Sprachlos. Marlen Knauf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlen Knauf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737546249
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selten passiert, gehe ich zu Fuß zur Wohnung. So gleicht er den Zeitverlust geschickt aus, ist vor mir zu Hause, um sich von seinen körperlichen Anstrengungen auszuruhen. Oft finde ich ihn im Bett liegend mit einem angeblichen Migräneanfall vor. Ich bin blind vor Liebe und vertraue ihm völlig.) Heute warte ich vergebens darauf von ihm abgeholt zu werden. Peter kommt nicht, was mich weiter nicht beunruhigte. Ich mache mich bei strahlendem Sonnenschein auf den Rückweg, habe keine Eile, ich genieße das Leben. Zu Hause angekommen, gehe ich zielstrebig ins Schlafzimmer. Statt Peter finde ich auf seinem Kopfkissen einen Brief mit folgendem Wortlaut:

      „Meine große Liebe, erschrecke jetzt nicht. Wenn Du diesen Brief liest, bin ich auf dem Weg in die Türkei. Als Ehrenmann muss ich den Weg beschreiten. Ich halte diesen Zustand nicht mehr aus.Was musst Du mittlerweile von mir denken. Ich will Dir endlich Dein Geld zurückgeben. Beim Augenlicht meines Sohnes schwöre ich, dass ich Dich nie mehr enttäuschen werde. Du bist alles für mich. Dieses Wagnis muss ich alleine auf mich nehmen, ich will Dich nicht unnötiger Gefahr aussetzen. Ich weiß Liebling, Du verstehst mich. Unseren Freunden sag, ich sei auf Geschäftsreise. Rufe auch nicht auf meinem Handy an, es könnte zu gefährlich sein. Warte, bis ich mich bei Dir melde. Ich verspreche Dir beim Leben meines Sohnes, dass ich spätestens Samstag wieder bei dir bin. In einer großen Liebe, Dein Peter.“

      (Nicht in der Türkei, im Kleinwalsertal verlustiert er sich ungestört eine Woche. Mir lässt er meine Mastercard, mit der ich keine Auszüge ziehen kann. Für sich nimmt er meine EC-Karte mit, von der er, was ich viel später feststelle, in dieser Woche ausgiebigen Gebrauch macht.)

      Gehorsam erzähle ich unseren Vermietern die Geschichte von der plötzlichen Geschäftsreise. Während Peters Abwesenheit treffen auf dem PC unserer Vermieter mehrere mysteriöse, Angst machende Mails mit folgendem Wortlaut ein:

      „Fordert uns nicht heraus! Wir wissen wo Beermann ist.“

      „Haltet uns nicht für dumm, wir kriegen Euch auch noch.“

      Bei mir gehen alle Sirenen in Richtung Pauliano an.

      Bis zu Peters erstem Anruf habe ich keine ruhige Minute, komme um vor Angst und Sorge um meinen Geliebten. Hastig erzähle ich ihm, was inzwischen passiert ist. Er versucht mich zu beruhigen, was ihm natürlich nicht gelingt. Nach seinen Worten besteht die Gefahr, dass Pauliano mithört. Prompt wird die Verbindung unterbrochen. Meine Sorge und Unruhe muss ich vor allem vor den Kindern verbergen, darf mir nichts anmerken lassen. So gut es mir gelingt, gebe ich mich unbeschwert und fröhlich.

      Wie versprochen kehrt Peter Samstag zurück. Er wirkt erschöpft. Kein Wunder. Ich schiebe es auf Reisestrapazen. Noch schlimmer, er kommt ohne Geld. Pauliano hat ihn am Flughafen in München mit den Worten „du hältst dich wohl für sehr schlau“ empfangen und ihn vor die Wahl gestellt: „Entweder du gibst mir das Geld oder ich verständige den Zoll. Unweigerlich landest du erneut wegen unerlaubter Geldtransaktionen im Knast. Wenn ich dann noch dem Fiskus einen Tipp gebe, wird es gewiss ein längerer Aufenthalt.“ Peter hatte das Geld angeblich in einem eigens für solche Zwecke angefertigten Ledergürtel am Körper. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als Pauliano das Geld auszuhändigen. Zerknirscht schwankt Peter zwischen Wut über sein verlorenes Geld, obwohl ihn bei der Größe seines Vermögen der Verlust nicht sonderlich schmerzt, und Verzweiflung darüber, dass er mich nun weiter zur Kasse bitten muss.

      Die Angst vor dem unberechenbaren Mafioso steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er ist, wo immer er sein Unwesen treibt, der perfekte Schauspieler. Mein Mitleid, mein Trost jedenfalls, ist ihm sicher. Bei langen Waldspaziergängen kommt er wieder zur Ruhe. Dabei versteht er es, auch mich zu beruhigen. In Zukunft will er nicht mehr solche spontanen Aktionen starten, alles vorher mit mir bereden. Beim nächsten Versuch muss einfach alles klappen.

      Die Schreiner lehnen eine Anzahlung entrüstet ab, was wohl ein besonderer Vertrauensbeweis sein soll. Die Arbeiten, die wir in regelmäßigen Abständen begutachten, gehen zügig voran. Alles verläuft zu unserer vollsten Zufriedenheit. Herr Steinfurt drängt auf einen Notartermin, Peters stimmt zu.

