Sprachlos. Marlen Knauf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlen Knauf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737546249
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wartet nicht auf mich?

      (Ich dumme Gans. Niemand wartet auf mich. Er schläft schon längst in Kampen auf Sylt, in einem Luxushotel und sicher nicht alleine.)

      Beim Betreten meiner Wohnung finde ich einen handgeschriebenen Zettel auf dem Fußboden, unter der Tür durch geschoben, mit folgendem Wortlaut: „Ihr haltet euch wohl für sehr schlau. Wir haben Peter! Daran seht ihr, dass Akif keine guten Leute hat. Wenn du dich an unsere Anweisungen hältst, passiert euch nichts und Peter ist in einigen Tagen wieder frei. Dann könnt ihr den geplanten Urlaub mit Julian antreten.“ Ich fühle gar nichts, bin wie betäubt, erschöpft von der langen, beschwerlichen Reise, will nur ins Bett, nichts mehr hören und sehen, nur schlafen. Einfach meine Ruhe haben. Ich verschwende auch keine sorgenvollen Gedanken an

      Peter.

      Für diesen Mafioso empfinde ich nur Verachtung. Er wagt es sogar, mich vertraulich mit „du“ anzureden. Unverschämt. Seine Zeilen jedoch sagen mir, er ist wieder über alles informiert, hat erneut unsere Pläne durchkreuzt. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein.

      (Ich dummes Schaf durchschaue die Durchtriebenheit dieses Mannes noch immer nicht. Stattdessen quält mich wieder eine Angst um meinen Geliebten.)

      Wo ist Peter, wie geht es ihm, hat dieser Mafiosi ihm etwas angetan? Was für Pläne hat er mit uns? Ich komme fast um vor Angst und Sorge. Ja, und natürlich der

      geplante Urlaub mit Joshua, der uns mit dem Wohnmobil nach Frankreich an der Loire entlang führen soll. Zwei lange Tage und Nächte keine Nachricht, kein Lebenszeichen. Der kleine Mann wartet darauf, von seinem Vater abgeholt zu werden.

      Von der Auskunft erfahre ich die Telefonnummer der Schwiegereltern und rufe dort in guter Absicht an. In schroffem Ton bedeutet man mir, sie mit solchen Anrufen zu verschonen.

      Ich bin total perplex, habe es nur gut gemeint. Ich bin so involviert in die ganze Geschichte, dass ich nicht merke, wie lächerlich ich mich mache. Meinem Sohn, bei dem ich mich zurückmelde, tische ich eine unverbindliche, harmlose Geschichte auf. Färbt Peter schon auf mich ab? Warum soll ich meinen Sohn unnötig beunruhigen, es ist eine Notlüge. Ob er mir wohl glaubt?

      Zwei Tage später, es ist Peters Geburtstag, meldet er sich endlich. Nicola hat ihm den Anruf ermöglicht. „Liebling, du bist sicher vor Angst umgekommen. Pauliano hat mir die Fresse poliert, damit ich endlich begreife, wer das Sagen hat. Wenn er glaubt, ich füge mich nun, hat er sich getäuscht. Stell dir vor, ich muss jeden Tag los und auf der Insel Koks verteilen, immer die Angst im Nacken, erwischt zu werden. - Vielleicht legt er es darauf an, vielleicht verpfeift er mich sogar, um mich seine Macht spüren zu lassen. Nun mache ich am eigenen Leib die Erfahrung, wie unberechenbar er geworden ist. Sogar in der Organisation begehrt man gegen ihn auf. Er ist so größenwahnsinnig, dass er den Widerstand der eigenen Leute, mit denen er teilweise sehr brutal umspringt, nicht bemerkt. Ich bin Außenseiter und muss mich ganz nach seinen Launen richten. Hasenherz, wie geht es dir, bist du gut in Köln angekommen? Ich habe mir so Sorgen und Vorwürfe gemacht. Morgens, schon auf dem Weg zum Auto nahmen mich zwei von Paulianos Leuten in die Mitte, gingen mit mir zum Parkplatz und zwangen mich zum Einsteigen. Einer der beiden setzte sich ans Steuer, ich saß hinten, wusste nicht, wohin die Fahrt ging und musste tatenlos zusehen. Nachdem mir die beiden hämisch grinsend versicherten, dir würde außer ein wenig Warten und Aufregung nichts geschehen, beruhigte ich mich etwas. Meine arme Frau, was hast du alles wegen mir durchgemacht, bereust du nicht........“ hier wird das Gespräch unterbrochen.

      Bei seinem hastigen Redeschwall bin ich gar nicht zu Wort gekommen. Ich will ihm von meinem Anruf bei seinen Schwiegereltern berichten, ihn fragen, wie es nun weitergehen soll. Ich bin völlig ratlos. Ob und wann wird er sich wieder melden? Können wir an meinem Geburtstag zusammen sein? Nach feiern steht mir eh nicht der Sinn. Ob wir wohl halbwegs glimpflich aus dieser Geschichte herauskommen?

      Mein Sohn besorgt mir Umzugskartons. Ich fülle die Zeit der Ungewissheit mit Packen aus. Der Umzug in unser Refugium steht kurz bevor.

