0 oder 1. Franziska Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Thiele
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847690788
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Menschen die Vorteile, die es mit sich brachte, wenn man sich einen neuen Arm einsetzen lassen konnte, um den müde und schlaff gewordenen zu erneuern. Natürlich gab es ab und an Reklamationen, wenn die neuen Teile nicht gut passten, abfielen oder von den Nerven nicht gleich angenommen wurden, aber das waren Anfangsschwierigkeiten. Insgesamt verlief alles nach Plan. Arztpraxen wurden umfunktioniert und konnten nach einigen Jahren zum Teil komplett geschlossen werden. Das Leben wurde länger und länger, der natürliche Tod immer ungewöhnlicher. Die Entwicklung war bereits einfach voraus zu sehen, da sich das natürliche Lebensalter mit steigender Hygiene und Medizin stetig erhöhte und durch den Einsatz der künstlichen, mechanischen Körperteile in gleicher Richtung verlief. Es lag also im Sinn der Entwicklung. Nur die Antwort auf die Frage, wie lange es möglich war, zu leben, hat man nicht gleich beantwortet, das sollten die Menschen selbst herausfinden. Vor allem aber sollten die Menschen nicht die Angst vor dem Tod verlieren, sie sollten sich nicht ganz sicher fühlen. Denn wer sich sicher fühlt, muss und will nicht kontrolliert werden. Unendliches Leben ist zwar im Rahmen der Möglichkeiten, doch wenn es früher darum ging, das Leben immer weiter zu verlängern, die Menschen als Arbeiter abhängig vom Staat zu machen, so ging es jetzt darum, Wege zu finden, um den Menschen ihre Verletzlichkeit zu zeigen, während sie immer unverletzlicher wurden. Wenn sie körperlich nicht mehr verletzlich sind, dann in ihrem Sein. Denn wenn man kein realistisches Ende sieht, dann muss man sich beschäftigt wissen. Natürlich war es kein Leichtes, als die Zeit langsam gekommen war und immer mehr Menschen das Offensichtliche, dass ihre Arbeit nur Beschäftigungsmaßnahme war, erkannten. Das damalige so genannte Internet war eine Übergangsform, die viele Menschen annahmen und die schon bald nicht mehr aus dem gewöhnlichen Leben wegzudenken war. Die Menschen nahmen es an, entwarfen sich selbst ihre virtuellen Profile, trafen sich via Internet, bezogen ihre Informationen daraus und speisten immer neue ein. Wenn man den Menschen das Gefühl gab, dass sie hier ihr eigenen Herren waren, diejenigen, die längst erkannten, dass dies in der körperlichen Welt schon lange nicht mehr der Fall war, so waren auch sie leicht auf dieser virtuellen Ebene zu bekommen.

      -Ich-

      Warum ich das alles darlege? Wahrscheinlich um mir selbst zu helfen. Ich stecke in einer Situation, die mir so festgefahren erscheint, dass es weder ein ein noch aus, weder ein vor noch zurück gibt. Ich weiß noch nicht einmal, ob dies irgend jemand lesen wird, da das geschriebene sich dem gedachten mehr und mehr angeglichen hat, bis es zu einem reinen Datensatz geworden ist. Es geht nichts mehr verloren, nicht wie es früher gemeint war, dass Gedanken, sobald sie gedacht sind, einfach ins nichts verschwinden. Das war nie so, bin ich der Meinung. Nur war es früher der allgemeinen Masse nicht möglich, auf all diese Gedanken zuzugreifen. Dabei lag es bereits einige Zeit vor ihnen, die Wissenschaft lag mit dem Fund der bestrittenen Quanten auf dem richtigen Weg: Informationen, zu denen auch die Gedanken gehören, sind kleinste Teilchen, so klein, dass sie keine Materie im ursprünglichen Sinne mehr darstellen. Was für uns, die wir uns täglich daran bedienen und auf deren Grundlagen wir das jetzige Leben aufgebaut haben, das allgegenwärtige und normalste ist, bedurfte eines jahrelangen Forschungsprozesses und vor allem: Wie alle umstrukturierenden, in das Denken eingreifenden Entdeckungen (Ich benutze ungern das Wort Erfindungen, denn das Meiste war bereits da, die ganze Zeit, nur haben wir es noch nicht herausgefunden), angefangen mit den Umwälzungen durch das Negieren der Religion bis hin zu den technischen Entwicklungen, die von der Dampflok zu Transportsystemen führten, der Telekommunikation, dem Internet bis zum jetzigen Zeitpunkt, in dem wir nur noch in einer virtuellen Welt leben. Nun, ich schreibe das also, um zurück zu mir zu kommen und darum geht es mir schließlich, denn noch immer gibt es das Gefühl des Ich-Seins und ich wollte lediglich versuchen, eine erweiterte Sichtweise zu schaffen. Ob das geschrieben ist oder in welcher Form auch immer es also mein Gehirn verlässt, das sei dahin gestellt. Es ist für niemanden bestimmten, kann es nicht sein, für alle und jeden zugänglich und nicht zugänglich zugleich, wie es für die meisten Daten gilt. Nur hilft es mir, wie wahrscheinlich jedem, in Angelegenheiten, die eigene Person betreffend Abstand zu erhalten, um so etwas wie eine objektive Sicht über meine Lage zu erhalten. Das fällt mir schwer, so lange habe ich nun gelebt, so viel gesehen, bin wie ein Fisch, der sich durch nichts von den anderen Fisches seines Schwarms unterscheidet, bin mit geschwommen, um nicht auszutrocknen, dort, wo sie uns das lebensnotwendige Wasser genommen haben. Ich habe den Wandel nicht nur mit bekommen, sondern habe selbst bewusst daran teilgenommen, zumindest am Anfang. Aber es war mehr eine Farce, denn mit oder ohne meinem zu tun, geplant war längst alles.

