Juristische Grundkurse - Strafrecht - Allgemeiner Teil. Hans-Peter Richter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Peter Richter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844256468
Скачать книгу
dazu Wessels-Beulke, AT, Rn 197ff.

      Schließlich wird die Zurechnungsproblematik auch als Frage der Risikoerhöhung aufgefasst. Danach ist objektive Zurechenbarkeit bereits gegeben, wenn durch das Verhalten des Täters die Chance des Erfolgseintritts verglichen mit dem normalen Risiko des Erfolgseintritts erhöht wurde. Abweichende Ergebnisse ergeben sich bei diesem Ansatz vor allem bei Unterlassungsfällen im Hinblick auf die Behandlung der hypothetischen Kausalität.

      Näheres bei Wessels-Beulke AT Rn 198.

      Herkömmlicherweise (vor allem von der Rechtsprechung) wird die

      Erfolgszurechnung als Vorsatzproblem

      aufgefasst und unter dem Schlagwort der

      Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf

      abgehandelt. Es geht dabei um die Frage der Deckungsgleichheit (Kongruenz) zwischen vorgestelltem und tatsächlichem Kausalverlauf. Sofern beide nicht übereinstimmten und die Abweichung wesentlich sei, könne man den Erfolg dem Täter nicht zurechnen. Die Abweichung sei im Grundsatz stets dann wesentlich, wenn sie außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren liege.

      Der Unterschied liegt also darin, dass die Rspr. es im objektiven Tatbestand bei der Anwendung der Äquivalenztheorie belässt, während die Literatur überwiegend bereits dort zusätzlich die Frage der Erfolgszurechnung erörtert.

      Hinweis: Die Frage der Zurechnung bei Fahrlässigkeitsdelikten und Unterlassungsdelikten wird in den entsprechenden Kapiteln im Band 7 Strafrecht AT-2 behandelt.

      Sie haben damit in diesem Kurs erstmals eine Stelle erreicht, in der zu einer Frage verschiedene Meinungen vertreten werden, ein sog. Streitstand.

      EXKURS: Behandlung von Streitständen

      Derartige Streitstände gibt es an (viel zu) vielen Stellen im Strafrecht und dort zu den verschiedensten Fragen. Sich mit ihnen auseinanderzusetzen ist eine wesentliche Aufgabe während des weiteren Studiums, insbesondere bei der Anfertigung von Haus- Seminar- und (ggf.) Examensarbeiten. Ein solcher Streitstand bedarf dort, aber auch in einer Klausur, einer ganz bestimmten Aufbereitung, Verarbeitung und Darstellung.

      Es gilt zunächst, die verschiedenen Ansichten herauszuarbeiten und deren Inhalt und Aussage in kurzer, präziser Form zu skizzieren. Diese Übersicht muss sodann in den Fall aufgenommen, in ihm verarbeitet werden. Dazu ist wie folgt zu verfahren:

      1. Schritt:

      Man hat nach der Feststellung, dass an dieser Stelle im Gutachten ein Streit besteht, zunächst die erste Ansicht in ihren wesentlichsten Zügen darzustellen.

      2. Schritt:

      Diese ist dann auf den Fall anzuwenden und festzustellen, was sich als konkretes Ergebnis dabei ergibt.

      Danach stellt man die zweite Ansicht entsprechend dar und erarbeitet wiederum, welches Ergebnis man mit diesem Ansatz erhielte. Gleiches gilt dann für die dritte Ansicht usw. Sie erhalten so eine Reihe von Ergebnissen.

      3. Schritt (sog. Relevanzprüfung):

      Stellen Sie fest, ob diese Ergebnisse übereinstimmen oder nicht. Liegt Übereinstimmung vor, so können Sie für die weitere Lösung von diesem einheitlichen Ergebnis ausgehen. Sie dürfen!! dann den Streit nicht entscheiden, weil er keine Auswirkung auf das Ergebnis hat, also irrelevant ist.

      Eine Entscheidung wäre hier folglich nicht nur überflüssig, sondern nach Gutachtensregeln sogar falsch!

      4. Schritt:

      Stimmen dagegen die Ergebnisse nicht überein, ist der Streit zu entscheiden.

      Die Streitentscheidung erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den Argumenten, die für und gegen die verschiedenen Meinungen ins Feld geführt werden. Die Studierenden sollen dabei zeigen, dass sie abwägen, argumentieren und auch eigene Gesichtspunkte in die Waagschale werfen können. Schließlich ist aus den dargestellten Argumenten (in logisch schlüssiger Weise) eine Entscheidung zu folgern und so das Ergebnis festzustellen.

