0 oder 1. Franziska Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Thiele
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847690788
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andere Welten. Was hat das mit Gewalt zu tun? Ob es Kriegsspiele waren, die im Übrigen nach und nach an Beliebtheit verloren oder andere Aktivitäten, die erste, die wirkliche Welt, sie war für viele die grausamsten, verlor zunehmend das Interessenpotential und wurde nur nach und nach noch für die nötige Energielieferung wichtig, um sich ihr dann wieder zu entziehen. Als die Einführung von PR2 schließlich die Möglichkeit schuf, sich hier unkörperlich frei zu entfalten, und mit anderen Menschen zu interagieren, wurde die Gewalt in dieser Welt von jedem zur Genüge getestet. Das Gefühl des Erleben gab es noch immer – die Nerven ließen die Menschen sogar Gewaltangriffe spüren, konnten aber keinen realen Schaden hervorrufen. Das Schmerzgefühl brach unmittelbar nach dem Angriff wieder herunter. Der Körper, so, wie er ursprünglich genutzt wurde, spielte nur noch eine untergeordnete Rolle.

      Eine entscheidende und unbeabsichtigte Folge der Ersetzung einzelner Körperteile durch nicht natürliche Teile war, dass jeder Körper mit ähnlichen Grundlagen ausgestattet wurde, die unabhängig von individuellen Einflussnahmen, die zuvor durch Krafttraining, körperliche Fitness und durch die Nahrungsaufnahme, veränderlich wurden. Ein direkter Kampf, der körperliche Vorzüge zeigen sollte, wurde also sinnlos. Gewalt in der realen Welt fand freilich noch statt, doch war sie rückläufig, wie auch der Aufenthalt in der realen Welt rückläufig war: Es gab nicht mehr die Zeit für diese Gewaltakte und auch sich selber konnte man nicht mehr durch Gewalt in eine bessere Stellung bringen – mit anderen Worten: es fehlten die Gründe und nach und nach gab es auch keine Gelegenheiten mehr, denn warum sich hier herumschlagen, wenn alle anderen Schritt für Schritt sogar das Fliegen in der anderen Welt erlernen konnten. Die Familien, wenn sie sich mochten, sie trafen sich freilich auch in der nicht realen Welt. Aggression oder das Potential dazu, es sank für eine lange Zeit auf ein minimales – natürlich wurden spektakuläre Kämpfe praktiziert, um das gelernte auszutesten, doch waren sie nicht von Aggression angeregt. Erst nach und nach, als die Langeweile sich irgendwann einschlich, als die Grenzen der Welt und das Bewusstsein, dass es auch hier Machtstrukturen gab, wuchs, kehrte die Wut zurück in die Gemüter – die Versuche, sich durch Gewalt zu helfen, die schon immer auch aus der Wut, sich aus einer verzweifelten Situation zu befreien, vor sich selbst zu entfliehen, waren freilich ohne Erfolg.

      Gewalt als Macht, die gab es noch – sie wurde erst nach und nach erkannt, nach Jahrzehnten oft, doch Zeit spielte ohnehin keine Rolle mehr. Erst als die Sensibilität des Gehirns so fortgeschritten war, dass die Menschen ihre Möglichkeiten abzuschätzen lernten, erkannten sie auch, dass es Grenzen gab, die in diesem System unnatürlich waren. Doch das System war trügerisch und freilich mit viel Raffinesse entwickelt: So dachten die meisten an Fehler in der eigenen Übertragung des Systems oder zweifelten gar an ihren eigenen Fähigkeiten, als sie zum Beispiel Gebäude wahrnahmen, die sie nicht betreten konnten. Da dies nur sehr wenigen, die mit feinsten verästelten Nerven ausgestattet waren, passieren konnte, wurden sie von den anderen meistens als krank oder gestört angesehen und nicht für wahr genommen. Oft glaubten die Getäuschten schließlich selbst daran, unter eigenen Störungen zu leiden. Natürlich war den normalen Menschen nicht alles möglich – das System, es bestand nicht nur aus der einen wahrnehmbaren Schicht – es gab noch weitere Schichten, doch der Zugang wurde durch einen Code gesperrt. Die Sensibelsten hätten ohne dieses Programms all die Dinge, die Institute und Häuser, wahrnehmen können, wenn auch nicht scharf erkennen. Die Form der Machtausübung durch die Unwissenheit der „Niederen“, sie blieb vorhanden, war sogar stärker, als je zuvor.

