„Du bist ja eiskalt!“
Sie kann wieder unterscheiden. Diesem Mann kann sie vertrauen. Die Spannung weicht aus ihrem Körper, sie lässt sich seine Umarmung gefallen.
Achims Wärme brachte sie zurück.
„Komm!“
Achim geleitete sie zurück ins Bett. Immer noch zitternd, kuschelte sie sich an ihn, er zog die Decke über sie.
„Sag mal, was war denn los?“
Hellwach war sie jetzt, und er offenbar auch.
Ja, was war los?
Achim strich ihr über den Kopf, hielt sie immer noch. Fest, gut. Ja, es war gut, dass er sie fest hielt. Jetzt, wo sie bei sich war, wusste sie, dass es gut war.
„Ich weiß nicht, ich hatte einen Albtraum.“
„Hast du so was öfter?“
„Den Traum habe ich regelmäßig. Es ist… einfach furchtbar. Ich werde verfolgt, von etwas Namenlosem…“ Sie schauderte. „Letzte Nacht hatte ich ihn auch.“
Achim brummte. „Hab ich mir schon gedacht. Da warst du auch plötzlich weg…“
Dann fragte er: „Hast du eine Ahnung, weshalb du ausgerechnet gestern und heute diesen Albtraum hattest? Meinst du, das hat was mit… mit mir zu tun, mit uns?“ Klar, er musste diese Frage stellen.
Wieder seufzte Sharani. „Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Es ist wunderbar mit dir.“ Sie küsste ihn. „Und in der Nacht habe ich dann den Albtraum. Und dann meine ich, ich muss fliehen, einfach abhauen, egal wohin. Aber es hat wirklich mit dir nichts zu tun. Jetzt, wie du mich hältst, das finde ich ganz wunderbar. Und mit dir zu schlafen, das ist auch ganz wunderbar. Ich bin total glücklich. Ich will nicht weg. Wenn ich nur diesen nicht blöden Albtraum hätte!“
„Hast du schon mal an Therapie gedacht?“
Sharani lachte hell auf. „Ich war in Poona, mein Lieber. Ich hab Therapie gemacht rauf und runter. Ich habe auf Kissen eingeprügelt bis zum Gehtnichtmehr. Ich habe Angst und Hass und Wut ausagiert bis zum Umfallen. Aber es hilft nichts. Ich habe das Gefühl, da ist etwas, da komme ich einfach nicht ran. Es zeigt sich im Albtraum und in… in dem Impuls abzuhauen. Ich hatte das ja nicht nur gestern und heute, ich habe das im Grunde immer, wenn mir ein Mann wirklich nahe kommt. Und ich habe immer und immer wieder versucht, das Ganze aus der Zeugenposition anzuschauen. Und das hilft auch, wenn ich wach bin und bei mir bin. Jetzt, da kann ich ganz leicht darüber sprechen, es ist, als ob es nicht zu mir gehören würde.“
„Und doch gehört es zu dir“, sagte Achim nachdenklich.
„Das stimmt schon. Aber ich muss mich doch davon abtrennen können. Ich habe Emotionen, aber ich bin nicht meine Emotionen.“
Achim atmete durch. „Schön in der Theorie. Das kann ja sein, dass das funktioniert, normalerweise. Aber da scheint etwas zu sein, das sitzt tief, so tief, dass du mit dem bloßen Betrachten vielleicht nicht rankommst.“
Beide schwiegen. Wenn ich nicht rankomme… heißt das, es wird mich mein Leben lang verfolgen? Sharani war sich nicht sicher, wie lange sie das aushalten würde, jedes Mal der Albtraum, wenn es eng wurde, innig.
Achim fuhr fort. „Weißt du, ich finde es am besten, das ganz pragmatisch anzuschauen. Wenn dich das Meditieren und diese Zeugenposition nicht
weiterbringen mit diesem schlimmen Erlebnis, dann ist das offenkundig nicht das richtige Mittel. Und das heißt, es ist vielleicht etwas anderes angesagt.“
„Und was soll ich stattdessen machen?“
„Ich weiß es auch nicht. Vielleicht findet sich etwas. Sonst muss ich dich eben jede Nacht zusammenklauben.“
Sie nahm ihm ab, dass er das tun würde. Trotzdem, das wollte sie auf keinen Fall. Sie seufzte noch einmal. Vielleicht findet sich etwas. Vielleicht.
