeichert und all unser Denken und Handeln jederzeit nachvollziehbar. Wer sie dauerhaft ablehnte, dem wurde der Zugang irgendwann versperrt, doch diese Personen zählen zu den Dingen, die für die jetzigen Menschen außerhalb des durch Scheuklappen eingeschränkten Sichtfeldes liegt, denn sie, welchen die virtuelle Welt schmackhaft gemacht wurde, konnten nicht nachvollziehen, wie man den gewissen Tod einem endlos scheinenden Leben vorziehen konnte. Nun, auch ich bin diesen Schritt gegangen und frage mich, was ich tun soll, was mir wichtig ist. Doch werde ich wohl bald wieder zu einem langen Spaziergang aufbrechen, um den Gedankenschwindel zu mindern, der mich beunruhigt und dann auch wieder diesem beängstigenden Gefühl des schleichenden Todes, der mich, sollte ich hier heraus gehen, befallen würde, zu mildern, ganz so, wie es alle anderen getan haben - um dann, wenn ich tagelang unterwegs war, wieder die Suche nach meiner Geliebten in der wirklichen Welt beginnen - in der bloßen Ahnung, dass es doch wichtiger wäre, mit ihr zu sein.

      -Erzähler-

      Die Geschichtsdeutung spielte seit an Beginn jeglicher Aufzeichnungen eine wichtige Rolle für die Menschen – die Bildung über geschichtliche Zusammenhänge erfolgt bereits in der Schule durch Lehrer und die dazu vorgesehenen Geschichtsbücher. Bildung für Kinder, die im Laufe der Zeit immer seltener geboren wurden, da zum einen die natürliche Fortpflanzung nicht mehr möglich war und zum anderen die immer längere Lebensdauer dazu führt, dass weniger Nachwuchs zur Aufrechterhaltung der Masse an Menschen benötigt wurde.

      Freilich musste ein jeder, der sich in der virtuellen Welt zurecht finden wollte, nicht nur eine bestimmte tägliche Dauer seines dortigen Aufenthalts aufweisen, sondern auch an sogenannten Hilfsprogrammen, welchen jedoch gleichzeitig verpflichtend waren, teilnehmen. Schließlich wurde erklärt, dass den Menschen, welche nicht an den Hilfsprogrammen teilnahmen und nicht die gewünschte Zeit ihre Nerven an der virtuellen Welt übten, das Programm für den einfachen Einlass abschalten würden, was damit gleichkam, den Zugang in die virtuelle Welt zu schließen.

      Dies geschah in der Zeit, als die äußerliche Infrastruktur mehr und mehr zusammenbrach, normales Essen zur Rarität geworden war und das Leben auf dieser Seite des Seins so kläglich wurde, dass es auch die Hoffnungsvollsten bald verzweifeln ließ. Die Anziehung der parallelen Welt, sie wurde im Gegenteil nur umso stärker: Man konnte sich in sie hineindenken, üben, alles sehen, alles machen, man konnte sich in ihr ausleben, leben, so wie man es immer wollte – so die theoretische Vorstellung einiger, der Mehrheit, die es gewohnt war, sich von werbenden Maßnahmen leiten zu lassen. Das Leben als Information, denn es ist nichts anderes wovon wir leben, Informationen, die durch unsere Sinne auf uns ein treffen. Sind die Sinne getäuscht, ob durch Krankheit oder Manipulation durch andere oder einem selbst erhalten wir andere Informationen und ein anderes Weltbild. Sind Sinne und Informationen manipuliert, entspricht das Realitätsbild nicht dem der anderen – doch wessen Realitätsbild war noch nicht manipuliert? Das der breiten Masse war es längst und so konnte sich der Einzelstehende fragen, ob er unter Störungen litt oder ob es die anderen waren, die willenlos den den Ködern der Werbung folgten? Das war das Leben.

      Der Weg ist jetzt einfach direkter, die Sinne werden nicht mehr wie früher für das wahrnehmen benötigt, denn die Informationen gelangen direkt an die Nerven. Die Schlussfolgerung, dass, wenn wir die Informationen nicht mehr durch unsere Sinne erhalten, sondern sie direkt in die Nervenbahnen eingespeist werden, sodass sich Gerüche, Bilder und schließlich auch Gefühle bilden, diese Welt folglich nur manipuliert ist, wurde auch diskutiert, bereits zu Zeiten des Internets, doch kaum jemand fragte mehr danach, als diese mögliche Manipulation ein längeres,