Sie fühlte sich wie die kleine Kitty, die verwirrt in den leeren Gängen des Schiffes ihrer Eltern umher irrte. Verzweifelt auf der Suche, ohne jedoch ein Anzeichen von ihnen zu finden. Von einem Moment zum Anderen war sie alleine gewesen. Völlig alleine. Genauso hatte sie nach dem Tod ihrer Schwester erneut empfunden, ebenso wie jetzt in diesem Moment. Doch was hatte sie damals angetrieben in diesem entscheidenden Moment vor beinahe zehn Jahren? Plötzlich begriff sie. All ihre Versuche ihren Ängsten und Schmerzen zu entfliehen waren gescheitert. All die Hoffnungen, die sie in der Isolation gesucht hatte, waren plötzlich spurlos verschwunden. Es gab nur einen Weg, um mit diesen Gefühlen fertig zu werden. Diesen Schmerz und die Trauer ein für alle Mal loszuwerden. Sie musste sich ihren Ängsten stellen. Sie musste die Hoffnung in sich finden, die sie beinahe zusammen mit ihrer Schwester beerdigt hätte. Damit stand ihre Entscheidung fest.
Hogan betrachtete Kate Morgan, wie sie mit emotionslosen Augen vor dem Admiral stand. Offensichtlich hatte er etwas losgetreten, das sie in ihrem Innersten erschüttert hatte. Nur für kurze Augenblicke konnte er etwas in ihren abwesend wirkenden Augen erkennen. Kurze Hinweise auf Wut, Zorn, dem Wunsch nach Vergeltung und eine Verzweiflung, die unendlich erschein. Er wusste nicht, was das Ganze zu bedeuten hatte. Aber offensichtlich würde das Gespräch anders ausgehen, als er sich erhofft hatte. Der Admiral würde nicht sehr erfreut darüber sein.
„Ich mache es!“
Hogan hatte die Worte kaum verstanden, da er befürchtet hatte, dass Admiral Lew nun doch härtere Bandagen einsetzen würde. Er hatte auch nicht das zufriedene Lächeln des Admirals bemerkt als Kate für einen langen Moment so in Gedanken versunken schien.
„Wie bitte?“, brachte er stammelnd hervor.
Kate Morgan lächelte. Es war zwar kein fröhliches lächeln, aber ein doch erleichtertes und unbeschwertes Lächeln. Auch wenn sie keinen Grund hatte, die zusammenhangslose Frage des Captains der Ortega zu beantworten, so tat sie dies freundlich und bestimmt.
„Ich werde es machen. Bringen sie mich zu diesem Schiff.“
Hogan glaubte, dass er sich verhört hatte. Seine Gedanken rasten und sein Herz machte Luftsprünge vor Freude.
„Ich danke ihnen Miss Morgan.“, sagte der Admiral und wirkte ebenfalls mehr als erleichtert. Kate sah ihn an und schließlich umarmte sie den Admiral auf eine unbefangene fast familiäre Art. Erst hier begriff Hogan, dass die Anwesenheit des Admirals keineswegs zufällig gewählt worden war.
„Für Dank ist es noch zu früh. Bringen sie mich zu dem Schiff, dann sehen wir weiter.“, meinte sie und trat dann auch wieder vom Admiral zurück.
„Allerdings habe ich eine Bedingung.“
„Und die wäre?“, fragte der Admiral neugierig.
„Wenn ich wirklich Captain dieses Schiffes werden soll…möchte ich meine Crew selbst aussuchen.“
„Das liegt nicht bei mir.“ Hogan bemerkt an diesem Punkt eine kleine Haltungsänderung des Admirals. Beinahe so, als wäre das ein Punkt, wo er gerne zustimmen würde, ihm aber doch die Hände gebunden waren.
„Wenigstens in dieser Hinsicht wäre ein Entgegenkommen der Admiralität zumindest ein Anfang, wenn Ihnen mein Vertrauen etwas bedeutet.“ Sagte sie ernst.
„Ich werde es im Rat zur Sprache bringen. Crewman Sota wird ihnen ihr Quartier zeigen, machen sie es sich dort bequem.“
Kate schien damit zufrieden zu sein und ließ sich dann vom Crewman ihr Quartier zeigen.
Kate wandte sich zum Gehen um und verließ den Raum. Sie hoffte nur, dass ihr Vertrauen in ihren ehemaligen Mentor nicht enttäuscht werden würde, während der immer noch nervös wirkende Sota sie durch die Gänge der UMS Ortega führte.
