Juristische Grundkurse - Strafrecht - Allgemeiner Teil. Hans-Peter Richter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Peter Richter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844256468
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      Da das Ergebnis dieses Ansatzes regelmäßig mit dem der „conditio-Formel“ übereinstimmen wird, ist in der Klausur eine gesonderte Abhandlung m.E. entbehrlich. In der Hausarbeit muss aber selbstverständlich dieser Ansatz dargestellt und verarbeitet werden. Aber auch dort bedarf es angesichts meist gleicher Ergebnisse keiner Streitentscheidung!

      Zu ähnlich strukturierten Ansätzen vgl. Sch-Sch-Lenckner-Eisele Vor §§ 13ff, 73ff.

      Fall 1:

      A gerät mit B in Streit, in dessen Verlauf A ein Messer zieht und B niedersticht. B stirbt. Strafbarkeit des A?

      Da der Tod eines anderen Menschen eingetreten ist, kommt eine Vorschrift aus dem Bereich der Tötungsdelikte in Betracht, hier § 212. Es soll auch zunächst nur § 212 geprüft werden. § 211 ist nicht einschlägig, weil es keinen Hinweis auf die Verwirklichung eines Mordmerkmales im Sachverhalt gibt. § 212 setzt im Einzelnen voraus: es muss der Taterfolg, der Tod eines anderen Menschen (dem Tatobjekt), eingetreten sein. Weiter ist eine Tathandlung des Täters erforderlich und schließlich Kausalität zwischen Handlung und Erfolg. Die „Wendung ohne Mörder zu sein“, hat heute keine Bedeutung mehr, sie ist vielmehr ein Relikt aus der Zeit der sog. Tätertyplehre.

      Lösungsvorschlag

      A könnte sich gem. § 212 strafbar gemacht haben, indem er den B niederstach.

      Dann müsste der Tod eines Menschen eingetreten sein. B, ein Mensch, ist laut Sachverhalt zu Tode gekommen, so dass der notwendige Taterfolg gegeben ist. Die Tathandlung liegt mit dem vom Willen des A getragenen Niederstechen ebenfalls vor. Weiter ist Kausalität zwischen diesem Erfolg und der Tathandlung erforderlich.

      Die Kausalität bestimmt man im Strafrecht nach der Äquivalenztheorie. Danach ist jede Bedingung Ursache, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Denkt man sich hier das Niederstechen seitens des A weg, wäre B jedenfalls nicht durch den Stich zu Tode gekommen. Folglich entfiele der Erfolg in seiner konkreten Gestalt, so dass Kausalität nach der Äquivalenztheorie vorliegt. Damit ist der objektive Tatbestand erfüllt.

      Da A auch vorsätzlich handelte, ist der subjektive Tatbestand gegeben. Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor. Folglich hat sich A gem. § 212 strafbar gemacht.

      Die weitere Prüfung - subj. Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld - erfolgt hier bewusst noch nicht in exakter Form.

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      Die Erfolgszurechnung

      Die Weite der Äquivalenztheorie ist jedoch nicht unproblematisch, denn alle, auch noch so weit zurückliegenden Ursachen sind Bedingungen i.S.d. Äquivalenztheorie, sofern sie nur in einem naturwissenschaftlichen Sinne miteinander verknüpft sind.

      Bsp.: Auch die Großeltern des Mörders sind für dessen Tat kausal geworden, denn hätten sie nicht ihre Kinder und die wiederum deren Kinder erzeugt, so hätte der Täter nicht gelebt, hätte folglich auch seine Tötungshandlung nicht vornehmen können, so dass das Opfer jedenfalls nicht durch das Handeln des Mörders zu Tode gekommen wäre.

      Um einem Täter nur die Erfolge anzulasten, die einer strafrechtlichen Wertung zufolge auch in seine Verantwortung fallen sollen, bedarf es daher eines Korrektivs. Auf der Ebene des Tatbestandes bedient man sich des Begriffs der Zurechnung.

      Wie die Zurechnung eines Erfolges zu geschehen hat, ist im Einzelnen stark umstritten.

      Teilweise wird die Zurechnung als Kausalitätsproblem gesehen, in der überwiegenden Literatur wird sie dagegen als eigenständiges Merkmal des objektiven Tatbestands erfasst.

      Vornehmlich die Rechtsprechung behandelt die Zurechnungsfrage (außer bei Fahrlässigkeitsdelikten) als Vorsatzproblem.

      Vgl. dazu z.B. die Übersichten bei Wessels-Beulke, AT, Rn. 176 ff oder sehr ausführlich Sch-Sch-Lenckner-Eisele, Vor §§ 13ff, 84ff.

