Todd blickt Sal lange und intensiv an. Dann spricht er das aus, was ihm auf der Seele liegt: „Wie lange haben Sie das nun schon mit sich herumgeschleppt“, sagt er leise und legt für einen Moment seine Hand auf die von Sal. „Für mich ist aus all dem eines sehr deutlich: Sie lieben sie immer noch. Und was noch viel schöner ist, sie liebt sie offensichtlich auch. Sehen Sie das denn nicht? Welche Frau lässt Sie denn ziehen und ihren Träumen nachjagen und nimmt Sie zwanzig Jahre später wieder auf, ohne ein Zeichen von Wut oder gar Schuldzuweisung, wenn nicht aus Liebe? Wissen Sie was, Sal? Sie sind ein verdammter Glückspilz. Und an Ihrer Stelle würde ich mir die unnötige Schuld endlich von den Schultern werfen und diese fantastische Frau auf die einzige Art und Weise belohnen, die sie verdient: Indem Sie sich selbst erlauben, sie zu lieben und die gemeinsame Zeit zu genießen, die Ihnen beiden noch bleibt.“ Todd nimmt einen kurzen Schluck aus seinem Rotweinglas, bevor er fortfährt. „Wissen Sie, was ich in all den Jahren unserer Missionen auf anderen Planeten für mich erkannt habe, Sal? Das Leben ist verdammt nochmal zu kurz und zu wertvoll, um es mit längst vergangenen Dingen zu verschwenden. Nutzen Sie es. Werden Sie glücklich. Sie haben es sich wahrlich verdient.“
Sal schweigt lange und hängt mit gesenktem Kopf in seinem Sessel. In seinen Augen sind die untrüglichen Zeichen von Schmerz zu erkennen, und würde die gedimmte Beleuchtung nicht den Tisch in ein gnädiges Zwielicht tauchen, dann würde Todd bemerken, wie dieser Fels von einem Mann gerade weint. Die Momente verstreichen still und jeder der Freunde gibt seinem Gegenüber Zeit, sich zu beruhigen. Die Gläser füllen und leeren sich, die letzten Snacks auf dem Teller verschwinden, und langsam, ganz langsam, werden trockene Kehlen wieder feucht.
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich Ihre Worte gerade berührt haben, Todd“, sagt Sal endlich mit festerer Stimme. „Sie sind ein wahrer Freund und ich hoffe, ich werde mich einmal bei Ihnen dafür revanchieren können. Für den Moment aber sollen Sie wissen, dass Sie absolut recht mit Ihrer Einschätzung haben. Wissen Sie, wenn ich jetzt die Rettung von Kisha übernehmen könnte, dann fiele es mir leichter, mir all das zu verzeihen, was ich nicht getan habe. Aber so ist es für mich sehr schwer, mich Eves Liebe für würdig zu erweisen, nach all der Zeit, in der ich nicht für sie und Kisha da gewesen bin. Was ist das nur für eine Frau, Todd. Ich bin ein verdammter Esel gewesen.“ Er schaut Todd direkt an. Seine Augen glänzen immer noch.
„Sind wir das nicht alle, mein Freund, wenn es um die Frauen geht?“
„Ich hoffe doch sehr, Sie machen das besser als ich. Wie geht es Teresa, übrigens? Ist sie noch immer so smart und schön wie ich sie in Erinnerung habe?“
„Noch smarter und noch schöner, das versichere ich Ihnen. Ich frage mich ungefähr jeden dritten Tag, wie sie es mit mir Akademie-Langweiler nur aushält“, erwidert Todd schmunzelnd. „Aber das werde ich ja bald schon genauer herausfinden können. Sie sollten wirklich einmal die Zwillinge sehen, die unsere Tochter Milla vor zwei Jahren auf die Welt gebracht hat, ein Mädchen und ein Junge, beide blond, sehen aus wie kleine Engel und können schreien wie die Teufel, das sage ich Ihnen. Ich freue mich schon sehr auf meine Rolle als Erziehungs-Großvater, sobald Milla beruflich wieder voll einsteigt. Sie ist sehr begabt, müssen Sie wissen. Sie und ihr Mann haben sich für eine spannende Mission auf einem der Außenposten vor Xenon verpflichtet. Ich bin unendlich stolz auf sie. Und Teresa und ich sind schon ganz vernarrt in die Zwillinge.“
„Ich freue mich so für Sie, mein Freund. Wie werden Sie es mit der Akademie halten, bis die beiden groß sind?“
„Es ist schon alles mit dem Dekan besprochen. Meine Vorlesungen werden auf etwa die Hälfte reduziert und zeitlich gebündelt, was organisatorisch und inhaltlich auch kein großes Problem darstellt. Wir haben genügend fähige Professoren und Professorinnen, die teilweise auf besserem und aktuellerem Wissensstand sind als ich alter Sesselhüter. Bei Teresa ist es da schon deutlich schwieriger.“
„Ach was, Todd, seien Sie nicht zu bescheiden, Sie sind doch nicht alt. Mit 30 Professor und vor drei Jahren, mit 40, schon Sonderbeauftragter der Akademie für die große Mission. Das soll Ihnen bitte erst einmal jemand nachmachen.“
„Danke, Sal, das ist sehr nett von Ihnen. Aber dasselbe gilt doch auch für Sie. Sie haben wirklich Außerordentliches geleistet auf den großen Missionen, das sollte bei all den persönlichen Problemen auch etwas zählen dürfen. Es ging um die Interessen von Milliarden von Lebewesen, Sal. Bitte vergessen Sie das nie.“
„Und jetzt werde ich mich wohl noch einer weiteren Mission stellen müssen, hier, zuhause, auf Casta 3. Meiner wahrscheinlich schwierigsten bisher“, schließt Sal das Gespräch mit seinem Freund ab, den er, wie er jetzt weiß, viel zu lange nicht in seinem Leben gehabt hat.
