Der Casta-Zyklus: Initiation. Christina Maiia. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Maiia
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844264579
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und noch fremd hier. Es ist schon ein paar Tage her, da habe ich sie das letzte Mal gesehen, und jetzt mache ich mir ernsthaft Sorgen. Sie mag dir und den anderen vielleicht etwas verwirrt und seltsam vorkommen, denn sie ist fremd in dieser Gegend und spricht auch unsere Sprache so gut wie nicht. Wir haben uns immer gegen Abend hier getroffen, aber plötzlich ist sie verschwunden und jetzt habe ich Angst um sie“, berichtet Xavier durchaus wahrheitsgemäß.

      „Und wie kann ich helfen? Wie sieht sie denn aus?“

      „Es würde mir schon sehr helfen, mein Junge, wenn du die Augen offenhalten würdest und vielleicht auch noch deinen Freunden hier in der Gegend Bescheid gibst, damit sie dich sofort rufen, sobald sie sie sehen. Es ist wirklich wichtig, dass ich es dann bin, der sie anspricht, denn ich fürchte, bei jedem anderen würde sie sofort Angst bekommen und wieder weglaufen. Ich bin ihr einziger Kontakt, dem sie vertraut. Ach ja, das hier ist ein Foto von ihr aus besseren Zeiten. Sie hat es mir einmal geschenkt, als ich alter Narr sie darum gebeten habe. Seitdem trage ich es immer bei mir.“

      Man könnte fast meinen, der Alte sei in das Mädchen verknallt, denkt sich Yoav, als er das Foto in Empfang nimmt. Aber in der Tat, es geht etwas Seltsames aus von diesem Bild. Pechschwarze, glatte Haare auf einer hellen, fast transparenten Haut, die von innen heraus zu leuchten scheint. Und dann sind da noch diese klaren, durchblickenden Augen, die die Farbe eines Ozeans haben, in dem man sofort abtauchen möchte. Ihr Mund hat etwas Trotziges, stellt Yoav mit einem Lachen fest, eine Rebellin entlarvt sich darin, die sicher heftige Wortblitze abfeuern kann, wenn´s drauf ankommt. Und die Stirn, die ist hoch und zeigt schon ein paar Linien, wohl von zu viel Grübeln, sagt er sich aus eigener, eingehender Erfahrung. Er kann den Alten gut verstehen, es geht etwas Magisches von diesem Mädchen aus, und wenn er mal ganz ehrlich ist, würde es ihm nicht allzu viel ausmachen, wenn er sie als Erster finden würde.

      „Was meinst du?“, fragt Xavier mit einem gewissen Ausdruck in seinem Gesicht nach, der für den Hauch einer Sekunde etwas Verschlagenes hat.

      An Yoav geht diese Mimik zum Glück vorbei. Noch immer schaut er gebannt auf das Foto. „Was? Ach ja, natürlich, ich helfe dir gerne“, antwortet er, als sei er eben aus einem anderen Universum zurück gebeamt worden. „Ich gehe gleich heute mal herum und frage meine Leute, ob sie sie gesehen haben. Dafür müsste ich mir allerdings das Foto ausborgen. Kann ich es für eine Weile haben? Du bekommst es bald wieder, versprochen.“

      „Sicher, sicher, kein Problem, mein Junge. Ich weiß, es ist in guten Händen bei dir. Danke, dass du mir bei dieser Sache helfen willst. Weißt du, vier oder mehr Augen sehen einfach mehr als zwei, und ich kann nicht immer hier sein und mich nach ihr umschauen. Ich denke, ich kann ruhiger schlafen, wenn ich weiß, dass sich noch ein paar Menschen mehr um die Kleine kümmern.“ Xavier hat wieder die Miene der Gutmütigkeit aufgelegt, was dem alten Meister wie üblich hervorragend gelingt.

      „Das ist doch selbstverständlich, Xavier. Ich tue das sehr gerne.“ Und wie gerne ich das tue.

      „Prima, das freut mich. Sie heißt übrigens Kisha. Falls du sie als Erster finden und mit ihrem Namen ansprechen solltest, sprich bitte betont langsam und mit ganz ruhiger, tiefer Stimme, darauf reagiert sie gut. Vielleicht nennst du besser noch meinen Namen und zeigst ihr das Foto, das kann nicht schaden. Aber wie gesagt, immer schön langsam und tief sprechen, sonst wird sie nur verschreckt. So“, schwenkt der Alte jetzt um, „lasse uns doch den herrlichen Sonnenuntergang zusammen genießen und noch ein wenig über deine Sachen plaudern, was meinst du? Ich würde mich freuen, noch mehr von deinem Tag und deinem Telefonat zu erfahren“, schlägt der zweite Meister des Ordens der Weisheit seinem jungen, völlig ahnungslosen Novizen vor. In seinem Inneren aber freut sich Xavier mit der Intensität eines kleinen Kindes: Ich habe ihn, es hat geklappt!

