Sex & Gott & Rock'n'Roll. Tilmann Haberer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tilmann Haberer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742775788
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schmurgeln konnte, bis es Zeit war. Zu Schluss eine Crème brulée, die sie am Abend vorher schon gemacht und im Kühlschrank kalt gestellt hatte. Das war immer ein besonderer Effekt, wenn sie den Zucker am Tisch mit dem kleinen Flammenwerfer karamellisierte. Mit der Weinauswahl hatte sie keine Mühe. Achim trank sowieso keinen Alkohol und sie war glücklich mit ihrer Kanne Yogi-Tee.

      Zwei Stunden brauchte sie, um ihre Garderobe auszuwählen. Ein Outfit nach dem anderen probierte und verwarf sie, schließlich entschied sie sich für einen knielangen, schwingend geschnittenen plissierten Rock aus grün-schwarz changierender Seide, ein schwarzes Top mit breitem, aber nicht zu tiefem Ausschnitt, und ein Bolerojäckchen aus dunkelgrünem Samt. Nur eine dünne Silberkette mit dem Om-Zeichen als Anhänger, nur einen Ring – Silber mit einem großen Amethyst. Dazu passende Ohrringe. Prüfend betrachtete sie sich im Spiegel. So richtig zufrieden war sie nicht, aber etwas Besseres fiel ihr jetzt nicht mehr ein. Die Haare flocht sie zu einem lockeren Zopf. Dezentes, aber sorgfältig aufgetragenes Makeup. Noch einmal der Blick in den Spiegel. Okay, Achim würde nicht gleich schreiend davon laufen, wenn er sie so sah. Die letzte halbe Stunde vor dem vereinbarten Zeitpunkt saß sie auf dem Kissen und atmete die Aufregung weg. Nahm die Position des unbeteiligten Zeugen ein. Wie dankbar war sie für diese Möglichkeit.

      Als Achim drei Minuten nach sieben klingelte, war sie vollkommen gelassen.

      Er auch. Mit einem breiten Lächeln stand er in der Wohnungstür, einen ganzen Busch bunter Rosen in der Hand. Sharani nahm sie ihm ab.

      „O, die sind ja wunderschön.“

      Achim nickte. „Nicht halb so schön wie du.“

      Nichts mehr war es mit der vollkommenen Gelassenheit. Sharani spürte, wie sie rot wurde, wie ein kleines Mädchen!

      „Quatschkopf“, sagte sie. „Süßer Quatschkopf.“

      Sie. Sharani, die bei den Männern immer coole. Auf einmal verlegen. Das gibt’s nicht.

      Aber Achim benahm sich so selbstverständlich und normal, dass die Verlegenheit schnell wieder von ihr abfiel. Er aß wie ein Bär, während sie mit der Gabel hin und wieder eine Olive, ein Stückchen Zucchini vom Teller pickte.

      Dann ließ er sich den Weg zur Toilette zeigen.

      Sharani saß vor dem halb leer gegessenen Teller und schüttelte leicht den Kopf. Er ist doch nur ein Mann. Aber das stimmte eben nicht. Natürlich war er ein Mann. Ein attraktiver, bewusster, humorvoller Mann. Aber das war es nicht. Auf welcher Ebene, mit welchen Schwingungen er sie erreichte, konnte sie gar nicht sagen. Klar war nur: Er traf sie mitten ins Zentrum. Wie noch kein Mann vor ihm, abgesehen von Johnny. Aber Johnny lief sowieso außer Konkurrenz. Sie konnte es nicht genauer fassen, aber wozu auch! Er war jetzt hier und es würde kommen, was kam.

      Achim kam zurück, setzte sich nicht mehr auf den Stuhl gegenüber, sondern auf den rechts von ihr. Seitlich, ihr zugewandt. Sharani erschrak ein bisschen. Es war klar gewesen, dass das nun dran war. Sie hatte es ja so gewollt. Aber so schnell…? Sie nahm den Ellbogen vom Tisch, drehte sich ihm zu. Ganz ernst sah er drein, als er die Hand ausstreckte, ihre Hand nahm. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Mit dem Daumen streichelte er ihren Handrücken, dann spürte sie seine andere Hand leicht auf ihrer Wange. Wie von selbst neigte sich ihr Oberkörper nach vorn, ihm entgegen. Und beugte sich er zu ihr und küsste sie. Mit leicht geöffneten Lippen, ein Hauch nur. In ihrer Nase, in ihrem limbischen System die Ahnung eines herben, holzigen Duftes. Sie öffnete ebenfalls die Lippen und erwiderte den Kuss. Spürte, wie ihr Atem sich mit dem seinen vermischte. Konnte einen tiefen Seufzer nicht zurückhalten.

      Achims Gesicht immer noch ganz nah an ihrem. Immer noch war kein Wort gefallen. Aber wozu auch Worte?

      Nun suchte sie seinen Mund. Hob ihre Hand zu seinem Nacken, zog ihn zu sich. Küsste ihn wieder. Offener. Tiefer.

      Die andere Hand an seinem Hals, in seinem kurzen Haar. Seine Hände nun an ihrem Rücken, ihre Körper zwischen den Stühlen fast in der Schwebe, dem Absturz nahe. Atemlos sie beide.

      Sharani wurde von einer Welle überrollt und davongetragen. Ja, es war jetzt, wie es war. Jetzt küsste er sie, und er küsste sie gut. Er roch gut, er schmeckte gut, er fühlte sich gut an, alles war gut.

