Wieder anders behandeln die Lehren von der objektiven Zurechnung die Frage der Erfolgszurechnung. Nachdem man Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie festgestellt hat, sei zunächst zu fragen, ob der Täter ein rechtlich relevantes Risiko geschaffen habe. Auf jemanden zu schießen, schafft stets das Risiko für das Opfer, zu Tode zu kommen. Da dies auch rechtlich keine Billigung zu erlangen vermag, liegt ein rechtlich relevantes Risiko und damit diese Voraussetzung vor. Weiter müsse sich gerade dieses Risiko in dem konkreten Erfolg realisiert haben. Hier hat sich das jeder Verletzung innewohnende, nicht unwahrscheinliche Risiko realisiert, auf dem Krankentransport in einen Unfall verwickelt zu werden und dabei zu sterben. Dieses Verkehrsrisiko ist nicht untypische Folge schwerer Verletzungen, so dass eine Risikorealisierung im Sinn dieser Ansicht angenommen werden kann (andere Ansicht gut vertretbar). Auch nach dieser Meinung ist A somit der Erfolg zuzurechnen.
Folglich ist hier nach allen Ansichten A der Todeserfolg zuzurechnen, so dass eine Streitentscheidung entbehrlich ist.
Subjektiv ist Vorsatz bezüglich Tathandlung und Taterfolg erforderlich. Da A sowohl den den Tod verursachenden Schuss vornehmen wollte, als auch den Erfolg erstrebte, ist Vorsatz unproblematisch zu bejahen.
Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben.
A hat sich somit gem. § 212 strafbar gemacht.
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Ersatzursachen
Nach der Äquivalenztheorie sind, wie oben gesehen, die zu untersuchenden Handlungen hinweg zu denken. Dabei ist jedoch streng darauf zu achten, dass man nicht an die Stelle der weggedachten Handlung eine Ersatzursache hinzudenkt.
Fall 3:
X schlägt mit einem Knüppel auf Y ein, um ihn zu töten. Er wird noch drei Schläge benötigen, um die Verletzungen des Y so schwer werden zu lassen, dass Y zu Tode kommen würde. Da tritt Q hinzu und erschießt Y. Strafbarkeit von X und Q gem. § 212?
Lösungsvorschlag
1. Teil: Strafbarkeit des Q
Bei mehreren Beteiligten ist grundsätzlich vorab gedanklich die Frage zu klären, mit welchem Beteiligten man die Prüfung beginnt. Diese Überlegung wird jedoch nicht in das Gutachten übernommen. Es lassen sich wenige allgemein gültige Regeln dazu aufstellen: Bei Teilnahme des einen an Taten des anderen ist stets zuerst der Haupttäter zu prüfen. Bei mehreren Tätern oder Teilnehmern ist ansonsten mit dem Tatnächsten zu beginnen. Im Übrigen können logische Abhängigkeiten der Prüfungen voneinander sowie Zweckmäßigkeit (Problemkonzentration, Übersichtlichkeit, Verständlichkeit etc.) den Aufbau bestimmen. In Fällen wie dem vorliegenden gibt es keinen Grund, der eine Prüfung des einen oder des anderen Beteiligten vor dem jeweils anderen zwingend erfordern würde. Sie können also ebenso gut mit X beginnen.
Q könnte sich gem. § 212 strafbar gemacht haben, indem er auf Y schoss.
Der Taterfolg ist mit dem Tod des Y, eines anderen Menschen, eingetreten.
Weiter erforderlich ist Kausalität der Handlung des Q für den Todeserfolg. Nach der Äquivalenztheorie darf der Schuss nicht hinweg zu denken sein, ohne dass der Tod des Y entfiele. Hätte Q nicht geschossen, so lebte Y noch. Zwar hätte ihn dann der X mit drei weiteren Schlägen erschlagen, das wäre jedoch ein unzulässiges Hinzudenken von Ersatzursachen, das mit der Äquivalenztheorie nicht vereinbar ist. Man hat vielmehr gedanklich an dem Punkte zu verharren, an dem man die betreffende Handlung hinweg denkt. Dies wäre hier der Zeitpunkt des Schusses. Also entfiele im vorliegenden Fall der Erfolg, Kausalität ist mithin zu bejahen und der objektive Tatbestand somit erfüllt.
Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben.
Q hat sich gem. § 212 strafbar gemacht.
