Im Flugzeug stiegen mir immer wieder verführerische Gerüche in die Nase. Zwischen dem widerwärtigen Nebel aus Parfüm, Make up, Cremes, Deodorants und Schweiß drückte sich eine seltene Blutgruppe hervor. Wie süßer Honig gaukelte sie mir vor getrunken werden zu wollen. Ich hatte das Gefühl verrückt zu werden! Warum gerade in dieser Enge? Dazu kam noch das rhythmische Schlagen von unzähligen Herzen. Wie ein Konzert der weltbesten Band klimperte es in meinen Ohren. Ich krallte mich in den Lehnen meines Sitzes fest und schaute panisch auf die Uhr. Erst zwei Stunden vergangen und der Flug schien noch endlos zu sein. Ich sackte in meinem Sitz zusammen und fühlte mich so beengt, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Warum hatte man mir auch noch zusätzlich einen Sitz zwischen zwei Männern gegeben, die nicht gerade dünn waren? Tief atmete ich ein und guckte an die Decke. Die Schalter für das Licht und die Flugbegleitung vermochten mich nicht zu beruhigen und so schloss ich die Augen. Es war so schwer dies alles zu verdrängen. Die Begierde schoss in mir hoch wie ein Pfeil. Sie stach in mein Herz und vergoss ihr bitteres Gift in meinen Lebenskreislauf. Nichts schien mich zur Ruhe zu bringen. Die Hände zitterten und der Atem ging schwerfällig. Der Speichelfluss hörte nicht auf und beherrschte meinen Mund wie Wasser das Meer. Während sich alles zu drehen anfing, glaubte ich am eigenen Leib zu erfahren, wie es war verrückt zu werden. Ich drehte durch! Es war so weit! Kriegerisch kämpfte ich dagegen an. Drängte die ganzen Gefühle in eine Kiste und schloss sie zu.
Hastig schlug ich die Augen auf und suchte nach Ablenkung. Grummelnd griff ich nach einer Zeitung, die in der Rückenlehne meines Vordermanns verborgen war und blätterte geistesabwesend darin herum. Irgendetwas musste mich doch einfach ablenken können?! Doch egal was ich las, die Zeilen wurden ständig von den Gesprächen der Umgebung untermalt. Auch wenn die Menschen im Glauben waren, sehr leise zu sprechen, drangen ihre Unterhaltungen wie Donnerschläge an mein Ohr heran. Hier und da nahm ich ungewollt Dinge auf, die ich nicht wissen wollte und die wohl auch niemanden etwas angingen.
In dieser kurzen Zeitspanne hatte sich dieses Bild ziemlich oft wiederholt, doch der gewünschte Effekt von Gelassenheit und Gleichgültigkeit blieb leider aus.
Schließlich zerknüllte ich wutentbrannt das Papier, warf es auf den Boden und fluchte wie wild. Wie ein wütendes Kind stampfte ich auf den Boden, als wenn ich nicht das bekommen hatte, was ich wollte. Der Ton, den ich erzeugte, war dumpf und quoll wie eine Welle durch den Gang. Für einen Sekundenbruchteil erstarrte ich und war nur glücklich darüber, das Flugzeug nicht beschädigt zu haben. Die verwunderten und abwertenden Blicke aus meiner näheren Umgebung sprachen für sich, aber das war mir egal. Nicht, das ich diese sowieso schon die ganze Zeit in Anspruch genommen hätte, denn wer trug schon eine Designersonnenbrille in einem Flugzeug und war so blass wie ein Toter?
Schmollend verschränkte ich die Arme vor der Brust, griff nach meinem Kopfhörer, der auf meinen Schoß lag und versuchte mich auf den Film zu konzentrieren. Die ersten Szenen flimmerten gerade über die Bildschirme.
Bei den letzten Flügen war es mir sichtlich besser ergangen. Denn meine übertriebene Nahrungsverweigerung zeigte nun erneut seine potenzielle Kraft. Zwar hatte ich extra daran gedacht genügend vor Abflug zu trinken, aber die ganze Zeit zuvor hatte ich in Abstinenz gelebt. Natürlich von den zwei Malen abgesehen, wo Marie im Haus gewesen war. Ich hatte mir den ersten Vorfall nicht genug zu Herzen genommen, was sich als fatalen Fehler herausstellte. Nun wusste ich, wie sich ein Pfarrer fühlen musste und beneidete ihn in keinster Weise, selbst dann nicht, wenn er sich freiwillig für dieses Leben entschieden hatte.
Mein Experiment schien allerdings zu geringen Teilen Erfolg zu zeigen. Trotz meines Hungers verspürte ich noch keine erneute Einschränkungen meines Sehvermögens und Ermüdungserscheinungen. Alles in Allem ein kleiner Trost, der leicht dadurch getrübt wurde, dass ich gereizt und unausstehlich war.