23
Der Anrufbeantworter blinkte, als Hannes zur Tür hereinkam. Wer konnte das sein? Es kam im Schnitt alle vierzehn Tage vor, dass ihm jemand aufs Band sprach. Meistens seine Mutter, ab und zu mal Tobias. Alle wussten ja, dass man ihn erst am Abend erreichen konnte.
„Ruf mich zurück. Ich muss was mit dir besprechen.“
Gabi.
Das hatte es allerdings noch nie gegeben. Seit er vor zwei Jahren ausgezogen war, hatte sie den Kontakt mit ihm praktisch eingestellt. Wenn er die Kinder abholte, klingelte er unten und wartete, bis sie herunterkamen. Lieferte er sie wieder ab, wartete er unten vor der Haustür, bis Lukas oben dreimal kurz auf den Türöffner drückte. Das war das Signal, dass die Kinder in der Wohnung angekommen waren.
Gabi. Obwohl er ihre Stimme in diesen zwei Jahren so gut wie nie gehört hatte, war sie ihm sofort präsent. Rief mit einem Schlag die ganze böse Geschichte wach. Es musste wirklich dringend sein, wenn sie ihn anrief. Wahrscheinlich ging es wieder um die Besuchsregelung. Am Anfang hatte er sein Umgangsrecht einklagen müssen, erst als das Scheidungsurteil stand und der Umgang im Namen des Volkes geregelt war, lief es halbwegs problemlos. Jedes zweite Wochenende waren die Kinder bei ihm. Auch sonntags, selbst wenn das bedeutete, dass sie jeden zweiten Sonntag nicht zur Gemeinde gingen. Die Familienrichterin hatte das Recht der Kinder auf ihren Vater höher eingeschätzt als ihr Recht auf einen charismatischen Gottesdienst.
Hannes seufzte. Er hatte absolut keine Lust auf die Auseinandersetzung, die ihm jetzt wahrscheinlich wieder bevorstand. Aber das Beste war, es hinter sich zu bringen. Er wählte Gabis Nummer.
„Koschnick.“
Sie hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen, klar. Immerhin hatte Hannes erreicht, dass die Kinder ihren – seinen – Namen behielten.
Er müsse am nächsten Wochenende die Kinder außerplanmäßig nehmen. Sie müsse nach Wuppertal.
„Wuppertal? Was machst du denn da?“
Er erwartete eine Abfuhr. Was geht’s dich an? Aber sie antwortete, und ihre Antwort haute ihn um.
„Die Gemeinde will einen Missionstrupp nach Ruanda schicken. Und der Geist hat bestimmt, dass ich mitkommen soll. Am Wochenende ist in Wuppertal die erste Trainingseinheit.“
Ruanda. War das nicht irgendwo in Afrika? Ruanda. Was will sie denn da?
„Äh…“
„Ich muss noch die Tropenuntersuchung machen, aber gesund bin ich ja. Sonst hätte der Geist mich nicht auserwählt. Wenn der Aussendungsvertrag unterschrieben ist, gehe ich noch mal nach Wuppertal, für vier Monate, und dann gleich anschließend, so Gott will und wir leben, nach Ruanda.“
„Äh…“
„Der Einsatz ist erst mal für zwei Jahre geplant, aber es kann gut sein, dass wir verlängert werden.“
„Äh… und die Kinder?“
Gabi zögerte keine Nanosekunde.
„Bleiben bei dir. Du wolltest doch immer ein guter Vater sein.“
„Und du? Wolltest sie doch nie hergeben…“
„Wenn der Herr ruft, was kann wichtiger sein? Natürlich fällt es mir nicht leicht, die Kinder hier zu lassen. Aber die Berufung geht vor. Du weißt doch, was Jesus sagt: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Lukas vierzehn, sechsundzwanzig.“
Sie klang aufgekratzt. Sehr aufgekratzt. Fast wie auf Koks. Aber – Gabi und Koks? Völlig undenkbar. Hannes nahm den Hörer vom Ohr und sah ihn an, als enthielte er die Antwort auf die Frage, was in