Der Casta-Zyklus: Initiation. Christina Maiia. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Maiia
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844264579
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Farbe wie ihre Verpackung. „Magst du auch was?“

      „Klar, warum nicht.“ Boyle setzt sich zu ihm auf einen der klapprigen, blanken Holzstühle, die bereits mehrfach mit grellen Farben überstrichen worden sind, was nun dank der professionellen Ausführung in ein abgeblättertes Potpourri mündet. Beide schlürfen einen Moment lang still die kalte Milch in sich hinein und hängen in ihren Stühlen ab.

      „Wo warste denn heute so lange?“, will Boyle schließlich wissen, „bei Quin und Mo?“

      „Kann ich dich mal was fragen, ich meine so richtig, ernsthaft?“, antwortet sein Kumpel nachdenklich, ohne auf die Frage zuvor einzugehen.

      „Klar, Mann, schieß ruhig los.“ Boyle genehmigt sich einen tiefen Schluck aus dem Becher als mentale Vorbereitung. Dann schaut er Yoav betont aufmerksam an.

      „Hast du dir schon mal überlegt, warum wir eigentlich hier sind?“ Sein Ton verrät ein tiefes, persönliches Interesse.

      „Wirst du jetzt etwa philosophisch, Alter? Wie meinste das denn? Hier, wie hier in der Stadt, oder hier, wie überhaupt am Leben und so?“, erwidert Boyle ungeduldig.

      „Ich meine, hier in der Stadt, warum wir so leben, wie wir leben, hier, in diesem total abgefuckten Moloch.“

      „Weiß nicht, denke wegen der Uni und so, und weil hier die Knete lebt, Mann, und ohne Moos………..du weißt schon. Aber wie kommste denn jetzt plötzlich darauf?“ Boyle ist erstmals an dem Inhalt der Konversation interessiert.

      „Ich hab‘ da jemanden getroffen. Nein, nicht wie du denkst“, setzt Yoav schnell hinterher, als er schon ein bestimmtes Grinsen im Gesicht seines Gegenübers ausmachen kann, „keine Frau. So einen alten, seltsamen Typen, der mich irgendwie zum Nachdenken gebracht hat.“

      „Na wenn‘s dir gut tut.“ Ein gelangweilter Blick an die Decke.

      „Fragst du dich denn sowas nie? Ich meine, denkst du nie über das Leben nach? Was treibst du eigentlich so vor deiner Flimmerkiste die ganze Zeit, wenn du nicht gerade pennst oder qualmst?“ Yoavs Ton ist ungewollt aggressiv.

      „Wow, wow, wow! Mal ganz langsam und geschmeidig. Du hältst mich wohl für ‚ne ziemlich dauerbekiffte Dumpfbacke, wenn ich mal nach deinem Ton urteilen darf.“ Boyle schaltet abrupt von entspannt auf ernst. „Willste das denn wirklich wissen, ernsthaft, nach zwei Jahren auf einmal, die wir nun schon an diesem lauschigen Plätzchen in trauter Zweisamkeit zusammen hausen?“

      Yoav bemerkt sofort, dass er seinem Kumpel gerade zu nahe getreten ist. Doch jetzt ist es schon für eine Entschuldigung zu spät. „Ja, ich will“, erwidert er spaßhaft, um die ungewohnte Spannung zwischen ihnen zu neutralisieren.

      „Na dann pack‘ mal deinen Becher, Alter, und komm‘ mit mir in meine Höhle“, schießt Boyle zurück. Mit einem schnellen, unerwarteten Satz hievt er sich von seinem Stuhl hoch und macht vor Yoav eine tiefe Verbeugung. Seine Arme schwenken zu seinem Zimmer hin, das offensichtlich das Zentrum seiner bis dato streng geheimen Aktivitäten bildet. Dann äußert er in dem höflichsten Ton, den er zustande bringt: „Wenn Sie mir bitte folgen möchten, Ihre Majestät.“

      Fragen

      Noch immer verwirrt biegt Yoav um die Ecke zu Tonys Imbiss ein. Die letzte Nacht mit Boyle vor dessen Laptop hat ihm eine Welt offenbart, die in den letzten zwei Jahren anscheinend völlig an ihm vorbei existiert hat. Er kann sie immer noch nicht ganz fassen. Wie ein Paralleluniversum, denkt sich Yoav, als er schon kurz vor Tonys Bude steht.

      Das freundschaftliche Gespräch mit einem wie immer glänzend aufgelegten Tony über die Banalitäten des täglichen Lebens kommt ihm da gerade recht. Mehr als eine Stunde hängt er bei ihm ab, genießt seinen geliebten Burger, heute Marke Veggie, begrüßt ein paar weitere Stamm-Seelen an diesem Ort des himmlischen Friedens und lacht sich über ein paar Witze schlapp, die Tony wie immer in Non-Stopp-Qualität auf Lager hat. Dann versorgt er sich mit seinem kulinarischen Mitbringsel, bevor er aufbricht, um Xavier an ihrem üblichen Ort zu treffen. Seltsam, denkt sich Yoav, wir haben uns nur zweimal gesehen und einmal davon nur kurz auf ‚ne Fluppe, und schon kommt es mir vor, als ob wir ganz alte Freunde wären. Es kostet ihn keine Überwindung, zum Schlachthof zu gehen, im Gegenteil, er spürt Vorfreude, nur ein wenig abgemildert von den bohrenden Fragen, die der Alte so treffsicher zu stellen weiß und die Yoav sicher wieder einige Stunden, wenn nicht sogar Tage beschäftigen werden. Aber ein Teil von ihm will genau das, ganz offensichtlich, dieser Teil genießt das auf eine fast schon masochistische Weise, wie ein unerwartetes Geschenk, das sowohl einen tiefen Wunsch erfüllt, über den man nicht einmal etwas wusste, als auch den weiteren Gang des Lebens unwiderruflich verändert wird.