In so einem kleinen Raum wie einem Flugzeug war es trotz allem verhängnisvoll. Die Schläge eines jeden Herzens wurden von den Wänden wie Schallwellen zurückgeworfen und ich glaubte fast, dass ich sie magisch anzog. Wie ein schwarzes Loch sog ich sie in mir auf und jeder mörderische Gedanke zog sich schmerzhaft in mein Bewusstsein. Eine Zeit lang hatte ich sogar mit mir gehadert, ob ich meinem Trieb nicht einfach freien Lauf lassen sollte. Kurz darauf verwarf ich die Idee wieder. Denn wie sollte ich ein Flugzeug steuern? Na ja, ich hätte auch einfach die Besatzung am Leben lassen können. Doch irgendwie wollte mir nicht in den Sinn, wie ich nach der Landung unauffällig meiner Jagd nachgehen konnte, wenn ich wieder einmal einen Pfad der Verwüstung hinterließ!
Nein! Nein! Nein! Nein, nicht schon wieder! Immer wieder nötigte mich mein Instinkt dazu diese Worte in meinem Kopf zu materialisieren und so drückte ich parallel den Lautstärkeknopf auf meiner Lehne. Mein Sitznachbar hatte sich keine Kopfhörer gekauft, aber mittlerweile war dies auch nicht mehr von Nöten, denn er konnte die Sätze und die Filmmusik bereits von mir aus gut abfangen. Es war mir egal wie ich auf die vielen Sterblichen wirkte. Vermutlich hätte ich an ihrer Stelle auch über mich gelacht oder gelästert. Aufgeblasene Wangen, zusammengepresste Lippen, fanatischer Blick zum Bildschirm, knirschende Zähne, ein krankhafter Zwang den Lautstärkeknopf zu zerstören und ein Gesamtanblick, als wenn ich derart Flugangst hätte, die schon an Wahnsinn grenzte. Irgendwie begann ich an meiner Plan zu zweifeln und das schon nach so kurzer Zeit!
Auch wenn die Lautstärke bereits ihr Maximum erreichte, wollten meine Reflexe die Fingerspitze und den Knopf nicht trennen. Sie waren zu einer Einheit geworden. Wie unter Trance drückte ich weiter und starrte auf den flimmernden Bildschirm. Der Film war ziemlich langweilig. Selbst die vielen Actionszenen konnten ihn nicht aufleben lassen und das Blut was hier und da an den Darstellern klebte, half nur unwesentlich dazu bei mich zu beruhigen. Ganz um Gegenteil! Es ließ Bilder in meinem Kopf entstehen, die ich nur sehr schwer los wurde. Eine Verschwörung, wie so oft! Warum traf eigentlich nur mich das blanke Pech?
Dann glaubte ich etwas gehört zu haben. Etwas, was nicht zum Film passte und schüttelte einfach nur leicht den Kopf. Angespannt wie eine Bogensehne beugte ich mich vor und kniff krampfhaft die Augen zusammen. Wie ein Tier fixierte ich meine Beute. Nichts sollte mich von diesem kleinen Kasten über den Köpfen meiner Vorderleute ablenken.
Doch dann hörte ich wieder etwas. Ein Gemurmel drang an mein Ohr und ich glaubte fast zu zerplatzen. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass durch diese Lautstärke noch immer Stimmen von Außen an mich herantraten. Ich wollte sie endlich in weite Ferne wissen. Mein rechtes Augen begann widerspenstig zu zucken.
Ich konnte gar nicht aufhören den Lautstärkeknopf zu drücken, es mutierte zu einer regelrechten Sucht! Immer schneller drückte ich den Knopf.
Plötzlich bemerkte ich eine träge Reaktion zu meiner Linken und fluchte aufs Neue innerlich darüber, dass man mir ein Ticket zwischen zwei Menschen verkauft hatte.Wie toll wäre es wohl gewesen links oder rechts zu sitzen und nur einen nervigen Nachbarn zu haben?!
Der Druck auf meinem linken Ohr ließ nach und der Kopfhörer wurde leicht angehoben. Der Lärm der Umgebung prasselte auf mich ein wie ein schlimmer Jahrhundertregen.
››Putenbrust oder Lachs?‹‹, schrie eine quirlige Frauenstimme in mein Ohr und ich zuckte unter dem brutalem Ton zusammen. Er war so nah wie ein donnernder Gong! Erschütterungen vibrierten durch all meine Zellen und ließen einen Schmerz im Kopf entstehen, der mich um den Verstand brachte. Ich fühlte wie das Tier in mir sich zu winden begann. Es kämpfte gegen die drohende Gefahr einer Niederlage.
In diesem Augenblick sah ich Rot. Blutrot! Und es war nicht der Schleier, der mir die Sicht nahm, es war das endgültige Gefühl in die Tiefe gezogen zu werden. Ein Abgrund, der von Wut und Zorn nur so strotzte. Ich fühlte mich wie ein Stier vor dem Stierkampf. Er wusste, dass er irgendwann unterliegen würde. Dennoch würde er noch einmal mit aller Kraft das rote Tuch jagen, was ihn so sehr verpönte!
Sicherlich,