Sprachlos. Marlen Knauf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlen Knauf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737546249
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„Weg hier“!

      (Alles, aber auch alles entspringt nur seiner kranken Phantasie. Diese ganze Geschichte inszeniert er, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehen und erneut untertauchen zu können.)

      Er packt das Nötigste. Ich stehe dabei und rühre keinen Finger. Ich sehe ein, ich kann ihn nicht aufhalten. Er fährt, fährt einfach weg, mit dem Versprechen, sich so schnell wie möglich zu melden. Er verspricht, Herrn Steinfurt sowie die Handwerkern von unterwegs über die Verzögerung zu unterrichten. Von unseren Vermietern verabschiedet er sich wieder unter dem Vorwand dringender Geschäfte.

      „Du hältst doch in der nächsten Woche in unserem Hotel ein Seminar, hast die entsprechenden Räume gebucht, Zimmer reserviert. Ich habe für dich und die Teilnehmer schon den Speiseplan vorbereitet und Einkäufe getätigt,“ wendet Alfons unser Vermieter ein. Fragend, vorwurfsvoll sieht er ihn an. Das ist mir neu, von diesem Plan hat mir Peter kein Wort gesagt. Er versucht zu beruhigen, dass er bestimmt bis dahin wieder zurück sei. Zur Not muss alles um ein paar Tage verschoben werden. Alfons bringt seine Verärgerung deutlich zum Ausdruck. „So ein Hotel ist ein Unternehmen, das sich an Abmachungen hält und bemüht ist, seine Verpflichtungen in vollem Rahmen zu erfüllen. Das Gleiche erwarten wir auch von unseren Gästen. Das solltest Du, der überlegt einen Gastronomie- Betrieb zu eröffnen, wissen.“ Peter verspricht, sollte er nicht pünktlich zurück sein, den finanziellen Schaden großzügig auszugleichen.

      Dieses Mal ist sein Aufenthaltsort Oberstdorf. Er bleibt 14 Tage verschwunden.

      (Die Vorbereitungen hierzu hat er bereits bei seinem Ausflug ins Kleinwalsertal getroffen, von dort eine Suite im Hotel Frankanger, dem ersten Haus am Ort gebucht.)

      Er meldet sich mehrmals von unterwegs per Autotelefon, einmal von einer Fähre auf der Übersetzung nach Italien. Immer unter Zeitdruck, berichtet er von einer gefährlichen Irrfahrt.

      (In Wirklichkeit genießt er einen ausgiebigen Wellness-Urlaub mit Damenbekanntschaften. Er bandelt mit der Frisörin des Hauses an, die in den Räumen des Hotels einen eigenen Salon betreibt. Dort lässt er nichts aus und setzt sich ab, ohne einen Cent zu bezahlen.)

      Wer in den 14 Tagen nicht auftaucht, ist der Türke Akif. Dafür erscheint Herr Steinfurt wegen des Notartermins und der Anzahlung für ́s Haus. Dieses Mal ist er gar nicht mehr nett und freundlich. Auch die Handwerker melden sich. Voller Unbehagen kann ich nur immer wieder die Geschichte von der plötzlichen Geschäftsreise erzählen.

      Montag, den 24. Juni 2002 ruft er an, um seine Rückkehr anzukündigen. Ganz nebenbei erkundigt er sich nach dem Dienstplan unseres Vermieters, um mit ihm den neuen Seminartermin zu besprechen.

      (In Wirklichkeit will er eine Begegnung tunlichst vermeiden.)

      Er wirkte müde, erschöpft, abgespannt. Kein Wunder. Wie vielen Damen er in dieser Zeit zu Diensten war, entzieht sich meiner Kenntnis. „Wir müssen sofort nach München,“ treibt er mich zur Eile an. „Packe das Nötigste zusammen.“ Unserer Vermieterin zahlt er die ausstehende Miete, wobei ein Rest von € 200,00 offen bleibt. „Wir sind ja bald zurück.“ „Die Handwerker, Herr Steinfurt,“ versuche ich einzuwenden, „was wird mit Dax?“ Unseren Hund habe ich während Peters Abwesenheit mehrfach alleine besucht. Der Züchter verlangt das Futtergeld. Er erwartet in den nächsten Tagen einen neuen Wurf und wollte mir den Welpen mitgegeben. „Später, später,“ wehrt Peter ab, „ich erzähle dir alles im Auto.“ Schon betätigt er den Anlasser. Mir bleibt nichts übrig, als mit meinen hastig zusammen gepackten Sachen einzusteigen.

      Unterwegs überhäufe ich ihn mit Vorwürfen. Nichts von dem Vorausgesagten ist eingetroffen. Kein Akif, kein Geld. „Was bildest du dir ein, mich in solch eine Situation zu bringen?“ Dieses Verhalten, ständig zu Notlügen greifen zu müssen, widerstrebt mir. So ein rücksichtsloses Handeln ist mir absolut fremd, passt nicht in meine Lebensauffassung.