2. Teil: Strafbarkeit des X
X könnte sich gem. § 212 strafbar gemacht haben, indem er auf Y einschlug.
Fraglich ist, ob X den Taterfolg, den Tod des Y, verursacht hat. Denkt man sich die Schläge des X hinweg, so entfiele der tödliche Schuss des Q und damit der Taterfolg dennoch nicht. Dafür, dass Q den Y ohne die Schläge des X gar nicht angetroffen hätte, gibt der Sachverhalt nicht genügend Anhaltspunkte, so dass deshalb nicht vom Wegfall des Erfolges ohne das Handeln des X auszugehen ist. X hat sich mithin nicht gem. § 212 strafbar gemacht.
Die Frage einer anderweitigen strafrechtlichen Verantwortung des X ist nach der Fallfrage nicht mehr zu erarbeiten.
Der Vollständigkeit halber sei jedoch darauf hingewiesen, dass X sich gem. §§ 223, 224 und §§ 212, 22 strafbar gemacht hat. - Wäre der Sachverhalt so gebildet, dass Q die Situation, die X durch seine Schläge geschaffen hat, ausnutzt, wäre Ursächlichkeit der Schläge des X für den Tod des Y gegeben. Bei der dann zu prüfenden Zurechnung wird man aber nicht annehmen können, dass sich das typische Risiko bei einer Prügelei realisiert, wenn man durch einen völlig außerhalb des Geschehens stehenden Dritten unter Ausnutzung der Situation erschossen wird.
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Abbruch rettender Kausalverläufe
Bei der Anwendung der Äquivalenztheorie auf Fälle, in denen eine Kausalkette, die zur Rettung des Opfers weiterführen würde, von einem Dritten unterbrochen wird, entstehen Schwierigkeiten. Exakt käme man dazu, dass sich das Opfer nach wie vor in einer Lage zwischen Leben und Tod befindet. Die Entscheidung, ob der (z.B.) Todeserfolg entfiele oder nicht, wäre nicht getroffen. In Fällen des sog. Abbruchs rettender Kausalverläufe besteht nun jedoch Einigkeit darüber, dass ein
Hinzudenken des rettenden Kausalverlaufes
zulässig ist, also, dass der Helfer das Opfer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet hätte.
Fall 4:
Bergsteiger B hängt in einer Felswand und droht abzustürzen. C will ein Seil holen und ihn retten. Da tritt A, ein Feind des B, auf C zu und hält diesen fest. B stürzt zu Tode. Strafbarkeit des A?
Lösungsvorschlag
A könnte sich gem. § 212 strafbar gemacht haben, indem er den C festhielt.
Der Taterfolg des § 212 ist mit dem Tod des B, eines anderen Menschen, eingetreten. Fraglich ist jedoch, ob A diesen Erfolg verursacht hat. Denkt man sich sein Verhalten, das Festhalten des C, hinweg, so hinge der B nach wie vor in der Wand. Dass B gerettet worden wäre, lässt sich jedoch nur dann folgern, wenn man hinzudenkt, C hätte das Seil geholt und ihn hinauf gezogen.
Es besteht nun aber Einigkeit, dass ein Hinzudenken derartiger rettender Kausalverläufe mit der Äquivalenztheorie vereinbar ist. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass nach aller Wahrscheinlichkeit der C den B hier gerettet hätte. Mithin entfiele der Erfolg ohne die schädigende Handlung des A, also ist Kausalität zu bejahen und mangels anderer Angaben ist dieser Erfolg A auch zuzurechnen.
Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben.
Demnach hat sich A gem. § 212 strafbar gemacht.
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Fälle der Doppelkausalität
Als Fälle sog. Doppelkausalität werden solche bezeichnet, in denen unabhängig voneinander zwei Ursachen wirken, die gleichzeitig denselben Erfolg herbeiführen, wobei jede der Ursachen für sich allein ausgereicht hätte, den Erfolg herbei zu führen.
Bsp.: A läuft jeden Samstag durch den Wald. Seine Frau pflegt ihm zu seiner Rückkehr in einem Glas ein erfrischendes Getränk auf der Terrasse bereitzustellen. X schleicht sich an das Glas und schüttet eine tödliche Menge von einem Gramm Zyankali ins Glas. 10 Minuten später tut Y das gleiche, da er von der Tat des X nichts weiß. Nachdem sich