      Höhen und Tiefen

      Es ist kurz nach der hektischen Mittagessensschicht. Die eingeteilten Studenten entsorgen gerade unter Einsatz der Reinigungsroboter die Reste von den Tischen im Observatorium. Professor Todd hat außer der Reihe Lust auf einen Espresso verspürt, was vermutlich die Folge von dem einen oder anderen Glas zu viel an Rotwein ist, das er hier am Abend zuvor mit Sal geleert hat. Die schöne Erinnerung daran macht sich trotz seines vernebelten Kopfs wohlig in ihm breit. Endlich fühlt er sich seinem Freund wieder so nah wie früher. Manchmal gibt es selbst in einer guten Freundschaft Brüche, reflektiert er erleichtert, aber durch die Tiefen kann man sich umso mehr über die Höhen freuen. Apropos freuen: Schnell holt er sich seinen Espresso an der Bar ab und setzt sich ein paar Tische weiter entspannt in die Lounge. Die dunkle Crema schmeckt ihm heute besonders gut, denn in letzter Zeit bleibt er seiner Gesundheit zuliebe eher bei Oreas-Tee. Ein seltenes Vergnügen, bedauert er schon jetzt, als die ersten Tropfen seine Kehle hinab gleiten. Ich muss fit bleiben. Die Zwillinge werden uns bald auf Trab halten, und das für die nächsten 25 Jahre. Das wird ein Spaß.

      Während er seinen Kaffee in wohldosierten Schlücken genießt, ist Kim, eine seiner ehemaligen Studentinnen, am Nachbartisch mit dem Aufräumen zugange. Er grüßt sie freundlich und interessiert. „Hallo Kim, wie geht‘s? Wie immer fleißig?“

      „Danke, Professor Todd, aber das ist eher Erholung für mich. Sie sollten erst mal die Stapel in meinem Display sehen“, antwortet Kim gut gelaunt. Sie verdreht spaßhaft die Augen.

      „Na, das machen Sie doch mit links, wie ich Sie kenne“, erwidert Todd amüsiert und ehrlich zugleich. Keiner seiner zahlreichen Studenten, nicht einmal Kisha, hat sich je mit derartiger Leichtigkeit, Gewissenhaftigkeit und Ausdauer an das Lernmaterial herangemacht wie Kim.

      „Ihr Wort in Professor Balthazars Gehörgang. Aber danke für das schöne Kompliment.“

      „Das ist nur zu verdient. Immer noch die Nummer 1 in Astrophysik?“

      „Ich gebe mein Bestes“, strahlt sie zurück. „Professor? Wenn ich Sie hier sehe, darf ich Sie vielleicht kurz etwas fragen, so ganz unter uns?“ Vorsichtig kommt sie näher an Todds Tisch heran. Sie schaut sich besorgt um.

      „Aber gerne. Setzen Sie sich doch einen Moment. Die Akademie-Leitung wird es Ihnen schon verzeihen, wenn Sie mit Ihrem alten Professor ein paar Takte reden“, meint Todd belustigt. Es ist nicht gerade selten, dass ehemalige Studenten mit anderen als rein fachlichen Problemen auf ihn zukommen, vermutlich weil er gerne auch jenseits der Vorlesungen ein offenes Ohr für sie hat. So hat er schon dazu beitragen können, Fauxpas auszubügeln, und wie immer ist es ihm eine Freude, wenn er unnötige Desaster verhindern kann. Er ist deshalb eher auf ein emotionales Problem eingestellt, als sich Kim ihm gegenüber setzt und zu reden beginnt.

      „Professor, Sie sind doch der Beauftragte der Akademie für die große Mission“, eröffnet sie mit einer Feststellung. „Sie wissen deshalb sicher, dass ich eine der ausgewählten Studentinnen bin, die am Projekt im Hangar mitarbeiten.“ Todd nickt und fragt sich insgeheim, was für ein Problem wohl jetzt kommen mag.

      „Ich will ja nicht zu neugierig erscheinen und sicher nicht den Ältesten Avner unnötig belästigen, aber ich habe mich gefragt, warum wir Testreihen mit Schwingungs-Modifikationen an einer der Sphären vornehmen. Das macht für mich irgendwie keinen Sinn vor dem Hintergrund des technologisch-physikalischen Konzepts, so wie es mir vermittelt wurde und ich daran mitentwickle.“

      Professor Todd lehnt sich einen Moment in seinem Stuhl zurück und versucht, eine ruhige Miene zu bewahren. Die Synapsen in seinem Gehirn beginnen, wild zu feuern.

      Kim registriert seine Pause und wird unsicher. Hastig setzt sie nach: „Ich meine ja nur. Es ist mir aufgefallen und ich konnte es mir einfach nicht erklären. Ich will Ihnen natürlich nicht zu nahe treten, wenn das unter die spezielle Geheimhaltung fallen sollte, insofern vergessen Sie es bitte gleich wieder, dass ich gefragt habe. Entschuldigen Sie“, rudert sie zurück und steht auf, als Todd sich noch nicht aus seiner geistesabwesenden Position herausbewegt hat.

      Er schaltet schnell. „Nein, Kim, machen Sie sich doch keine Gedanken. Und bleiben Sie bitte sitzen, ich wäre wirklich froh, wenn alle Studenten so engagiert und selbständig im Denken wären wie Sie“, setzt er taktisch klug hinterher. Dann, um sich mehr Zeit zu verschaffen: „Ich überlege nur, ob und wie