      Boyle ist das beste Beispiel. Zwei Jahre wohnen wir jetzt schon zusammen, reflektiert Yoav, zwei ganze Jahre lang, haben sogar einige Nächte zusammen Joints geraucht, Biere gezischt und uns die Köpfe heiß gequatscht, doch keine Sekunde lang hatte ich auch nur einen vagen Plan, was sich hinter diesem scheinbar harmlosen Typen verbirgt. Ich bin der eigentliche Vollidiot hier. Aber wie hat Xavier so schön gesagt: Nur wer fragt, der bekommt auch eine Antwort. Und die hat Yoav jetzt auch erhalten, mehr als ihm vielleicht lieb ist.

      Das Fragen, das ist Xaviers Masche, sinniert Yoav, als er fast schon am Schlachthof angelangt ist, das hat er drauf wie kein anderer. Aber witziger Weise nimmt die Offensichtlichkeit dieser Masche ihr nicht den Reiz. Es ist wie ein Spiel mit offenem Visier, bei dem jeder Gegner weiß, was abgeht, weiß, dass der andere das ebenfalls kapiert hat, und dennoch lassen sich beide auf dieses Spiel ein. Wahrscheinlich, weil es ein Bedürfnis befriedigt, weil es Spaß macht, weil es genial ist zu entdecken, was der andere gleich wieder aus dem Köcher zaubern wird. Das ist genau die Art und Weise, wie Yoav es genießt zu spielen. Sich gegenseitig etwas vorzumachen und tatsächlich zu glauben, dass der andere das nicht checkt, ist ihm viel zu blöd und viel zu banal.

      Doch die ganze Sache hat auch noch einen ganz anderen Aspekt: Mit seiner Fragerei hat Xavier bislang nämlich geschickt vermieden, etwas über sich selbst verraten zu müssen. Dieser Kerl hat es faustdick hinter den Ohren, folgert Yoav, auf eine magische, weise Art. Doch heute wird er ihm ein würdiger Gegner sein, ein Freund, mit dem es sich lohnt zu reden, weil beide Seiten etwas dabei zu gewinnen haben.

      Als er um die Ecke zum Schlachthof einbiegt, sieht er seinen neuen Freund schon wie üblich auf dem Betonpfeiler sitzen. Der späte Nachmittag ist nicht so sonnig wie noch einen Tag zuvor, sondern eher bedeckt mit ein paar gelegentlichen Tropfen darin, was Xavier allerdings nicht die Bohne zu stören scheint. Freudig reckt er sein Gesicht gen Himmel, fängt alles auf, was ihm daraus entgegenkommt und schenkt Yoav ein breites, freundliches Hallo aus einer sehr zufriedenen Miene.

      „Hallo, mein Junge! Schön, dass du auch heute Zeit gefunden hast zu kommen. Und wieder mit so einer leckeren Delikatesse. Ich danke dir für deine Freundlichkeit. Komm, setze dich, ich habe uns ein paar Decken mitgebracht.“

      „Hallo Xavier, wie geht´s so heute?“

      „Bestens, wenn ich dich sehe. Wie war dein Tag bisher?“

      „So und so. Ich bin etwas kaputt von einer langen Nacht am Computer“, erwidert Yoav.

      „Interessant. Magst du mir etwas davon erzählen?“

      Und schon hat er mich wieder. Ich will es wohl nicht anders, realisiert Yoav. Gleichzeitig realisiert er aber auch, dass es ihm in Wahrheit nichts ausmacht. Er lässt sich darauf ein: „Hab‘ ich schon mal von meinen Roommate Boyle erzählt? Ein echt durchgeknallter Typ. Gestern Abend, auf jeden Fall, sind wir ein bisschen ins Reden gekommen, was wir sonst nicht so oft tun, jedenfalls nicht über das, den Sinn des Lebens, diese Stadt und so. Und dann, als wir uns fast in die Wolle gekriegt haben, weil ich ihn, zugegeben, etwas dumm angegangen bin, da hat er mich mit in sein Zimmer geschleift und mir die halbe Nacht lang gezeigt, womit er sich herumschlägt. Mann! Ich muss dir sagen, echt abgefahren. Das war, als ob man mir ein neues Universum zeigen würde, von dessen Existenz ich noch nicht einmal einen vagen Plan hatte. Der blanke Wahnsinn! Ich kann dir gar nicht alles erzählen, was ich da gesehen und gelesen habe.“

      Yoav