Sprachlos. Marlen Knauf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlen Knauf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737546249
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Gott,“ Peter ist wie versteinert. „Der hat seine Leute überall. Das kann ihm nur jemand aus dem Reisebüro gesteckt haben. Hase, das sagt mir, wir werden auf Schritt und Tritt überwacht. Sicher wird auch unser Telefon abgehört. Bestimmt hat Pauliano meine Zahlungszusagen mitbekommen, und will verhindern, dass wir in die Türkei fliegen. Warum macht er das? Halte ich mich nicht streng an seine Anordnungen, alle Befehle führe ich aus, bin sofort zur Stelle wenn er nach mir ruft, alles nur um ihn gnädig zu stimmen. Ich habe ihm in den 14 Tagen deutlich gemacht, wie sehr ich dich liebe, dass es für mich kein Zurück gibt. Ich möchte nur ein gemeinsames Leben mit dir. Seine Reaktion darauf hat in mir die Hoffnung geweckt, seine Entscheidung falle zu unseren Gunsten aus. Dieses Schwein, dieser Verbrecher.“ Außer sich, wie von Sinnen rennt Peter im Zimmer umher. Mit einem irren Blick in den Augen bleibt er vor mir stehen.

      „Ich hatte in Italien ein Gespräch mit Maria, seiner Frau. Sie berichtete mir von beängstigenden Veränderungen in Paulianos Verhalten. Er sei ihr gegenüber sogar handgreiflich geworden. Ich wollte ihrem Bericht keinen Glauben schenken. Nun werde ich eines Besseren belehrt. Er ist total außer Kontrolle geraten, alle haben Angst vor ihm. Seine Kinder gehen ihm aus dem Weg. Nicola und die anderen Mitglieder sind in größter Sorge. Was ist nur aus diesem besonnenen Mann geworden, ein unbeherrschtes Monster. Ist er krank im Kopf? Wird er zur Gefahr für die Organisation? Eine Lösung muss her!“ Peter tobt herum, zieht wieder einmal seine Show ab. Mit den Worten, „lass mich nachdenken,“ sinkt er auf ́s Bett.

      Was soll das, ich hindere ihn doch gar nicht daran, natürlich soll er nachdenken, sich endlich etwas Vernünftiges einfallen lassen. „Ich muss Verbindung zu Akif aufnehmen, ihn von den neuesten Ereignissen unterrichte, Du wirst sehen, meine türkischen Freunde lassen mich nicht im Stich.“ Seine finstere Mine hellt sich auf. „Morgen früh gehen wir zum Hauptbahnhof, dort kann ich Akifs Leute treffen. Wir werden eine Lösung finden.“ Wie umgewandelt nimmt er mich in den Arm. „Mein Hasenherz, jetzt gehen wir unter die Dusche, der Champagner wartet, wir wollen unser Wiedersehen feiern. Dann zeig ich dir, wie sehr ich dich vermisst habe,“ mit treuherzigem Augenaufschlag fügte er hinzu, „hast du denn gar keine Lust auf dein Männe?“

      Tatsächlich fahren wir am nächsten Morgen zum Münchner Hauptbahnhof, um dort einen von Akifs Männern zu kontaktieren. Er bittet mich, in einem der Wartesäle auf ihn zu warten. Aus Sicherheitsgründen darf ich an solchen Treffen nie teilnehmen.

      (Es findet nie ein Treffen statt, es gib diese Kontakte nicht.)

      Nach einer Stunde etwa kommt er zurück und berichtete von einer erfolgversprechenden Unterredung. Dass sich Akif im Laufe der kommenden Woche um eine Lösung unserer Probleme bemühen will. Natürlich muss er mit äußerster Vorsicht agieren. Einen erneuten Zusammenstoß, bei der es Tote gibt, wie gehabt, will er nicht noch einmal heraufbeschwören. Und überhaupt können wir uns glücklich schätzen, dass die Familie des getöteten Türken nicht auf Rache besteht, dann nämlich wäre es in München zu einem Blutbad gekommen und wir zwischen die Fronten geraten. Italien – Türkei. „Unsere türkischen Freunde,“ so die Zusage, „werfen, egal wo wir uns aufhalten, ein schützendes Auge auf uns.“

      (Heute frag ich mich, was ist das für ein Mann, mit wem hast du da zusammen gelebt? Ist er der Leibhaftige in Person? Er ist ein Monster! Was geht in solch einem Kopf vor, dass er in seiner blühenden Phantasie solche Gräuelmärchen erfindet? Für jede Situation, auch wenn sie noch so plötzlich und unvorhersehbar eintritt, hat er eine Geschichte parat)

      Nachts, wenn mich Albträume plagen, weckt er mich. Wenn mich nagende Zweifel heimsuchen, küsst er mein Tränen überströmtes Gesicht, wiegt mich in seinen Armen, wie ein kleines Kind, überhäuft mich mit Zärtlichkeiten. Mit einer Seelenruhe und Überzeugungskraft treibt er mich in den Ruin. Er weiss mich auch dieses Mal wieder zu beruhigen.

      Wir besuchen den Englischen Garten, genießen die Schönheit der Natur, die gepflegten Parkanlagen, gehen am Isarufer spazieren. Gewissenhaft telefoniert er mehrmals täglich mit Akif, um dann zuversichtlich zu mir zurück zu kommen. Er geht zur Handwerkskammer, um den Weg zur erneuten Selbstständigkeit zu ebnen, die Erlaubnis einzuholen, in Bayern auch künftig Seminare halten zu dürfen.

