Werwolfsgeheul. Melanie Ruschmeyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melanie Ruschmeyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847650645
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so sehr auf irgendeine Reaktion von ihm. Ein Stottern, ein Freudenschrei, ein Danke oder was auch immer! Nichts. Er war zu Stein mutiert.

      Demonstrativ klemmte ich meinen Rucksack zwischen die Beine und zog den Anorak aus. Jeder konnte sehen, dass er extrem teuer und warm war. Sicher könnte auch der Obdachlose nicht widerstehen, sich in ihm zu wärmen. Mir würde ein löchriger Mantel nichts ausmachen.

      An einem Finger baumelte das guten Stück und wartete auf seinen neuen Besitzer. Vermutlich würde mich Josy dafür ohrfeigen, wenn ich sie wieder sah, doch das machte mir gerade recht wenig aus. Dieser Mensch konnte ihn weitaus mehr gebrauchen, als ich.

      Krampfhaft stand er auf und versuchte sich steif den Mantel abzustreifen. Dabei ließ er seine Auge nicht einen Zentimeter von dem Geldschein abweichen. Zitternd reichte er mir sein altes, zerschlissenes Kleidungsstück. Es war der erste Moment, in dem er es wagte sich von dem Geld zu lösen. Fragend und durchdringend betrachtete er mich. Der Mann rieb sich die Augen. Er glaubte wohl dass alles nur ein schlechter Traum sei.

      ››Ich bin sicher, dass du kein schlechter Mensch bist und nicht wirklich die Schuld hieran trägst. In diesem Sinne nutze deine Chance‹‹, sagte ich in ruhigem, sanftem Ton und streifte nur kurz seine Hand bei der Kleidungsübergabe. Hastig zuckte er vor meiner äußeren Kälte zurück, drückte meinen Anorak an seine Brust und rieb sich die Hand. Geschockt hatte sich sein Mund geöffnet und er linste zu meinem Geldschein hinunter. Er war noch da.

      Mir war nicht bewusst, ob er wegen der Berührung zu zittern begonnen hatte oder ob es die Erkenntnis war, das sich womöglich sein Leben doch noch in die rechten Bahnen lenken ließ. Für mich war es nicht viel Geld gewesen, doch für ihn könnte es wirklich ein neues Leben bedeuten.

      ››Danke‹‹, gab er von sich und ließ dennoch seine überraschte Miene nicht abklingen.

      Ich lächelte.

      ››Ich danke ihnen vielmals‹‹, sagte er noch einmal und zog seinen neu errungenen Anorak an. Er war ihm viel zu klein und dennoch würde er ihn um einiges mehr wärmen können, als sein alter. Der Obdachlose schien sich sichtlich wohl zu fühlen. Er kuschelte sich in den Stoff.

      Plötzlich fiel er auf die Knie. Hob und senkte seinen Oberkörper. Er schien zu beten oder mir auf unglaubliche Art seine Dankbarkeit auszusprechen.

      Ich hüllte mich mit dem Mantel ein und erstickte so zum größten Teil meinen Eigengeruch. Der Stoff stank nach Schweiß, nasser Gosse, Urin und Müll. Er kitzelte derart in meiner Nase, dass ich das Gefühl hatte wie durch eine Zwiebel weinen zu müssen. Somit war diese Errungenschaft genau das Richtige!

      Ich drehte mich ohne ein Wort um und ging. Aus dem Hintergrund hörte ich, wie der Mann hastig seine Sachen zusammenpackte.

      Nun konnte meine eigentliche Jagd endlich beginnen. Das Adrenalin überflutete mich. Jeder weitere Schritt auf dem Gehweg fühlte sich an wie ein Höhenflug. Allmählich wurde mir bewusst, dass ich das erste Kapitel meiner Reise abgeschlossen hatte. Auch wenn es nur ein kleiner Teil war, hatte ich ihn dennoch vollkommen alleine bewältigt. Tief versank mein Kopf in dem übergroßen Mantel und ich grinste breit, als ich durch die Dunkelheit spazierte.

      Das Licht der wenigen Laternen mied ich und schlich wie ein Schatten an ihnen vorbei.

      Alles ging von ganz alleine. Ich fühlte mich wie ausgetauscht; wie auf der Pirsch, der ich mich vollends hingegeben hatte. In völligem Einklang mit meinem inneren Tier, schaute ich mich um. Jetzt stand ich dem größten Problem meines Abenteuers gegenüber. Etwas, was ich im Vorhinein nicht genau durchleuchten konnte. Viel hatte ich darüber nachgedacht und war doch immer zu ein und dem selben Schluss gekommen: Die Zeit würde es mir offenbaren. Ich durfte nicht zu ungeduldig sein.

      Doch wo sollte ich anfangen? Ich wollte nicht den Werwölfen direkt in die Arme laufen. Mein Weg sollte mich nicht sofort nach Tibet führen. Das war viel zu gefährlich, denn meine Informationen waren einfach zu gering und zu schwankend. Umsonst sollte ich mein Dasein nicht aufs Spiel setzten. Es musste eine andere Lösung geben, um sicherer und schneller zu Reisen. Vielleicht konnte ich mehr über das Gebirge erfahren?! Vielleicht sogar über die Unruhen! Jede noch so kleine Kleinigkeit könnte mir helfen und mir einen Vorteil verschaffen.