      Teilweise wendet man zur Lösung der Zurechnungsfrage die im Zivilrecht herrschende Adäquanztheorie an. Diese geht zunächst von der Äquivalenztheorie aus, schränkt deren weites Ergebnis aber dahingehend ein, dass nur solche Bedingungen als kausal anzusehen seien, die

      nach allgemeiner Lebenserfahrung dazu geeignet sind, einen derartigen Erfolg zu bewirken.

      Die Anhänger dieser Auffassung leugnen damit die Existenz eines eigenständigen Zurechnungskriteriums. Sie wollen die Frage der Zurechnung vielmehr als Kausalitätsproblem verstanden wissen.

      Merken Sie:

      Die Adäquanztheorie ist keine Zurechnungslehre,sondern eine Kausalitätstheorie

      !! Daher ist die Adäquanztheorie im objektiven Tatbestand unter dem Prüfungspunkt „Kausalität“ zu erörtern !!

      Nicht durchgesetzt hat sich die Relevanztheorie, nach der zunächst Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie zur kausalen Verknüpfung von Handlung und Erfolg erforderlich ist. Die Zurechnung soll dann aber anhand der normativen Frage nach der strafrechtlichen Relevanz des betreffenden Verhaltens zu prüfen sein. Nur wenn es sich um strafrechtlich relevantes Verhalten handele, sei der Erfolg zuzurechnen.

      Demgegenüber fassen die im Einzelnen voneinander abweichenden Lehren von der objektiven Zurechnung die Zurechnungsfrage als eigenständiges, im objektiven Tatbestand anzusiedelndes Problem auf.

      Merken Sie:

       Die Zurechnungslehren sehen die Erfolgszurechnung als eigenständiges Merkmal des objektiven Tatbestands an

      Die einzelnen Ansichten weisen allerdings diverse Unterschiede auf.

      Vgl. dazu die Übersicht bei Sch-Sch-Lenckner-Eisele, Vor §§ 13, 84 ff

      Sie lassen sich aber überwiegend auf den Grundgedanken zurückführen, dass ein durch menschliches Verhalten verursachter Unrechtserfolg nur dann objektiv zurechenbar sei, wenn durch den Täter

      eine rechtlich relevante Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen wurde und diese Gefahr sich auch tatsächlich in dem konkreten erfolgsverursachenden Geschehen realisiert habe.

      So der in der Literatur überwiegende Ansatz vgl. dazu näher Lackner-Kühl, Vor § 13, 14; StuKo Joecks, Vor § 13, 35 ff; Wessels-Beulke, AT, Rn 179, jeweils m.w.N, sowie Diehn, Streitstände 1, Strafrecht AT, Streitstand 3.

      Einschränkungen im Hinblick auf die Zurechnung können z.B. nach dem Schutzzweck der Norm geboten sein oder bei fehlendem Risikozusammenhang vorliegen.

      Näher dazu: Sch-Sch-Lenckner-Eisele Vor § 13, 95/96

      Bsp.: A fährt auf der Autobahn bei Hamburg statt der erlaubten 100 km/h mit 180 km/h. In Hannover läuft ihm Fußgänger F vor den Wagen, der dabei zu Tode kommt. Dort hatte sich A absolut korrekt verhalten. - Sinn der Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn bei Hamburg soll es sein, die Autofahrer dort einzubremsen, aber nicht im Stadtgebiet von Hannover. Nach dem Schutzzweck der Norm (Geschwindigkeitsbegrenzung) ist dem A der Tod von F nicht zuzurechnen. Auch fehlt es am Risikozusammenhang, denn die rechtlich relevante Gefahr durch zu schnelles Fahren schlägt sich nicht beim Überfahren des F nieder.

      Auch in Fällen des sog. erlaubten Risikos oder bei Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos wird man die Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr zu verneinen haben.

      Vgl. dazu Wessels-Beulke, AT, Rn 183f.

      Die objektive Zurechnung entfällt auch, wenn ein Dritter vollverantwortlich eine neue selbständig wirkende Gefahr begründet, die sich ohne Fortwirken der vom Täter gesetzten Gefahr im Erfolg realisiert.

      Vgl. dazu und zu den Ausnahmen: Wessels-Beulke, AT, Rn 192.

      Ob darüber hinaus auch bei Fällen der sog. Risikoverringerung die Zurechnung entfällt, ist umstritten.

      Vgl. dazu Wessels-Beulke, AT, Rn 193ff; Sch-Sch-Lenckner-Eisele Vor §§ 13, 94.

      Ebenso ist die Behandlung sog. Retterfälle str, vgl. Wessels-Beulke, AT, Rn 192a.

      Bei Fahrlässigkeitsdelikten kann auch fehlender Pflichtwidrigkeitszusammenhang