      -Erzähler-

      Zu der Zeit, als er in der Krise steckte, gab es freilich noch eine wirkliche Welt neben der parallel verlaufenden virtuellen. Nur war sie nicht mehr sehr lebenswert, sie wurde nicht unwürdig für ein Menschenleben gemacht. Nach und nach schlossen die Geschäfte, denn auch die Angestellten und Arbeiter mussten zusehen, wo sie blieben und Arbeit wurde immer weniger lukrativ in der Zeit, in der nach und nach alle erkannten, dass sie Ära der notwendigen Arbeiten zu einem Ende gekommen war. Vor allem mit den Lebensmitteln war es schwierig: Anfangs schlossen die Cafés, in denen die Menschen früher gerne bei einer Zeitung verweilten, später auch die Restaurants. Diese Entwicklungen gingen gleichzeitig von statten. Während dieser Zeit wurden den Menschen nach und nach ablesbare Chips in das Gehirn gespritzt. Zuerst mussten sie noch eingebaut werden, bis schließlich auch dieses Verfahren vereinfacht wurde, bis eine einfache Spritze ausreichte. Diese Chips waren dazu imstande die Signale des Gehirns aufzunehmen und weiterzuleiten. Es galt nun erst mal für die meisten zu lernen, damit umzugehen, also die Signale aufzunehmen und zu verarbeiten. Man benötigte bewusste Konzentration für einen solchen Denkprozess. Und diese Konzentration, welche viele im Laufe des beschleunigten Lebens längst abtrainiert hatten, benötigte für einige viele Stunden. In all den vorherigen Jahren wurde alles darauf ausgelegt, dass das versierte Denken durch eine Vielzahl von Informationen und Eindrücken kaum noch benötigt wurde. Die Flut von Medien und Werbung wurde auf die Spitze getrieben, bis nun bei den ersten Versuchen, sich wieder nur auf einen Gedanken zu konzentrieren, einige Menschen Kopfschmerzen bekamen und wieder abbrechen, eine Pause einlegen mussten, um später weiter zu üben. Worauf sollten sie sich konzentrieren? Nun, das ganze Projekt, das Projekt des zukünftigen Leben war bereits wie ein Computerspiel vorbereitet worden, eine Welt, in die man sich quasi hineindenken konnte, wenn man die Konzentration aufbrachte. Gleichzeitig, denn die Menschen wurden immer älter, wurden mehr und mehr Körperteile durch künstliche ersetzt, der Tod wurde für viele nur noch zu einem schrecklichen Teil der Geschichtserzählung. Die Frage der Moral, der Ethik, wann ein Mensch noch ein Mensch war oder blieb, sie war vor allem in der Zeit davor, in der die Möglichkeiten nur erahnt aber noch nicht für jeden vorhanden waren, sehr umstritten und in aller Munde - das war der Zeit, als man nur von Wissenschaftlern über die angeblichen, noch recht mystisch klingenden Möglichkeiten erfuhr. Längst wurden Organe ersetzt und Behinderte konnten ihre künstlichen Extremitäten bewegen, doch den Menschen fehlte es schon immer an Weitsicht, sie ließen sie sich nehmen, um an das nächste Shopping zu denken. Die Grundsatzfragestellung wurde in der Zeit von Menschen, die zusahen und darüber lasen, weniger von den Wissenschaftlern, welchen längst klar war, dass, wenn es soweit war, alle Menschen dabei sein würden, gestellt. Schließlich, wenige Jahre später, als die planmäßig vorgesehene Zeit gekommen war, dass sich ein jeder nicht nur ein künstliches Hüftgelenk, sondern auch ein Arm, Bein oder was auch immer ersetzten lassen konnte, da wurde es dann doch fraglos angenommen, denn wer wollte schon lieber am lebendigen Leib sich eingehen sehen, während die anderen sich schönen Ersatzteilen erfreuten und mit ihnen weiterlebten? Man gewöhnte sich bald an den Anblick der künstlichen Körperteile, die mehr und mehr Vertrauen fanden.

      Bald darauf gab es unterschiedliche Möglichkeiten zur Energiegewinnung des Körpers, manche aßen noch und benötigten gleichzeitig Energie im Form von Strom, es war eine Mischung, die jeder auf seine Bedürfnisse, dessen, was künstlich und nicht künstlich war, anpassen musste. Allein Gehirn und Rückenmark blieben meistens wie sie waren. Später sorgten Akkus, die zwei bis drei tage hielten, für die nötige Energie. Nahrung im herkömmlichen Sinn wurde nicht mehr benötigt - daher das Absterben der Restaurants. Auch die Lebensmittelläden kamen wenig später hinzu, sodass es immer schwieriger wurde, einen ursprünglich erhaltenen Körper auf die normale Art zu versorgen. Viele Geschäfte achteten nicht mehr auf die Haltbarkeit ihrer Produkte, manche warteten, bis alles