      -Ich-

      Die Frage, die mir seit heute morgen, und natürlich nicht zum ersten Mal, denn viel Zeit führt natürlich auch zu vielen Fragen und dass, wie angenommen ein Mehr an Zeit auch zu einem Mehr an Antworten führen würde, wie es in der Wissenschaft häufig diskutiert wird, ist, nicht nur aus meiner unwissenschaftlichen Sicht, ein Trugschluss. Nicht, weil nicht genügend Fragen beantwortet worden wären, doch, da gibt es vor allem die großen Fragen des 21 Jahrhunderts, die nach einem unbegrenzten Leben durch körperliche Zusätze oder die der Gesellschaftsordnungen, welche bereits ein Jahrhundert zuvor die Frage äußerten, ob das menschliche Leben fast gänzlich ohne Arbeit, da sie von Maschinen erledigt werden, auskomme – die großen Fragen, sie wurden beantwortet, aber was mich quält sind die noch größeren, noch gewichtigeren Fragen, die man sich damals nur traute in Sciencefiction Filmen und Büchern anzuschneiden, doch die Wissenschaftler spürten, dass hier ein heißes Terrain lag, zu heiß für die Menschen der Zeit, die ihre Zukunft noch nicht bereit waren zu akzeptieren, zu heiß für eine Gesellschaft, die durch das tägliche, wie den Mächtigeren bereits längst klar war, bald überflüssige von Arbeit geprägte Alltagsleben Scheuklappen aufgesetzt wurden, die den Blick und die Vorstellung auf ein Minimum reduzierten, denn Scheuklappen, die durch Propaganda und Medien ein Lebenskonzept in den Gedanken bewirken, sind am wirksamsten und führten bereits damals dazu, dass die meisten an ihrem arbeitsamen Leben festhielten und die voraus sagenden Wissenschaftler im besten Falle ignorierten, im schlechteren verunglimpfen.

      Selbst wenn der Mensch den Beweis vor sich hatte, zum Beispiel einen Menschen mit künstlichen Arm, der mit den Muskeln und Nerven so verbunden war, dass alles funktionierte und der Arm wesentlich robuster war, so schloss er es aus, dass diese Entwicklung nicht nur für körperlich beeinträchtigte, sondern für die breite Masse möglich sei und dachte nur, diese künstlichen Ersatzteile wären eine nette Sache für Behinderte. Im schlimmsten Fall wurden sogenannte Enthüller, ob im Wissenschaftlichen Bereich oder den der intransparenten Machtstruktur der kleinen herrschenden Elite, die bereits seit Jahrhunderten Kriege, Wirtschaft und Wissenschaft und Geschichte so gestaltet, dass sie alle Fäden über die Menschen und die Welt in den Händen hielt, verfolgt, eingesperrt oder gefoltert und umgebracht. Im zweiten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts ereignete sich der Fall des Edward Snowden, der durch seine Enthüllungen gezeigt hatte, wie sehr bereits die Fäden gezogen sind, dass die gewöhnlichen Bürger nur noch Marionetten sind, es immer waren, und dieser Vorreiter brachte die Wahrheiten in einer Zeit ans Licht, da noch zu viele mit Scheuklappen herumliefen, wie sie es heute im Übrigen noch immer tun, er wurde von Land zu Land abgeschoben, denn die Wahrheit war nicht erwünscht.

      Nun, jetzt bin ich wieder vom eigentlichen Thema abgekommen und das ist, so kommt es mir jedenfalls vor, ein Nachteil von so viel Zeit, denn immer, wenn ich mich mit einer Überlegung oder einer Fragestellung befasse, so komme ich vom einen zum anderen und verliere nicht selten die eigentliche Frage aus dem Auge. Es war ein weiterer Punkt, der mich dazu bewogen hat, den Versuch dieser Aufzeichnung zu unternehmen, die Hoffnung, dass meine Gedanken wieder zentriert werden könnten, aber es ist nicht einfach, wie ich annahm. Dieses umherschwirren stellt sich ein, ob gut oder schlecht, das vermag ich für die Allgemeinheit nicht zu sagen, aber es ist zumindest interessant, dass man sich plötzlich, einer kleinen Frage auf der Spur, nach Stunden über ein anderes Thema grübelnd vorfindet und die Anfangsfrage bereits in Vergessenheit geraten ist. Ich dachte immer, dass Zeit zum nachdenken nur gut sein musste und tatsächlich fand man in vielen Menschen nach einigen Jahren eine gedankliche Öffnung vor, doch an den Scheuklappen wurde weiterhin erfolgreich festgehalten. Wenn die Scheuklappen erst einmal in die Gedanken integriert sind, dann können die Menschen denken, wie viel sie wollen, ohne direkt auf die Scheuklappen zu stoßen und diese zu beobachten und langsam abzubauen, was für die meisten ein zu umstürzender Prozess wäre und in diesem Fall kann auch das Denken alleine nichts ausrichten.

      Zurück zu den wichtigen Fragen, zu der einen vor allem, die ich mir seit heute Morgen stelle: Was ist in dieser Welt, in diesem virtuellen Leben überhaupt noch wichtig? Diese Frage hatten sich Menschen wahrscheinlich zu jedem Zeitalter gestellt, die Antworten, so gefunden, waren von Zeitalter und Situation abhängig. Und jetzt, wie eine Antwort finden, wenn die Zeit kaum als begrenzendes Mittel eingegrenzt werden kann? Wie eine Antwort in einer Welt finden, in der theoretisch alles möglich ist? Ich kann laufen, rennen, schwimmen, ohne auch nur müde zu werden, da ich es allein durch meine Konzentration schaffe und lediglich mein Akku aufladen und ab und zu schlafen muss, um meine Nerven das Erlebte verarbeiten zu lassen. Sind Familienstrukturen wichtig? Freilich, doch meine Eltern starben zu früh, etwas zu früh, um den süßen Saft des langen Lebens auskosten zu dürfen. Freunde – ich weiß nicht, ob ich je wirkliche hatte. Für mich spielt diese Frage im doppelten Sinne eine Rolle:

      1 Was ist an einem Tag wie jeden anderen wichtig,