10. November 2320 – UMS Ortega (Eintritt ins terrestrische Sonnensystem):
Kate blickte aus einem der Aussichtsfenster. Seit einer halben Stunde etwa, tat sie nichts anderes. Pluto, Uranus und Neptun waren bereits an ihr vorübergezogen. Als sie gerade die Ringe des Saturn passierten, wurde sie wieder an ihre erste Reise, die sie zusammen mit ihren Eltern hatte mitmachen dürfen, denken. Damals war sie erst sieben gewesen, dennoch hatte sie diesen Anblick niemals vergessen. Der Anblick war einer der schönsten, den Kate kannte. Doch in diesem Moment musste sie daran denken, was ihr noch bevorstand. Es gab Augenblicke, da fragte sie sich, was sie sich eigentlich dabei gedacht hatte, als sie auf das Angebot der UMS eingegangen war. Und genau in diesen Momenten musste sie immer an ihre Familie denken. So etwas, wie damals, durfte sich nicht wiederholen. Sie War viel zu lange vor ihrer Verantwortung geflohen. Hatte sich zu lange hinter Trauer und Schmerz versteckt wie das kleine Kind, was sie einmal gewesen war. Doch diese Gefühle durften sie nicht wieder übermannen und vergessen lassen, was sie eigentlich wollte. Sie wollte helfen. Sie wollte all diese Menschen da draußen vor dem bewahren, was sie durchmachen musste. Diese Gedanken bestärkten sie in ihrem Entschluss. Admiral Lew hatte ihr zwar einige Dinge erklärt, doch vieles hielt er immer noch zurück. Ihre Gespräche hatten sich oft auf ihre Ausbildungsjahre und ihr erstes Kommando beschränkt und darauf, welches scheußliche Gericht die Frau des Admirals von Zeit zu Zeit versucht hatte ihm aufzutischen. Es gab auch einige Updates bezüglich des Krieges, den Stand der Dinge und auch das die Ressourcen immer knapper wurden. Doch wenn sie konkreter werden wollte, blockte Lew immer wieder ab, offensichtlich lief der Krieg nicht besonders gut.
In weniger als einer Stunde würden sie die Orbit Werft der UMS erreichen, in der sich das neue Schiff befinden sollte. Das einzige Genaue, was Kate darüber wusste, war, dass es in vier Tagen auslaufen sollte. Mit ihr als Captain. Das hieß, sie hatte vier Tage, um eine Crew zusammenzustellen. Insofern der Rat ihrer Bitte nachkam. Doch wieso sollte er das nicht? Kate hatte so viel für die UMS getan. Ohne sie, würde diese Organisation überhaupt nicht existieren. Die Menschheit hatte sich lieber selbst bekriegt. Im Sinnen nach Ressourcen und Macht hatten die Kolonialen Welten immer wieder untereinander kleine Kriege angezettelt und ihre eigenen Privatarmeen erstellt um ihre Planeten zu verteidigen oder andere zu erobern. Die ersten größeren Angriffe der Invasoren dagegen waren nur am Rande wahrgenommen worden und immer wieder auf andere Kolonialwelten geschoben worden. Die Zahl der Konflikte hatte unüberschaubare Ausmaße angenommen und niemand schaffte es, diese selbstzerstörerische Art einzudämmen. Die Menschen warteten geradezu darauf ausgelöscht zu werden oder sich selbst zu vernichten. Als dann die Bedrohung durch die Invasoren nicht länger ignoriert werden konnte war es für die damaligen Randwelten bereits zu spät. Die ersten provisorischen Kampfverbände erwiesen sich als ineffektiv und unkooperativ, was zu noch mehr Verlusten führte. Bis sie, ein dreizehnjähriges Mädchen, das geschafft hatte, woran so viele gescheitert waren, die wesentlich mehr Kriegserfahrung hatten, als sie. Sie hatte den Menschen Hoffnung im Kampf gegen die Invasoren gegeben und gezeigt, dass sie alle dasselbe Ziel hatten. Nach und nach merkten die Menschen endlich, dass es mehr gab, als Besitz und Habgier.
Sie wusste, dass Admiral Lew ihrer Bedingung beim Rat Gehör verschaffen würde. Sie hatte auch schon die passenden Leute im Auge. Sie wusste, dass ihre Aufgabe alles andere als leicht werden würde. Doch sie wusste auch, dass ihre gequälte Seele erst dann Frieden finden konnte, wenn alle Familien vor diesen Kreaturen sicher sein konnten. Das hatte sie sich geschworen, als sie auf das Angebot der Admiralität eingegangen war.
Ein leicht rötlich schimmernder Planet zog stumm an dem Sichtfenster vorüber. Der Mars. Vor einigen Jahren lebten etwa zwei Milliarden Menschen auf ihm. Der rote Schimmer ging auf die ursprüngliche Atmosphäre des Planeten zurück, die sich nicht komplett hatte umwandeln lassen. Noch immer gab es große Gebiete, in denen die einstige rote Steinlandschaft dominierte, unterbrochen von großen Ruinenlandschaften. Sie hatten fast ihr Ziel erreicht. Seufzend erhob Kate sich aus dem Sessel, in dem sie bisher gesessen hatte und machte sich auf den Weg zur Brücke der Ortega.
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