      Weichen die Ansichten nur teilweise voneinander ab, so ist es zumindest sinnvoll, den Streit nur soweit zu entscheiden, bis die verbleibenden Ansichten übereinstimmen.

      Bsp.: Meinung 1 sagt (+); Meinungen 2 und 3 auch; Meinung 4 sagt (-). - Zulässig ist es, nur darzulegen, weshalb der Meinung 4 nicht zu folgen ist. Da die anderen Ansichten alle zum gleichen Ergebnis gelangen, braucht der Streit nicht weiter entschieden zu werden.

      Für den Streit bezüglich der Zurechnung ergibt sich nun jedoch noch ein weiteres Problem, nämlich, an welcher Stelle er in einem Gutachten zu behandeln ist, da die verschiedenen Ansichten an völlig unterschiedlichen Stufen im Deliktsaufbau anzusiedeln sind. Da der Streit frühestens relevant wird, nachdem man festgestellt hat, dass Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie vorliegt, ist es m.E. empfehlenswert, daran anschließend den Streit zu behandeln. Dass dies in Bezug auf die Ansicht, die die Zurechnung im Vorsatzbereich behandeln will, systemwidrig ist, sollte man dabei in Kauf nehmen.

      Ebenso systemwidrig wäre es jedoch andererseits, erst im subj. Tatbestand den Streit zu behandeln, müsste man doch z.B. die Lehre von der objektiven Zurechnung, die dem objektiven Tatbestand zuzurechnen ist, dann im subjektiven Tatbestand abhandeln.

      Welchem Aufbau Sie folgen sollten, darf in Ihrer Arbeit nicht diskutiert werden.

      Folgen Sie tunlichst der an Ihrer Uni üblichen Praxis!

      Ein weiteres Problem ist, inwieweit, also wie detailliert, auf diesen Streit in einer Klausur einzugehen ist. In der Anfängerübung ist es m.E. ausreichend, die Äquivalenztheorie, die zusammengefasste Lehre von der objektiven Zurechnung und die Lösung über die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf darzulegen.

      Fall 2:

      A schießt auf B, der verletzt zusammenbricht. Er wird mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus transportiert. Unterwegs verunglückt der Krankenwagen. Bei dem Unfall wird B tödlich verletzt. Strafbarkeit des A?

      Lösungsvorschlag

      A könnte sich gem. § 212 strafbar gemacht haben, indem er B niederschoss.

      Der Taterfolg ist mit dem Tod des B, eines anderen Menschen, eingetreten.

      Weiter ist Kausalität zwischen diesem Erfolg und der Tathandlung, dem Niederschießen, erforderlich. Grundsätzlich bestimmt man die Kausalität im Strafrecht nach der Äquivalenztheorie. Danach ist jede Bedingung Ursache, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Denkt man sich das Schießen weg, wäre B nicht mit dem Krankenwagen abtransportiert und bei dem Unfall nicht tödlich verletzt worden. Mithin entfiele der Erfolg, so dass Kausalität nach der Äquivalenztheorie vorliegt.

      Fraglich bleibt, ob dieser von A verursachte Erfolg ihm auch rechtlich zuzurechnen ist. Die Frage der Erfolgszurechnung ist stark umstritten.

      Die Anhänger der Adäquanztheorie sehen die Frage der Erfolgszurechnung als Kausalitätsproblem an, indem sie die Zurechnungsgesichtspunkte als Teil der Kausalität begreifen. Sie leugnen damit die Existenz einer selbständigen Zurechnungsfrage. Kausalität liege danach vor, wenn es bei einer solchen Tathandlung nicht außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit liege, dass ein derartiger Erfolg eintrete.

      Da es in der Vergangenheit durchaus schon zu Unfällen von Krankenwagen während ihrer Einsatzfahrten kam und der Straßenverkehr stets ein immanentes Unfallrisiko birgt, das auch durch eingeschaltetes Blaulicht und Horn nicht völlig ausgeschlossen werden kann, wird man einen Unfall auf dem Transport jedenfalls nicht als außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegend ansehen können.

      Dabei ist es wiederum nicht völlig ungewöhnlich, dass ein Unfallbeteiligter tödliche Verletzungen erleidet. Kausalität (und damit Erfolgszurechnung) nach der Adäquanztheorie liegt also vor (andere Ansicht gut vertretbar).

      Überwiegend wird demgegenüber die Zurechnung als Vorsatzproblem aufgefasst, sog. Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf. Weicht der subjektiv vorgestellte vom objektiv gegebenen Kausalverlauf erheblich ab, fehle es an der Kongruenz zwischen objektiver und subjektiver