      Einige Tage später fährt er mit mir zu einem einsam gelegenen Bauernhof. Lautes Hundegebell empfängt uns. Der Bauer züchtet Klein-Münsterländer. Beim Anblick der Welpen schmelze ich dahin. In der Vergangenheit war ich eine begeisterte Hundemutter. Meine Kinder sind mit Hunden aufgewachsen. „Liebling, gefallen Dir die Welpen?“ Natürlich, das weiss er ganz genau. Über die Anschaffung von mindestens zwei Hunden sind wir uns einig, jedoch erst nach dem Einzug in unser Refugium. Das sage ich ihm mit allem Nachdruck. „Was wollen wir jetzt schon mit einem Hund? In die Ferienwohnung können wir ihn nicht mitnehmen, also was soll das?“ Lachend nimmt Peter mich in die Arme, „du bist umwerfend, wenn du böse auf mich bist. Wir zanken viel zu wenig. Aussuchen habe ich gesagt, nicht mitnehmen. Die Welpen sind noch zu jung, um sie von der Mutter zu entwöhnen. Also suche dir einen aus. Wenn die Zeit reif ist, holen wir ihn dann zu uns. So weit entfernt von St. Englmar ist es ja nicht, wir können ihn fast täglich besuchen und der Kleine gewöhnt sich langsam an uns. Herr Schmidt, der Züchter, kann ihm schon mal einige Manieren beibringen.“

      Das ist natürlich etwas anderes. Erleichtert wende ich mich nun dem munteren Hundegewusel zu. Ich muss nicht lange suchen, einer der Welpen macht es sich auf meinen Füßen bequem. Ich nehme ihn hoch und lasse die stürmische Begrüßung zu. Mit seinem feuchten Schnäuzchen schnüffelt er mir durchs Gesicht und schmiegt sich eng in meine Arme. Nun also bin ich Hundebesitzerin. Wir geben ihm den Namen „DAX“.

      Fast täglich fahren wir hinaus, um unser neues Familienmitglied zu besuchen. Schon bald gebärdet er sich beim Herannahen unseres Autos wie wild vor Freude. Peter kann machen was er will, zielstrebig stürmt der Kleine auf mich zu und wickelt sich förmlich um meine Füße. Ich bin von der ersten Begegnung an seine Bezugsperson. Erst wenn wir unsere Liebesbeweise ausgetauscht haben, kommt Herrchen dran. Der kleine Racker macht zusehends Fortschritte und schon bald gewöhnen wir ihn behutsam an die Leine. Als er zum ersten Mal sein Spiegelbild in einem Teich entdeckt, stutzt er, um sich dann mit Wonne ins kühle Nass zu stürzen. Begeistert stellt Peter alsbald jagdtaugliche Eigenschaften an unserem Hund fest.

      Wir unternehmen lange Spaziergänge. Wenn sich Dax dann vor meine Füße legt und partout keinen Schritt mehr weiter will, nehme ich ihn hoch und trage ihn bis zum Zwinger. Der Abschied ist jedes Mal eine Katastrophe. Er will mit uns und nicht zurück zu seinen Geschwistern. Sein Jaulen begleitet uns ein ganzes Stück unseres Heimweges.

      So langsam nimmt alles Formen an bei unseren fleißigen Schreinersleut. Die Arbeitsfläche für die Küche, natürlich aus echtem Marmor, muss ausgemessen werden, sogar die Fenster sind fertig. Der Schreinermeister bestellt einen Elektrofachmann, der mit uns den Einbau der Küchengeräte bespricht. Marken und Typen werden bestimmt, jedoch bleiben einige spezielle Wünsche Peters offen, sodass der Bestelltermin noch um ca. 14 Tage verschoben wird.

      In zwei Wochen soll Akif eintreffen. Ein LKW-Konvoi aus der Türkei nach Deutschland ist unterwegs, mit Warenlieferung. In einem der Wagen befinden sich mehrere Wertgegenstände für unser neues Heim. Teppiche usw. und gut versteckt ein größerer Geldbetrag für Haus und Handwerker.

      Am 08. Juni 2002 erhält Peter einen Anruf von Paulianos Stellvertreter Nicola, der ihn in helle Aufregung versetzt, seine Stimme überschlägt sich. Die Situation in München zwischen Akif und Pauliano ist eskaliert.Von Seiten Paulianos hat es einige Übergriffe auf Akifs Geschäftsbereich gegeben. Im Verlauf einer heftigen Auseinandersetzung ist ein Türke getötet worden. Diese Tat will die Familie des Getöteten gesühnt sehen, sodass für das Leben des Mafioso höchste Gefahr besteht. Er will umgehend nach Italien zurück und Peter soll ihn begleiten.

      Nun ist er zwischen die Fronten geraten. Hier sein bester Freund, der ihn „mein Bruder“ nennt, dort der mächtige Pate, der in ihm noch immer den zukünftigen Schwiegersohn sieht.

      Ich mache gar nicht erst den Versuch, meinen Zustand zu beschreiben. Ich bin völlig am Ende mit den Nerven.

      „Du kannst doch jetzt, wo der Geldtransport kommt, der Notartermin näher rückt, so vieles geregelt werden muss, nicht nach Italien fahren. Ich bleibe auf keinen Fall alleine hier, dieses Mal werde ich mitkommen. Sag das deinem Mafiaboss, ich spiele diese Spiel nicht mehr mit.