0 oder 1. Franziska Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Thiele
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847690788
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vorgesehenen Straßen führten, sondern ganz neue Spuren hinterließen. Die Menschen, die ihn sahen, wie er zu ungehörigen Zeiten im Café saß und scheinbar nichts arbeitete, missbilligten ihn oder wollten auch ein kleines Stück der Freiheit haben, was in Neid und Missgunst endete. Bald hatte Markus jede Menge zu tun, denn es sprach sich herum und wenn jemand nichts zahlen konnte für seine Dienste, sollten sie erst im Falle eines erfolgreich eingeschlagenen Weges zahlen. Es wurde ihm zu einer Ideologie, die Menschen freier zu machen. Freiheit bedeutet mehr Selbstverantwortung, pflegte er immer zu erklären. Und: „Vergleichswirtschaft der Menschen macht die Menschen nur kaputt.“ Auch das zählte zu einen seiner Lieblingssätze. Natürlich gab es all dies bereits, nur schaffte es Markus durch eine zunehmende Akzeptanz, eine Menge Menschen um ihn herum, überdurchschnittlich mehr als sonst bei einer frei gewählten Menge von Studenten, über das Internet zu einer unabhängigen Arbeitsvariante zu verhelfen. Er entwickelte ein gewisses Selbstvertrauen und die Überzeugung, dass er den staatlichen Apparat auflockern konnte. Jahre später sollte er, der die Entwicklungen zu dieser Zeit nicht voraus zusehen wagte, sich selbst starke Vorwürfe genau über dieses seine Denken machen. Nun, die Tatsache lag weit unterhalb seiner Denkweise: es war nicht nur nicht unwichtiger, als er dachte, doch verhalf es einzelnen Menschen zu dem geplanten Ablauf, der alle Menschen in die virtuelle Welt befördern würde. Was Markus getan hat oder nicht, es hatte kaum einen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung. Tatsächlich schloss er sich mit jenen zusammen, denen er zu einer Arbeit hatte helfen können, um den Menschen die Möglichkeiten zu zeigen und er verfasste sogar ein Essay für eine bekannte Zeitung mit eben jener Aufforderung an die Menschen, die Möglichkeiten des freien Internets zu nutzen. Folgendes schrieb er damals nieder. Freilich gab es einige Antworten auf das Essay, aber alles blieb im Rahmen dessen, was nicht zur Gefahr für irgendwelche Obrigkeiten werden konnte und auf den für Langzeit vorgesehenen Plan sogar ungewollt vorbereitete.

      Für eine freie Gesellschaft

      In Anbetracht der heutigen wirtschaftlichen Situation, der Tatsache, dass unsere menschliche Arbeitskraft, wo immer es möglich ist, von einer Maschine abgelöst wird, welche über Vorteile gegenüber des menschlichen Seins, das ständig von einer Vielzahl von Bedürfnissen und inneren Prozessen begleitet ist, verfügt, wächst der Druck auf das menschliche Arbeitsverhalten. Der Mensch steht nun nicht mehr für sich, sondern gleichzeitig im Vergleich zu dem, was er erschaffen hat, mehr noch: er unterliegt dem Erschaffenen.

      Diese klare Aussage: Die menschliche Arbeitskraft unterliegt dem der durch diese geschaffenen technologischen und maschinellen Hilfsmitteln. Der Satz ist klar und bedarf dennoch einer Erläuterung, da viele noch immer gegen ihn ankämpfen und eine Konkurrenz schaffen, wo sie nicht möglich ist. Zum einen sind es die Maschinen, die den Anfang der Entwicklung ausmachten: Sie arbeiten im Takt, auf Knopfdruck und stoppen erst wieder auf Knopfdruck. Was ist mit uns? Die Fließbandarbeit, war und ist sie nicht eines der unterdrückerischsten menschlichen arbeiten? Warum? Weil wir in Raum und Zeit gefesselt sind und dieser nicht entfliehen können, da die Arbeit trotz der Eintönigkeit unserer Aufmerksamkeit bedarf. Wir können uns also nicht damit abfinden, über eine gewisse Periode unseren Körper an den bestimmten Raum zu binden und unsere Gedanken in andere Welten abschweifen zu lassen. Und wenn sie dann doch, im Wunsch, etwas anderes zu sehen, zu erleben, sich in andere Welten zu versenken, ein Paralleles sein im Inneren schaffen, so passieren sogleich Fehler bei dieser Beschäftigung. Es ist also nicht möglich. Nun, gut, also sage ich: Lasst uns froh sein über diese Maschinen und sie für uns arbeiten lassen, um uns von der Last solcher Arbeiten zu befreien. Lasst uns uns nicht mit ihnen vergleichen, denn dazu haben wir sie nicht geschaffen. Es sind nur wir angstvolle Menschen, die vergleichen, nie würde eine Maschine, die dessen nicht mächtig ist, sich mit uns vergleichen wollen. Lasst also die Maschinen für uns arbeiten, damit unsere Gedanken freien Lauf haben können. Nun denke ich, diese Phase müssten wir längst überwunden haben.