      Im Internet hatte ich durch ein Forum über eine kleine Kneipe am Stadtrand erfahren. Dort hielten sich viele Journalisten auf. Es war ein Ort, wo sie Informationen, Hirngespenster und eventuelle Schlagzeilen austauschten. Die Zeiten waren korrupt und finster, was diese Kneipe wohl sehr prägte. Die Schlagzeilen wurden oft gezinkt und mit Geld bezahlt. In einer solchen Großstadt gab man sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden! Eine Hand wusch die andere, so war es leider. Jeder war sich selbst der Nächste.

      Schlägereien waren dort an der Tagesordnung. Angeblich war es der Sumpf der Stadt. Ausgestoßene, Straßendiebe, Verbrecher und anderes Gesindel erhielten in diesen Wänden Unterschlupf. Ich wollte mich davon überzeugen.

      Dies war der einzige Rettungsanker, der mir blieb und nachdem ich energisch griff. Ich musste alles aufsaugen wie ein Schwamm.

      Sicherlich würde es nicht die Art Gegend sein, in der ich mich gerne herumtrieb, aber zur Zeit hatte ich kein Recht Ansprüche zu stellen. Schließlich entschied ich mich für einen Weg, der nicht gerade von Anstand strotzte.

      Zielstrebig machte ich mich auf, dem Pfad zu folgen, den ich so oft auf der Landkarte abgetastet hatte. Ich kannte jeden Winkel und jede Ecke in diesem verlassenen Stadtviertel. Alles schien perfekt, als ich wie eine schwarze Katze durch die Finsternis trat. Die Nacht war der beste Verbündete dieser korrupten Menschen, die dort verkehrten und würde heute hoffentlich auch der Meinige sein.

      Während die Straßen stetig an Dunkelheit gewannen, je mehr ich mich meinem Ziel näherte, wuchsen auch die gespenstischen Schatten um mich herum.

      Die Laternen erfassten Silhouetten und projizierten sie auf den Boden unter meinen Füßen. Ich zog die Kapuze meines Mantels weit über mein Gesicht und verzog den Mundwinkel, als der stinkende Stoff meine Nase berührte. Den Kopf auf den Boden gerichtet, folgte ich dem Verlauf der schmalen Nebengasse und lauschte den Geräuschen den Nacht. Leise tropfte das Regenwasser vergangener Tage aus der vollen Rinne eines Hauses in eine Pfütze. Meine fast tonlosen Fußsohlen würden für Menschen vermutlich unhörbar sein und umso näher ich meinem Ziel kam, desto lauter wurden die Geräusche von zwei Betrunkenen, die sich energisch stritten. Gern hätte ich hier um die Ecken geschaut, so wie Alexander es mir einst beigebracht hatte. Allerdings war dies nur möglich, wenn sich reflektierende Bilder an Spiegeln oder Glas brachen. Leider stand ich hier nur leblosem Stein und Müll gegenüber.

      Als ich um die Ecke bog, sah ich schon von weitem die zwei sich gegenseitig anpöbelnden Gestalten. Mit je einer großen Flasche in der Hand schwankten sie mir entgegen. Immer wieder krachten sie an ihren Schultern zusammen und mussten sich lauthals darüber auslassen, was der jeweils andere doch für ein Dummkopf war. Angewidert bei ihrem Gestank rümpfte ich die Nase. Diese Art von Geruch drängte sich sogar durch den Duftschleier meines Obdachlosenmantels. Ihr Atem triefte regelrecht von Alkohol und drohte jedem, der ihn roch, ebenfalls zu betrinken.

      Angetrunken sangen und stritten sie im Wechsel. Ich war sehr darauf bedacht den beiden nicht aufzufallen und ging ihnen weitestgehend aus dem Weg. Auf eine Auseinandersetzung hatte ich weiß Gott keine Lust.

      Nur wenige Meter hinter ihnen erhob sich die zerkratze Holztür zur Kneipe. Der Schuppen war verwahrlost und glich einem Haus, das jeden Augenblick in sich zusammenstürzen mochte. Der Türknauf triefte von einer Flüssigkeit, die in der Dunkelheit grünlich wirkte. Niemand, allen voran ich nicht, wollte wissen, was diese Masse wirklich war. Es hatte somit noch einen weiteren Vorteil meine Hände mit Lederhandschuhen zu schützen. Tief atmete ich ein und nahm all meinen Mut zusammen, denn irgendwie weigerte sich plötzlich alles in mir, diesen Schuppen zu betreten. Ich lauschte den Getöse im Inneren. Dumpf drangen sie an mich heran. Es wirkte wie jede gut besuchte Kneipe: Gelächter, Geschwätz und Heiterkeit.

      Hastig griff ich nach dem Türknauf und ignorierte das rebellische Gefühl in meinem Unterbewusstsein. Ich trat ein und begutachtete das Geschehen, während das Holz der Tür knarrte.

      Der