Sex & Gott & Rock'n'Roll. Tilmann Haberer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tilmann Haberer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742775788
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Willen wurde ihr Lächeln breiter. Sie nickte langsam. „Ich war jahrelang seine Schülerin. Habe sozusagen zu seinen Füßen gesessen.“

      „Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber mich interessiert alles, was mit Bhagwan zu tun hat. Wissen Sie, damals, vor fünfzehn, zwanzig Jahren, wäre ich selbst nie auf die Idee gekommen, nach Poona zu gehen. Und heute denke ich mir manchmal: Vielleicht wäre es der Weg für mich gewesen.“

      „Und warum sind Sie damals nicht gegangen?“ Einen kurzen Moment stellte Sharani sich ihn in orangen Klamotten vor, die Mala um den Hals, der Bart wilder, die Haare länger. Könnte passen.

      Der Mann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es kam einfach nicht infrage. Ich war damals sehr… hm. Sehr angepasst vielleicht. Die Bhagwans mit ihren roten Kleidern und der berüchtigten freizügigen Lebensweise haben mich eher abgeschreckt. Ich musste erst durch eine ziemliche Krise, bevor ich überhaupt daran denken konnte, einen anderen Weg einzuschlagen als den üblichen: Abitur, Uni, Job, Frau und Kinder, Rente und so… Und da war es viel zu spät für Poona. Ich bin einfach einen anderen Weg gegangen.“

      Interessant. Wie ein sehr spiritueller Mensch sah er eigentlich nicht aus. Aber was sagte schon das Aussehen!

      „Welchen Weg… wenn man fragen darf?“

      Sein Lächeln war jetzt schon fast unverschämt offen. „Man darf, natürlich. Wobei… es ist kein Weg in diesem Sinne. Also, kein spiritueller Weg. Ich mache mir so meine Gedanken über Gott und die Welt, aber ich bin nicht religiös, und auch nicht spirituell. Aber irgendwie, wenn ich darauf stoße, merke ich, dass es mich tief drinnen doch irgendwie anspricht. Und deswegen finde ich es spannend, heute mit einer leibhaftigen Sannyasin im Zug zu sitzen.“

      „Leibhaftig…“ Sharani musste lachen. „Klingt wie der Leibhaftige…“

      Schlagartig war der Mann ernst. „Aber nein! Ich würde einfach gern mehr über Bhagwan erfahren, oder, nein, jetzt heißt er ja anders…“

      „Osho.“

      „Ah ja, richtig. Also, ich würde gern mehr über Osho erfahren, mehr als ich aus Büchern lernen kann. Deswegen. Deswegen würde ich Ihnen, wenn es recht ist, gern ein paar Fragen stellen.“

      „Nur zu!“ Sharani legte das Buch auf den Tisch und stützte die Ellbogen auf. „Über Osho und die Zeit damals rede ich immer noch gern.“

      Der Fremde stellte kluge Fragen, hörte aufmerksam zu, hatte einen umwerfenden Humor. Sie lachten viel, gingen zwischen Stuttgart und Ulm in den Speisewagen, erzählten und fragten immer weiter. Sharani hätte ihn gern ebenfalls ausgefragt, aber etwas hielt sie ab, ihn auf seine „ziemliche Krise“ anzusprechen. Und er selbst machte keine weiteren Andeutungen.

      Scheinbar urplötzlich wurde der Zug langsamer. Sharani sah hinaus. „O, wir sind gleich in Pasing. Da steige ich aus.“ Der Fremde stand auf. „So ein Zufall. Ich auch.“

      So mitten aus dem Gespräch gerissen. Ohne groß zu überlegen, kramte Sharani in ihrer Tasche nach einem Stift. Schrieb ihren Namen – Sharani – ins Buch und ihre Telefonnummer.

      Mit einem scharfen Quietschen kam der Zug zum Stehen. Sharani angelte sich ihren Rucksack, der Fremde hob einen kleinen Koffer aus der Gepäckablage. Das Buch noch in der Hand, eilte Sharani zum Ausstieg, vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter, dass er ihr folgte.

      Wie verabschiedet man sich jetzt? Sharani machte es kurz. Sie hielt ihm das Buch hin, da aufgeschlagen, wo sie ihre Nummer notiert hatte.