      (Ich werde es nie wiedersehen, geschweige dort einziehen. - Es ist mir kein Trost, dass er mit all seinen Opfern, denn ich bin nicht das einzige, so gnadenlos und gemein umgeht, nur um seine perversen Bedürfnisse zu befriedigen. Er kommt mir vor wie ein Ungeheuer, eine Hydra, der, wenn man einen ihrer Pläne unterbindet, gleich zwei noch viel brutalere einfallen. Dieser Kopf, dieses Gehirn muss krank sei, heckt es doch nur abstruse Ideen und Perversitäten aus. Seine erfundenen Geschichten, die darin vorkommenden Personen machen mir Angst, treiben meinen Blutdruck besorgniserregend hoch. - Dabei habe ich allen Grund, ihn zu fürchten. Er ist der Inbegriff des Bösen. - Später erfahre ich, dass er nichts auslässt auf Sylts Partiemaile. Vergnügt sich, hat unzählige amouröse Abenteuer, mit Müttern, mit ihren Töchtern. Er mischt laut der Aussage eines seiner Opfers die Insel regelrecht auf. Wie kann ein Vater seine Tochter verleugnen, auf das Leben bzw. Augenlicht des Sohnes schwören, um zu überzeugen, glaubhaft dazustehen. Sagt das nicht genug aus, über seinen verkommenen Charakter? Wie kann ein Sohn den an Krebs erkrankten Vater, ebenso die 90jährige, ans Krankenbett gefesselte Großmutter ausnehmen? Seine Taten stinken zum Himmel.- Es ist schwer begreiflich, dass ihm alle, Richter, Staatsanwälte, erfahrene JVA- Beamte, Sozialarbeiter, Familienmitglieder, Freunde, Frauen, vor allem Frauen, mich eingeschlossen, auf den Leim gegangen sind. - Nach einer erneuten Verhaftung und obwohl er gegen Bewährungsauflagen verstoßen hatte, mehrere weitere Anzeigen vorlagen, ließ ihn eine Richterin nach vierwöchiger U-Haft und einem Anhörungsgespräch wieder laufen.)

      Zurück zur Sylt-Misere.

      Zwei Tage nach meinem Geburtstag, Pauliano ist gnädig gestimmt, reserviert mir Peter eine Fahrkarte, sodass ich mich auf den Weg nach Sylt machen kann. Auf seine Anweisung habe ich so gepackt, dass ein Weiterflug in die Türkei möglich ist.

      Er holte mich in Westerland am Bahnhof ab. Er macht einen erschöpften, übernächtigten Eindruck. Seine Pupillen sind stark vergrößert, Schweiß steht ihm auf der Stirne. Natürlich die Ereignisse, die riskanten Aufträge der letzten Tage, dazu kommt die Angst um mich. Mein armer, armer Mann. Wir fahren ins Hotel, wo Pauliano ihn in einem Apartment untergebracht hat. Vom geräumigen Wohnzimmer aus führt eine Wendeltreppe ins Schlaf- und angrenzende Badezimmer.

      Beim Betreten des Schlafraumes fällt mein Blick auf das zerwühlte Doppelbett. Die Benutzung beider Betten erklärt Peter damit, Pauliano habe darauf bestanden, Nicola als Aufpasser bei ihm einzuquartieren. „Liebling, du schläfst in meinem Bett und ich leg mich auf Nicolas Seite. Morgen werden die Betten frisch bezogen. Ich hoffe, du bist für eine Nacht mit dieser Lösung einverstanden. Ich will das Personal nicht unnötig auf unsere brenzelige Situation aufmerksam machen.“

      (Er hat es nicht einmal für nötig gehalten, die Spuren der vergangenen Tage und Nächte zu beseitigen. Das Liebesnest, noch warm von der Benutzung mit anderen Frauen ist nun frei für mich. Bei dem Gedanken wird mir heute noch übel.)

      Peter schenkt mir nachträglich zu meinem Geburtstag ein dunkelblaues,viel zu großes, entsetzlich kratzendes Twinset. Ich tausche es um. Eine Ansichtskarte, die einen wunderschönem Sonnenuntergang zeigt, der einen Augenblick unserer großen Liebe verdeutlichen soll, trägt den Hinweis, dass noch immer das große Geschenk in der Hamburger Goldschmiede auf mich, seine große Liebe warte. Ich spiele die Hocherfreute, obwohl ich seine Geste als lieblos und unpersönlich empfinde.

      (Ich verleugne mich, darauf bedacht, dass es ihm gut geht. Ich verleugne mich, den Menschen, der über 60 Jahre aufrecht und ehrlich durchs Leben gegangen ist. Mich, meine Persönlichkeit, das was mich ausmacht, lösche ich aus, ohne Rückgrat, abhängig von seiner Zuwendungen. Ich bin Wachs in seinen Händen. Warum gehe ich in klaren Momenten, oh ja, die habe ich tatsächlich manchmal, nicht zur Polizei? Jetzt kann ich mir die erstaunten, fragenden Blicke, das wissende Lächeln einiger Frauen erklären, denen wir in den nächsten Tagen begegnen.)

      Das Hotel verlässt er jeden Morgen pünktlich um 10:00 Uhr. Mit einem bereit stehenden Taxi macht er sich auf den Weg, den Stoff entgegenzunehmen, um ihn anschließend auf der Insel zu verteilen. Meine Anwesenheit enthebt ihn nicht seiner „Pflichten“!

      (Von einem Bett ins nächste.)

      Ich gehe alleine