Wimpern, volle, dunkelrote Lippen, es war um mich geschehen. Was wollte
er nun wirklich? Ziemliche Probleme, wenn man nicht Italienisch
spricht. Ich deutete auf den Stuhl neben mir. So baute ich eine kleine
psychologische Barriere, er konnte nicht mehr so schnell weg. Er setzte
sich, die Bedienung sah ihren Vorteil und eilte herbei. Es passte in
mein Konzept, ich spendierte ihm eine Cola.
Nun begannen die Schwierigkeiten. Nicht so groß, wie ich erwartet hatte,
denn der Junge hatte mich bei meiner Ankunft beobachtet, kannte meinen
altersschwachen Wagen. Nach Avellino wollte er, und ich sollte ihn
mitnehmen.
Nichts lieber als das, meinetwegen auch bis Neapel oder zum Ende der
Welt. Was heißt `Du bist ein anziehendes, allerliebstes Bürschchen` auf
italienisch? Egal, Hauptsache, er saß neben mir.
Bergab ging die Fahrt. Wir unterhielten uns mit Händen und Füßen. Carlo
hieß er, ich mal wieder Sascha. Schicksal, nimm deinen Lauf... Meine
Hand hatte schon beiläufig auf seinem Oberschenkel gelegen. Schön, daß
er Shorts anhatte, ich genoß das prickelnde Gefühl seiner
Beinbehaarung, die Berührung seiner nackten Haut. Mein Blick streifte
das Amaturenbrett. Benzin: halbvoll. Hoppla! Die Kühlwassertemperatur
im roten Bereich. Naja, es ging bergab, und sie würde sich schon wieder
beruhigen.
Tat sie nicht. Einige Kilometer weiter kochte mein Kühler. Ich hielt am
Straßenrand, öffnete die Haube. Dampfte ganz schön. Ich habe mir
geschworen, das nie mehr in meinem Leben zu tun. Ich nahm ein Handtuch
aus meinem Gepäck und öffnete den Verschluß. Glücklicherweise klappte
bei diesem Modell die Kühlerhaube nach vorn auf. Dadurch stand ich
seitlich ziemlich entfernt. Eine ungeheure Fontäne kochenden Wassers
ergoß sich über den Motor, spritzte teilweise bis übers Dach. Den Motor
hatte ich sicherheitshalber laufen lassen. Nachfüllen aus dem
Wasserkanister half nichts, das Kühlwasser blubberte nur so heraus.
Verflucht. Die Zylinderkopfdichtung. Hatte ich wohl bei meiner Fahrt
durch den Appenin verbrannt. Nun war sie undicht. Vor meinen Augen
rasselte eine Registrierkasse. Neue Dichtung, Zylinderkopf
planschleifen. In Deutschland mochte das wohl einige hundert Euro
kosten. (Heute wohl über tausend, denn die Story spielt in der Mitte
der 70er.) Carlo war hinter mich getreten, ich versuchte ihm die Panne
zu erklären. Ich muss wohl sehr aufgeregt gewesen sein, denn er legte
beruhigend die Hand auf meine Schulter. Er kannte eine naheliegende
Werkstatt. Glücklicherweise ging es bergab. Ich liess den Wagen
zeitweise ohne Motorbelastung rollen. Carlo zeigte mir den Weg. Im
nächsten Dorf hielten wir vor einem kleinen Schuppen. Schien eine
Mischung aus Dorfschmiede und Autowerkstatt zu sein. Der Inhaber freute
sich über den neuen Kunden, Carlo verhandelte mit ihm. Ersatzteile gab
es natürlich nicht, aber eine Fachwerkstatt in Avellino. Ich dachte
nach. Bis dorthin Abschleppen, oder den Dorfschmied machen lassen?
Abschleppen kostet auch Geld, und der schmierige Kerl hier hat sicher
nicht so einen hohen Stundenlohn. Bis Morgen Abend, versprach er mir.
Hoffentlich konnte ich es glauben.
Ich schleppte meinen Koffer, Carlo führte mich zu einem Gasthaus, nur
einige hundert Meter entfernt. Ein Doppelzimmer, sogar mit Dusche.
Hatte ich in dieser Gegend nicht erwartet.
Es waren gut zehn Kilometer bis in Carlos Heimatort, kein größeres
Problem für ihn, nach Hause zu kommen. Ich dachte darüber nach, wie ich
ihn dazu bringen konnte, bei mir zu bleiben, das Doppelbett war breit
genug. Ich schmiedete allerlei Pläne, verwarf sie wieder. Ich packte
meinen Koffer aus, belegte die Hälfte des Betts mit meinen Sachen. Wie
selbstverständlich setzte sich der Bursche auf die andere Seite,
testete die Matratze. Sollte das bedeuten, dass er hier bleiben wollte?
Anscheinend ja, denn nun legte er sich auf das Bett, beobachtete, wie
ich meine Handtücher sortierte.
Nachdenklich verschwand ich mit einem Handtuch ins Badezimmer, spülte
unter der Dusche den Ärger über die Autopanne von meiner Seele,
ertappte mich dabei, wie ich ein Liedchen trällerte. Erfrischt trat ich
wieder ins Zimmer.
Ach, du liebe Zeit. Carlo hatte in meinen Sachen gestöbert, hatte genau
das Magazin entdeckt, das ich in Bari aus Neugier an einem Kiosk
erstanden hatte. Ein eindeutiges Magazin, die bunten Bildchen sprachen
eine deutliche Sprache. Nicht, dass ich so was normalerweise
konsumierte, aber ich war eben neugierig, wie die Dinger in Italien
aussahen... Der Junge lies sich nicht stören, las zwar nicht die
Artikel, betrachtete aber die Bilder. Als er mich bemerkte, legte er
das Heft einfach weg. Keine Frage, kein streifender Blick, er klappte
es zu und legte es wieder auf seinen angestammten Platz. Hmmm...er
wusste nun, woran er mit mir war. Wer weiß, wozu es gut war. Er wusste
es, und er blieb trotzdem. Ich nahm mir vor, ihn zu einem guten
Abendessen einzuladen. Vorher orderte ich ihn ins Bad, überreichte ihm
von mir ein Handtuch, eine Sporthose, die mir reichlich eng saß und
mein kürzestes T-Shirt. Vielleicht doch noch etwas zu groß, Hauptsache
saubere Kleidung. Dann ließ ich ihn allein, hörte, wie er das Wasser
aufdrehte. Der Abend war warm. Am Dorfplatz hatte der Bäcker seinen
Laden zur Pizzeria umgewandelt, einige Tische vor die Tür gestellt.
Warum nicht Pizza? Es wurde die leckerste Pizza meines Lebens, dazu
einige Gläser roter Landwein, angenehme Begleitung. Carlo kannte hier
einige Leute. Bald war unser Tisch überfüllt, alle tranken unseren
Wein, ich zahlte. Ich zahlte gern, denn es waren einige Stunden bester
Unterhaltung. Erst kurz vor Mitternacht kamen wir in bester Stimmung
wieder in unseren Gasthof.
Wir waren nicht gerade betrunken, aber sicher leicht aufgekratzt. Ich
zog mich schnell aus, legte mich ins Bett, wartete auf den Jungen.
Carlo hatte