      In Telefonaten mit den Handwerkern, dem Hausverkäufer, dem Notar erlebe ich erneut seine Überzeugungskraft, wie er diese erfahrenen Menschen einwickelt, mit seinen erfundenen Geschichten. „Liebling es wird alles gut.“ Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört?

      (Seine Migräneanfälle, seine Herzbeschwerden täuscht er nur vor, um sich in Ruhe neue Lügengeschichten auszudenken, sie reibungslos, ohne Verdacht zu erwecken einzufügen, in das riesige Gebäude von Lug und Betrug. Was bringt ihm das, diese Frage, die ich mir immer wieder stelle, bleibt bis heute unbeantwortet. Er schädigt seine Mitmenschen, ist gnadenlos in seinen vernichtenden Betrügereien. Das Resultat daraus ist über kurz oder lang seine erneute Verhaftung, Anklage, Gerichtsverhandlung und am Ende die Freiheitsstrafe. Zu dieser Zeit weiß ich noch nicht, es ist nicht die erste Küche, die erste Wohnungseinrichtung, die er bestellt bzw. anfertigen lässt, ohne zu bezahlen. Benötigt er diesen Nervenkitzel, befriedigt das sein Geltungsbedürfnis, vermittelt ihm das ein Gefühl der Macht? Fragen über Fragen. Sicher weiss er selber keine Antwort.)

      Der Makler in Köln hat einen Nachmieter für meine Wohnung gefunden. Ich muss unbedingt zurück, meinen Mietvertrag auflösen, die Ablösesumme für meine nagelneue Einbauküche, den Schlafzimmerschrank usw. aushandeln. Am 01. August 2002 wollen wir im Refugium einziehen. Einen Tag zuvor soll die Übergabe meiner Wohnung an den Nachmieter stattfinden. Die Umzugskartons sind noch nicht gepackt, so langsam kommen wir in Zeitzwang und wir befinden uns immer noch in München.

      Am 06. Mai spricht Peter von Abreise, die unbemerkt von Paulianos Leuten vonstatten gehen muss, da der große Boss aus einer Laune heraus wieder dazwischen funken könnte. „Wir geben ihm einfach etwas zum Überlegen“ sagte Peter verschmitzt, „holen das Auto aus der Tiefgarage des Hotels und stellen es irgendwo auf einem öffentlichen Parkplatz ab. Checken wir ganz normal aus, erfährt er davon und weiss unsere Abreise zu verhindern. Da ich ihn nicht um Erlaubnis gebeten habe, kann das seine Pläne, die er bestimmt mit mir hat, durchkreuzen. Bei Anbruch der Dunkelheit bringe ich schon mal einen Teil unseres Gepäcks zum Auto. Morgen früh komme ich zum Hotel gefahren. Während du alles an der Rezeption erledigst, hole ich unsere restlichen Sachen und wir können in fliegendem Start losfahren.“

      Es stürmt wieder so vieles auf mich ein. Der Kopf schwirrt mir, logisches Denken ist nicht möglich. Er hat auf meine Fragen wieder nur unbefriedigende Antworten. Ich verhalte mich wie eine Marionette, er bedient die Fäden, ich funktionierte. Wenigstens geht es voran, Richtung Ziel, so glaube ich. „Sollte ich nicht zur verabredeten Zeit am Hotel vorfahren, komm zum Viktualienmarkt,“ er nennt eine bestimmte Stelle. „Warte eine halbe Stunde. Kann ich nicht pünktlich sein, setze dich in den nächsten Zug nach Köln, dort treffen wir uns in der Wohnung. Siehst du Liebling, ich kalkuliere alle Eventualitäten ein, diesmal kommt uns niemand in die Quere. Das Gepäck ist im Auto, dein Beauty-Case nehme ich auch schon mit, so hast du nur leichtes Handgepäck.“

      (In diesem Kosmetikkoffer befand sich ein Großteil meines Schmuckes. Ich sollte ihn nie wiedersehen.)

      „Ich lasse mich von diesem verrückt gewordenen Italiener nicht mehr an der Ausführung unserer Pläne hindern, nun ist Schluss. Wir müssen endlich Ruhe in unser Leben bringen.“ Nichts lieber als das, ich will ihn bestimmt nicht daran hindern.

      Den Abend vor unserer Abreise verbringen wir in einem gemütlichen Brauhaus. Am nächsten Morgen verläuft alles so, wie Peter es geplant hat. Er geht, um das Auto zu holen, ich zahle die Rechnung mit meiner Mastercard. Zur verabredeten Zeit kommt er nicht, also gehe ich zu der Stelle in der Nähe des Viktualienmarkts, warte dort vergebens. Er kommt nicht.

      (Beermann ist schon längst auf dem Weg nach Köln. Er hatte nie die Absicht mich mitzunehmen.)

      Ich gehe zum Bahnhof, löse eine Fahrkarte und steig in den nächsten Zug nach Köln. Kurz vor Siegburg geht es nicht weiter. Durch ein Unwetter umgestürzte Bäume liegen quer über die Bahngleise und verhindern die Weiterfahrt. Bis dann alles organisiert ist, Taxen bereit stehen, die uns an unseren Bestimmungsort bringen,