      Auf einmal fasste er sie unter Armen und Beinen und hob sie einfach hoch. Trug sie aus dem Wohnzimmer in den Gang, steuerte zielstrebig auf die Schlafzimmertür zu. Die einzige Tür, die geschlossen war. Drückte mit dem Ellbogen die Klinke, schob die Tür auf, sah sich kurz um. Ließ sie ganz sacht und vorsichtig aufs Bett gleiten. Sie lag auf dem Rücken, fühlte sich vollkommen wehrlos und ausgeliefert. Panik… Sie versuchte ruhig zu atmen. Spürte jetzt, wie er neben ihr saß. Durch die halb offene Tür fiel ein schwacher Lichtschein. Sharani schloss die Augen. Lass jetzt geschehen, was geschieht. Atmete tief und so ruhig sie konnte.

      Achim war sehr behutsam. Sehr. Die Vorsicht, mit der er ihr die Kleider abstreifte, die Achtsamkeit, mit der er ihren Leib erforschte, mit Fingern, Lippen, Zunge, hatte fast etwas Ehrfürchtiges. Die Panik verflog, sie fühlte sich vollkommen sicher.

      „Achim“, flüsterte sie.

      „Ja?“

      „Ich will, dass du dich auch ausziehst. Für mich.“

      Ohne ein Wort setzte er sich auf, zog das Hemd über den Kopf, die Hose fiel zu Boden, sie spürte ihn neben sich. Endlich war es so, wie es gehörte. Nun machte sie sich daran, ihn zu erforschen, zu tasten, zu schnuppern, zu schmecken. Und dann war er bei ihr, in ihr, sie waren zusammen, endlich, und immer noch ließ er sich Zeit, begegnete ihr mit Respekt, und gleichzeitig voller Verlangen. Jede ihrer Empfindungen schien er vorauszuahnen, seine Hände, sein Mund, sein Leib taten genau das, was sie tun mussten. Sie war ganz offen, ganz offen für ihn, alle Mauern gefallen, alle Vorbehalte im Wind zerstreut, sie war nur noch Ja und Komm und Du, zitterte unter seinen Händen, glühte in seinem Griff. Sie fiel, fiel, aber es war kein Sturz ins Bodenlose, sie fiel und blieb bei sich, war wach und bewusst und gleichzeitig entgrenzt, nicht mehr nur Sharani, war die Erde, der Kosmos, und doch in ihrem Schlafzimmer, halbdunkel, Keuchen, Schweiß, jetzt endlich ließ auch er die Kontrolle fahren, wurde zum Tiger, zum Stier, stieß sie mit aller Kraft, aber sie war vorbereitet, offen, konnte alles nehmen, alles, war seine Venus, sein Gefäß, er ihr Heros, mächtig und stark, alles war losgelassen, alles, und in einem gewaltigen Aufbäumen schleuderte er all seine Kraft aus sich heraus, und sie schleuderte alle Kraft ihrer Empfänglichkeit ihm entgegen, und die Kräfte trafen sich in der Mitte, wurden zum Feuerball… Einen Moment lang, meinte sie hinterher, war sie bewusstlos, es war zu viel, sie spürte nichts mehr, hörte nichts mehr, hörte ihren eigenen Schrei nicht, der sich mit dem seinen vermischte, ein mächtiger Zweiklang, und dann kam das Gefühl wieder, die Woge, das Feuer, das in sich zusammenbrach, der Funkenflug, der noch über sie hinweg, durch sie hindurch sprühte, die Nachbeben, die ihre Leiber schüttelten, bis sie erschöpft beieinander lagen, ineinander verknäult und verwoben, sie in seinen Armen und er in ihren, seine brennende Haut an ihrer, ihr Haar in seinem Mund, sein langsam sich beruhigender Atem in ihrem Ohr, seine Hände, zwei jetzt wieder und nicht mehr tausend, auf ihrem Schenkel, ihrer Hüfte, Ihr Arm um seinen Kopf geschlungen, in ewiger Verbindung. Der Atem jetzt allmählich wieder ruhiger. Sein Duft um sie her. Seine Kraft in ihrem Schoß, ihre Kraft wie eine bergende Hülle um ihn.

      Ohne ein Wort lagen sie da und glitten in den Schlaf. Mit dem letzten Rest Wachheit registrierte sie, wie er sich vorsichtig von ihr löste, sich aus ihr zurückzog, in Löffelhaltung sich hinter sie schmiegte. Dann hüllte der Schlaf sie von allen Seiten ein.

      ***

      Seit vielen Monaten zum ersten Mal wieder der Albtraum. Sie liegt im Dunklen, auf dem Rücken, und auf ihrer Brust ein schweres Gewicht. Sie weiß nicht, was es ist, aber es droht ihr die Luft abzudrücken. Sie will sich wehren, aber sie kann sich nicht bewegen. Sie will schreien, aber kein Ton kommt aus ihrem Mund. Das Gewicht wird schwerer und schwerer, die Panik wächst und wächst, sie ist gelähmt und stumm. Versinkt in einem Abgrund. Weiß, dass sie jetzt sterben muss.

      Sie findet sich senkrecht im Bett sitzend, schweißnass, splitternackt, das Herz hämmert in der Brust, im Hals,