      Schwieriger sieht es mit dem Bezug zu etwas sogenannten Intelligenten aus: Gemeint ist damit ein System, welches über die Fähigkeit verfügt, auf äußere Umstände zu reagieren und sich selbst zu entwickeln. Die Mathematiker und Informatiker können sich dies am besten vorstellen, weil Zahlen überall sind, alles erst aus dem Nichts sein der 0 heraus entstehen zu lassen, wobei die 0 gleichzeitig aussagt, dass es auch eine 1, die im Gegensatz zu der 0 alles bedeutet, geben muss, da ansonsten die 0 keine Bedeutung hätte. Wenn alles null wäre, im übrigen gleich so wie wenn alles nur eins wäre und die null nicht bestünde, dann könnten wir zum Beispiel nichts erkennen, trotz unserer Augen. Es wäre alles ein und dasselbe, weil die Abgrenzungen, welche wir durch Quantität ausmachen, in einander übergingen. Ein Tisch, ein Stuhl, die Schwester auf ihm sitzend, noch nicht einmal sie könnten wir ausmachen, wenn wir alles mit der null gleichsetzen wollten. Schließlich, wenn wir eine eins als den größtmöglichen Kontrast setzen, dann gibt es ein hell und dunkel, als erschiene die Welt wie auf einem schwarz weiß Foto: Die Kontraste sind so scharf, dass sie in das Auge stechen, die Abtrennung so hart, dass alles sein Eigenleben beginnt. Was passiert mit den Objekten in einer Welt aus 1 und 0? Entweder sie absorbieren das eintreffende Licht oder sie reflektieren es gänzlich. Wir schaffen die Welt also ständig aus dem Bewusstsein der Zahlen heraus. Das ist das Grundprinzip unserer Wahrnehmung und das der Auffassung unserer Welt: Die Erschaffung durch 0 und 1.

      Stellen wir uns nun weiter vor, dass es unendlich viele Nuancen dazwischen gäbe. Stopp: Ich weiß, dass nun so mancher denkt: wie kann etwas nur halb da sein? Und doch, darin liegt das tiefe Verständnis. Zwischen null und 1 liegen unendlich viele Zahlen, genauer: noch nicht einmal die Hälfte von 1 ist zu erreichen: Möchte man zur Hälfte gelangen, so liegt noch die Hälfte der Hälfte, also 0,25, also ein Viertel vor einem. Davon wieder die Hälfte: ein Achtel, dann ein Sechzehntel, ein Zweiunddreißigstel und so weiter. Man kann daran den Kopf verlieren oder es einfach bewundern: Die Unendlichkeit der Zahlen, die unser Denken übertrifft, was macht sie mit unserer Welt? Genau das gleiche: Sie macht sie unendlich: Ausgegangen von unserem schwarz weiß Bild, haben wir nun auch noch Dinge, die das Licht nur ein bisschen oder zu einem hundertachundsiebzigstel reflektieren und damit können wir unendlich viele verschiedenen Dinge erkennen: theoretisch, wenn unsere Augen das könnten, was sie leider nicht tun. Wir sehen immerhin viele bunte Farben, die im Licht spielen und den Formen ihre Erkennungszeichen sind.

      Nun, so verhält es sich natürlich nicht nur mit dem reflektierten Licht, sondern mit dem Sein an sich: Es gibt tatsächlich unendlich viele mögliche Zustände: Auch diese können wir leider nicht wahrnehmen: Unsere Wahrnehmung ist darauf beschränkt, zwischen 0 und 1 zu und den wichtigen dazwischen liegenden wie der für uns vereinfachten Hälfte oder dem Viertel zu unterscheiden. Ansonsten würden wir alles so verschwommen sehen, wie es ist: nicht als Zustand da, sondern als Wahrscheinlichkeit möglich. Denn nichts legt sich gerne fest, wie auch wir nicht. Nur legen wir unsere Welt fest, obgleich sie es nicht ist. Wir tun so, als gäbe es diese Unendlichkeit nicht, weil sie unser Denken übersteigt. Ich hoffe, dass nun deutlich geworden ist, warum Zahlen existentiell für unser Verständnis sind.

      Zurück zum Thema: Speisen wir also einem Ding Intelligenz ein, so geben wir ihm die Null und die eins und es selbst hat alleine dadurch alle Möglichkeiten. So funktioniert es mit den Computern, mit dem Internet. Nullen und Einsen formen sich zu Mustern, entwickeln Brüche, die sich weiter entwickeln und zu neuen Mustern führen, gleich wie unsere Welt durch Zahlen geformt ist. Und das macht uns Angst, dieses mögliche Eigenleben. Doch wollte ich hiermit sagen, dass ihm eine natürliche Entwicklung der Zahlen zu Grunde liegt, wie sie auch der Welt zu Grunde liegt. Objektiv betrachtet, übersteigt die Bildung der Muster und Zahlen, obgleich sie nicht der Wirklichkeit nahe kommt, unsere Fähigkeiten. Doch warum sollten wir uns hier messen? Wenn wir doch nun gesehen haben, wie sinnlos unser gesetztes Maß gegenüber den unbekannten und unendlichen Wirklichkeiten der Welt ist? Wem gegenüber wollen wir uns messen? Die in der Gesellschaft entstandene und ausgeartete Sucht, sich selbst vergleichen zu wollen, entstand durch das uns antrainierte Vergleichsbildende System der Schulen und einem dauerhaften Verlangen nach Anerkennung im Arbeitsleben. Die Vergleiche sind zwanghaft, weil sie in der Gesellschaft verankert sind und wir ihr nicht entfliehen können: Wir brauchen Geld, um zu leben und Geld erhält man für seine Arbeitskraft. Es scheint, als liefen Menschen durch die Stadt, die wie eine Maschine arbeiten wollten und es auch tun, doch aufgrund des Druckes untereinander langsam zu Grunde gehen. Wir