      „Ich würde mich freuen, wenn du mich mal anrufst.“ Kein Sie mehr.

      Er sah überrascht drein, erfreut. „Gern… Sharani“, las er. „Ich bin Achim.“ Nickte, hob die Hand.

      Sie widerstand dem Impuls, ihn zu umarmen. Hob ebenfalls die Hand zum Gruß. „Ciao, Achim.“ Dann drehte sie sich um und sprang die Treppe hinunter.

      ***

      Sie war noch nicht ganz zur Tür herein, da läutete das Telefon. Sie nahm den Hörer ab, den Rucksack noch auf den Schultern.

      „Ja?“

      „Ich weiß, das ist jetzt ziemlich uncool. Aber ich wollte deine Stimme einfach noch mal hören. Es ging vorhin so schnell.“

      Ein Adrenalinstoß. „Ja.“ Uncool? Und wenn! Coole Männer konnte sie nicht ausstehen. Und jetzt?

      „Achim“, sagte sie.

      „Ja.“

      „Uncool ist es vielleicht. Aber dann ist es auch uncool, wenn ich sage, dass ich mich total freue. Mir ging es auch zu schnell.“

      Pause. Im Hintergrund hörte sie Straßengeräusche. Er ist in einer Telefonzelle. Nein, Quatsch, so ein Geschäftsmann hat ein Handy.

      „Schön. Dann darf ich auf eine Fortsetzung hoffen?“

      „Gern. Sehr gern.“

      Blöde Kuh, das ist jetzt wirklich sehr uncool. Aber sie hatte überhaupt keine Lust auf die üblichen Flirtspielchen. Zappeln lassen. Bullshit. Er gefiel ihr einfach, Punkt.

      „Gut. Darf ich dich heute Abend anrufen? Ich habe jetzt gleich einen Termin.“

      „Heute Abend? Okay, nach acht. Ja?“

      „Nach acht. Gut.“

      Zögern. Auf beiden Seiten.

      „Dann…“

      „Bis später.“

      „Bis später.“

      Er legte noch nicht auf. Sie auch nicht.

      „Achim?“

      „Ja.“

      „Ähm… schon gut. Bis heute Abend.“

      Immer noch ein Zögern.

      „Ähm…“

      „Ja?“

      „Danke für das Buch.“

      „Oh. Gern.“

      „Ciao.“

      Sie legte auf. Spürte das Herz im Hals.

       Vorsicht!

      Wieso Vorsicht?

      ***

      Vorsicht! Wieso Vorsicht? Natürlich, es war einfach in ihrem ganzen Leben noch nie gut gegangen mit den Männern. Es war reiner Selbstschutz, vorsichtig zu sein. Sharani packte den Rucksack aus, sortierte die Klamotten, warf in die Waschmaschine, was zu waschen war, räumte den Rucksack in den Schrank. Machte sich eine Kanne Tee, aß einen Apfel.

      Lief ziellos durch die Wohnung.

       Hallo?

      Gedanken schossen ihr durchs Hirn, Bilder, Fantasien. Hatte doch dieser Achim in zwei, drei Stunden ihr ganzes System in Aufruhr gebracht!

       Schluss.

      Sie setzte sich aufs Kissen. Es war halb sechs. Noch zweieinhalb Stunden.

      Sie spürte. Atmete. Ließ die Gedanken los. Sie war geübt, nach kürzester Zeit war sie ganz in der Gegenwart, auf dem Kissen. Hatte sich abgekoppelt von Gedanken, Bildern, Fantasien, die einander jagten in der leeren Weite ihres Geistes. War bei sich. In der Position des unbeteiligten Zeugen. Ich habe Emotionen, aber ich bin nicht die Emotionen.

      Und rutschte heraus. Beobachtete sich dabei, wie sie der Erinnerung nachhing, wie sie sich seinen Anruf ausmalte.

      Zurück zum Atem. Zurück in die Gegenwart. Die Gegenwart ist das Einzige, was ist.

      Allmählich fand sie ihre Mitte wieder, ihre Seelenruhe, die Zeugenposition. Konnte diesen Achim loslassen und das, was ihr flatterndes Herz aus der kurzen Begegnung zu machen versuchte. Sie würde es ja sehen.