      „Liebling, Liebling,“ Einhalt gebietend hebt er die Hand. „Ich habe die fürchterlichsten 14 Tage meines Lebens hinter mir. Geplagt von Sehnsucht und Sorge. Die Angst, Pauliano nicht sicher nach Italien zu bringen, die Frage, lässt er mich zurück zu dir.Was glaubst Du, wie es mir geht, wie ich mich fühle? Das scheint dich überhaupt nicht zu interessieren. Stattdessen höre ich nur Handwerker, Herr Steinfurt, Akif und Geld. Ich werde schon alles in Ordnung bringen, darauf kannst du dich verlassen, das schwöre ich dir beim Augenlicht meines Sohnes, bei meiner verstorbenen Mutter. Meinst du, damit gehe ich so leichtfertig um?“ Empört, ja wütend sieht er mich an.

      Schon einmal hatte er mir auf seinen Sohn geschworen, um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen und dann sein Versprechen nicht gehalten. Wieder beschleicht mich ein ungutes Gefühl, wie schon so oft in letzter Zeit.

      Er steuerte den nächsten Parkplatz an.

      „So nun will ich dich erst mal in meinen Armen fühlen und einen richtigen Kuss bekommen. Schade, dass so viele Leute hier parken, sonst würde ich dir auf der Stelle zeigen, in welcher Sehnsucht ich mich nach dir verzehrt habe.“ Mit diesen Worten zieht er mich an sich. „Schatz, bitte vorsichtig, drücke mich nicht zu feste. Ich habe mir bei einem Schusswechsel auf dem Weg nach Italien eine Rippenprellung zugezogen. Zum Glück trug ich eine kugelsichere Weste, was mir das Leben gerettet hat. Du wärst die reichste Witwe Deutschlands geworden, ohne Trauschein, denn ich habe dich als meine Universalerbin eingesetzt. Bei zwei meiner Lebensversicherungen bist du als Begünstigte eingetragen. Eine läuft weiter auf meinen Sohn. Hase, dafür hast du sicher Verständnis. Es wird alles gut, dein Männe bringt alles in Ordnung, glaube mir. Warte nur, bis wir im Hotel sind.“ Ohne Luft zu holen sprudelt es aus ihm heraus. Ich bin zwar etwas ruhiger, jedoch überzeugt hat er mich nicht. Im Hotel angekommen, natürlich wieder das Kempinski, geht Peter zielstrebig ins Reisebüro, das praktischer Weise im gleichen Haus seine Räume hat. „Ich checke jetzt die nächsten Flugtermine in die Türkei, geh du schon mal auf ́s Zimmer.“

      Um unser Gepäck muss ich mich wie immer nicht kümmern. In unserem Zimmer wartet ein riesiger Strauss Baccara-Rosen, in einem Eiskübel eine Fl. Champagner, zwei gekühlte Gläser, eine Schale mit Gebäck und andere kleine Köstlichkeiten auf mich. Kurz darauf kommt Peter. Er strahlt siegessicher und ist wie ausgewechselt. „Schatzi, ist mir die Überraschung gelungen? Das ist noch nicht alles, warte ich stelle den Fernseher an, man legt uns die Flugverbindungen in die Türkei auf den Bildschirm. Wir können in Ruhe genießen und überlegen, welchen Flug wir buchen.“Wieder so eine Überrumpelungsaktion. Meine Meinung dazu ist überhaupt nicht gefragt.

      Dann startet er einen telefonischen Rundumschlag. Alle ruft er an, die Handwerker, die Küchenfirma wegen der Arbeitsplatte, Herrn Steinfurt. Alle weiß er in seiner charmanten Art und Redegewandtheit davon zu überzeugen, dass er als Ehrenmann alles Anstehende in den nächsten Tagen erledigen wird. Für Rückfragen gib er sogar die Durchwahl unseres Zimmers bekannt.

      Dann telefonierte er mit einer Isabell.

      (Später erfahre ich, es handelt sich um die Hotelfrisörin aus Oberstdorf, die in den 14 Tagen seine Geliebte war. Von ihr hofft er, den derzeitigen Stand der Dinge in Oberstdorf zu erfahren. Während seines Aufenthaltes im Hotel Frankanger hatte sie in einem unbeobachteten Moment einen Blick in seinen längst abgelaufenen Pass werfen können. Der Name stimmte nicht mit dem auf dem Anmeldeformular überein. Darauf angesprochen, tischte er ihr eine Geschichte von besonderen Aufträgen für den Geheimdienst auf, die für sie nicht sehr glaubhaft und überzeugend klang. Der Onkel dieser Isabell ist bei der örtlichen Polizei, sodass Peter der Boden zu heiß wurde und er fluchtartig Oberstdorf verließ. An der Rezeption meldete er sich für die nächsten zwei Tage wegen eines dringenden Termins ab. So verschaffte er sich, bis er zur Fahndung ausgeschrieben war, den nötigen Vorsprung. Davon bekam ich viel später Kenntnis durch Einsicht in Beermanns Gerichtsakten und ein Telefonat mit besagter Isabell. Dem Hotel fügte er einen Schaden von ca. € 3.500,00 zu, wobei sich alleine seine Telefonkosten auf € 1.235,00 beliefen. Diese Gespräche führte er ausschließlich mit Porno-Filmproduktionen, Begleitagenturen sowie 0190er Nummern.)

      Die Rezeptionistin ruft an und teilt mit, dass sie eine eingegangene Nachricht auf unseren Bildschirm weiterleite. „Siehst du Mausi, das sind bestimmt die Flugverbindungen in die Türkei.“