Der Deliktsaufbau
Alle strafrechtlichen Delikte sind in gleicher Weise aufgebaut:
Tatbestand
Rechtswidrigkeit
Schuld
Man spricht daher auch von einem dreistufigen Deliktsaufbau. Als vierter Punkt tritt streng genommen noch „Strafe“ hinzu. Ferner unterteilt man den Tatbestand in einen objektiven und einen subjektiven Teil. Damit ergibt sich für den traditionellen Prüfungsaufbau folgendes Bild:
1. Tatbestand
a) objektiver Tatbestand
b) subjektiver Tatbestand
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld
4. Strafe
Das Gesetz beschreibt in seinen Vorschriften des Besonderen Teils meist nur den objektiven Tatbestand. Der subjektive Tatbestand umfasst neben subjektiven Unrechtselementen vor allem den Vorsatz, der jedoch angesichts des § 15 (lesen!) meist nicht ausdrücklich im Gesetz erwähnt ist.
Ebenso haben Rechtswidrigkeit und Schuld nur in Ausnahmefällen in den Tatbeständen des Besonderen Teils Erwähnung gefunden.
Die Strafe schließlich hat einmal in dem im Gesetz ausgesprochenen Strafrahmen und im Übrigen in den Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen Ausdruck erhalten.
Merken Sie:
Der Strafrahmen wird in der Fallbearbeitung an der Universität nicht behandelt! Die Prüfung beschränkt sich auf die Punkte 1. bis 3.
Der Punkt 4. wird nur dann angesprochen, wenn Anhaltspunkte für Strafausschließungs-/aufhebungsgründe gegeben sind.
Die Fallbearbeitung
Einführungsfall:
A nimmt die wertvolle Vase des B und zerschmettert sie. Strafbarkeit des A?
Dieser sehr einfache „Fall“ soll zunächst und vor allem in die Lösungstechnik der strafrechtlichen Fallbearbeitung einführen.
Jede Fallbearbeitung im Strafrecht beginnt ebenso wie in anderen Rechtsgebieten mit der richtigen Erfassung des Sachverhalts.
Ist dies geschehen, z.B. indem man die beteiligten Personen, deren Handlungen, ggf. verschiedene Handlungsabschnitte etc. heraus gearbeitet hat, so ist die Fallfrage zu analysieren und festzustellen, nach wessen Strafbarkeit gefragt ist.
Sodann sind die für die jeweiligen Personen und deren Handlungen in Betracht kommenden Straftatbestände zu suchen. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass § 303, Sachbeschädigung, in Betracht kommen könnte.
Vorüberlegungen zu jeder Fallbearbeitung sind:
1. Erfassen des Sachverhalts
2. Analysieren der Fallfrage
3. Aufsuchen der Straftatbestände
Nunmehr kann die eigentliche Falllösung beginnen.
Beachten Sie:
Die Vorüberlegungen gelangen nicht in die Ausarbeitung
Die Ausarbeitung hat mit dem Aufwerfen der Problemstellung zu beginnen. Man hat dazu einen Obersatz (auch Hypothese genannt) zu bilden, mit dem jede Prüfung anfangen muss. Im Strafrecht geht es, anders als im BGB – vgl. Band 1, BGB AT - nun nicht um Ansprüche, sondern um die Frage, ob jemand strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist. Für obigen Fall lautet der Obersatz daher:
A könnte sich gem. § 303 StGB strafbar gemacht haben.
Damit haben wir den Kern der Problemstellung erfasst. Jedoch gibt es viele Fälle, in denen eine solche Beschreibung des Problems noch nicht ausreicht, da sie nicht hinreichend exakt herausstellt, welches Verhalten des Sachverhalts zu untersuchen ist. So kann es z.B. Fälle geben, in denen ein Täter mehrfach handelt.
Bsp.: A, in Wut geraten, zerschlägt die Möbel des B, demoliert das Auto des C und wirft anschließend die Fensterscheibe bei D ein.
Alle drei Handlungen können ihrerseits den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllen. In der Form, wie die Frage oben aufgeworfen wird, gibt sie dem Leser nicht die notwendige Auskunft darüber, welche Handlung genau geprüft wird. Daher ist es unerlässlich, stets die untersuchte Verhaltensweise in der Problemstellung mit zu nennen!
Im Obersatz ist die untersuchte Handlung stets zu benennen
Der Einleitungssatz muss daher richtig lauten:
Formulierungsvorschlag:
A könnte sich gem. § 303 strafbar gemacht haben, indem er die Vase des B zerschmetterte.
Damit haben Sie den Aufhänger für Ihre weitere Prüfung, die sich nun an dem angesprochenen Tatbestand orientiert, gefunden. Wie im BGB, wo Sie nach dem Einleitungssatz herausarbeiten mussten, welche einzelnen Tatbestandsmerkmale die jeweilige Anspruchsgrundlage aufwies, so müssen Sie auch im Strafrecht die Tatbestandsmerkmale der betreffenden Strafvorschrift erfassen, voneinander abgrenzen und prüfen.
Im Fall des § 303 sind dies:
1. Sache;
2. fremd;
3. beschädigen oder zerstören.
Die Erwähnung der Rechtswidrigkeit hat für den Tatbestand des § 303 keine besondere Bedeutung, denn sie bezeichnet nur die Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal, wie es jeder Strafvorschrift immanent ist. Die Behandlung der Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal erfolgt unten in Kapitel 4. Die Nennung der Rechtswidrigkeit in § 303 ist damit eigentlich überflüssig und bedarf keiner gesonderten Prüfung.
Diese Tatbestandsmerkmale haben Sie jetzt zu untersuchen.
Bei einfach strukturierten Tatbeständen, wie hier § 303, kann man sich sogleich ein Merkmal herausgreifen und dieses prüfen. Überflüssig und damit jedenfalls unzweckmäßig, wenn nicht sogar falsch, ist es, den Gesetzestext noch einmal abzuschreiben (lesen kann jeder selbst!). Auch sollte man keine allzu umfassende Subsumtionsfrage voranstellen.
Bsp. für eine zu lange, überflüssige Einleitung: § 303 besagt, dass derjenige, der rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, zu bestrafen ist.
Richtig ist es, und vor allem auch arbeitsökonomisch weit besser, wenn man sich gleich das Merkmal Sache herausgreift:
Formulierungsvorschlag:
Dann müsste es sich bei der Vase um eine Sache handeln.
Dies sollte der zweite Satz in Ihrem Gutachten werden.
Bei komplizierten Tatbeständen kann es demgegenüber empfehlenswert sein, dem Leser zu erläutern, welchen Teil der Vorschrift man zunächst zu untersuchen gedenkt.
Bsp.: § 263 setzt zunächst voraus, dass X durch Täuschung bei Y einen Irrtum verursachte. Daher müsste X den Y getäuscht haben.
Sie haben damit bereits mit der Subsumtion begonnen.
Der zweite Schritt der Subsumtion, nach Aufwerfen der Subsumtionsfrage, sollte dann die Definition des untersuchten (abstrakten) Tatbestandsmerkmals sein. Also:
Formulierungsvorschlag:
Gem. § 90 BGB sind Sachen alle körperlichen Gegenstände.
Der Begriff der Sache ist nicht immer so klar, wie es danach zu sein scheint, so sind als Sachen vor allem auch Pflanzen anzusehen.
Überwiegend sieht man auch die menschliche Leiche als Sache an, vgl. Lackner-Kühl, § 242, 2.
Tiere sind wegen der Regelung in § 90a BGB keine Sachen, die Vorschriften über Sachen