„Sie schaffen das. Eve hat ihnen bereits die Tür weit geöffnet. Jetzt müssen Sie nur noch Ihren ganzen Mut zusammennehmen und auch durchgehen“, erwidert Todd ein wenig amüsiert. Dann fügt er etwas ernster hinzu: „Und dann gibt es noch eine weitere Aufgabe, über die ich mit Ihnen sprechen muss.“
„Ja? Welche denn?“ Sal blickt seinen Freund verwundert an.
„Die meines Nachfolgers, des Spezialbeauftragten der Akademie für die große Mission. Ich könnte mir keinen besseren Kandidaten dafür vorstellen als Sie.“
Durchbruch
Euphorisch pfeffert Yoav seinen Sneakers in die Küchenecke, nachdem er von einer auspowernden Tempo-Runde um den Central Park zurückgekommen ist. Sofort dreht er das Radio in der Küche auf volle Lautstärke auf und greift automatisch nach der Kühlschranktür, um sich eine eisgekühlte, flüssige Belohnung daraus zu krallen. Unter seinem Kapuzenshirt rinnen die salzigen Schweißperlen herunter. Mit einem Strahlen im Gesicht lässt er sich auf einen der Küchenstühle fallen und leert seinen 1 Liter-Isodrink in einem Zug aus. Aus dem hinteren Bereich der Bude dringt derweil ein Rumpeln zu ihm vor. Boyles Zimmertür geht abrupt auf.
„Mann, was machste denn für einen Lärm schon so früh am Morgen. Und dann auch noch am Sonntag, biste noch ganz dicht?“, tönt es Yoav verpennt entgegen.
„Was kann ich dafür, wenn du so ´ne Nachteule bist, Alter. Es ist nach zwölf. Wieder die ganze Nacht im Netz verbracht?“, erwidert Yoav durchaus ehrlich interessiert.
„Lass‘ mich erst mal wachwerden, ok? Wir reden später.“ Boyle schlurft mit bestenfalls halb geöffneten Augendeckeln tranceartig in Richtung Bad.
So viel zum Thema Duschen und Kommunikation, sagt sich Yoav entspannt und beschließt, stattdessen die Küchenspüle für eine Katzenwäsche zu missbrauchen. Was soll‘s, es ist ein geiler Tag heute, scheiß doch auf die Konventionen!
Heute Morgen schon, nach einem tiefen, wohltuenden Schlaf, hat er kurzentschlossen zum Telefonhörer gegriffen und den Typ vom Label angerufen. Es ist vielleicht noch etwas früh gewesen, aber wahre Künstler sind immer unter Strom, wenn es um ihre Musik geht, hat sich Yoav gesagt, und wenn der Typ nicht gestört werden will, dann kann er ja einfach die Mailbox laufen lassen. Aber er ist dran gegangen, nach nur dreimal Klingeln, während Yoav das Herz bis zum Hals geschlagen hat. Wie an dem Abend in der Bar ist er super interessiert gewesen und hat sich gleich für morgen früh mit Yoav in seinem Studio verabredet. Wie geil ist das denn! Der will sofort mit mir loslegen. Mann, ich könnte den Alten knutschen für seine Weisheit!
Die schweißgetränkten Sportklamotten landen mit einem gezielten Wurf in einer Küchenecke. Gutgelaunt lässt sich Yoav das kühle Wasser über seinen trainierten Körper schwappen, dann noch den Kopf unter den Hahn gehalten, die triefenden Locken heftig durchgeschüttelt und fertig ist der Held des Tages. Während er sich mit einem Küchentuch dürftig abreibt, trällert er automatisch den Rock-Klassiker mit, der gerade im Radio läuft und macht