„Elsula, des solltu nit so bekümmert sin. Ich hab in sinen Jahren kein Muotterle ghät und kein Vater. Hab müessen singend gohn und bin dannocht miner Kunst ein Wohlerfahrner worden, daß sie üns ernährt.“
Eis Ochsnerin hielt ihre Tränen zurück, weil sie merkte, daß ihres Mannes Gedanken einen andern Weg flogen. Sie hatte nicht geweint, weil ihr um die Menschenart des Söhnleins bangte, sondern weil ihr manchmal sterbensmüde war und sie vor einem frühen Ende zitterte, das die Ihren verwaisen möchte. Sie schwieg aber und wollte das alte Lied des Bombast nicht hören. Sie hing zu sehr am Ochsnerhaus und an dem Rauschen der Sihl.
Nach dem Pontifikalamte des letzten der drei Festsonntage – der Legat hielt es – wurde die große Engelweih mit eidgenössischen Spielen beschlossen.
Geblieben war nur, wer ein Stück Geld übrig hatte und die Heimfahrt bei bequemer Gelegenheit zu Roß und Sänfte leichter nehmen konnte. Den Wirten lag für diesen letzten Tag ein auserlesener Rest im Keller, und die Küchen dunsteten erquicklicher als an den Tagen des Massenfutters. War auch allezeit tüchtig eingeladen worden, so wußten die Wirte, daß am letzten Sonntage nur im Besten geschlemmt und gedämmt werde, soviel nur die Haut hielt. Zuvor aber eine ehrliche eidgenössische Arbeit.
Die Armbrust- und Hakenschützen zogen unter Pfeifen und Trommeln zu ihrer Zielstatt, weither vom Zürchersee, aus Schwyz, Luzern und St. Gallen waren noch etliche zugestoßen. Und jedem Zug der Männer folgte je einer der Knaben in guter Ordnung mit Armbrust, Spieß und Hellebarde, die Kurzwehr an der Seite. Es gab kleinbeiniges Volk darunter, das gewaltig ausgreifen mußte, um Schritt zu halten, Jungen, die kaum ins achte Jahr sahen, aber gleichwohl trotzig und ihrer Wehr sicher, als wüßten sie eines freien Kriegsvolkes Zukunft in ihren Herzen.
Für diesen Tag war Hans Ochsner seines Harnisches ledig, er trug den langen Spieß und das Schwyzerschwert zu anderthalben Händen. Das war sein Eigentum und sein Bekenntnis. Das blanke Plattenwerk und die silberne Hellebarde gehörten dem Kloster. Er wartete auf die Stunde, da er des Spieles mit Spieß und Schwert ledig wäre, dann sollte er, befreit vom engen Kleide, ein kraftausschöpfendes Schwingen bestehen.
Denn es war der Züricher Wälti Kochenribly aufgefahren und der Cläui Küng von St. Gallen. – Als die beiden ausgewittert hatten, auf wen die Schwyzer zu Einsiedeln sahen, krähten sie den Hans Ochsner an wie junge Hahnen, die dem andern das gackernde Volk neiden. Sie waren vorher untereinander eins geworden und dann zu Hans Ochsner gestoßen, der unter dem Wechseltor lümmelte, die Arme an seiner Hellebarde verschränkt.
„Du sollt der Hans Ochsner sin“, rief ihm Wälti Kochenribly von Zürich zu.
„Sollichs ist mir wohlbekennt und reuet mich gar nit“, war die Antwort.
„Ich bin der Wälti Kochenribly ze Zürch und hie derselb ist der Cläui Küng von St. Gallen. Wir sänd einig und möchtin ein Tanz in der Schwinghos tuen uf dieser Kilby ze Einsiedlen.“
Hans Ochsner maß den Cläui Küng, vom Kochenribly hatte er gehört. Er sagte bedächtig:
„Ihr wollet ein Tanz tuen? Der soll üch nit verwehrt sin.“
„Des gehrend wir kein Urlob nit von dir“, fuhr der kurze Cläui Küng dazwischen.
„Du sollt kein schlechter Einsiedeler Habersack nit sin, den einer umb die Achsel schwinget“, meinte Wälti Kochenribly.
Hans Ochsner lachte.
„Ihr beiden, üch sollet ich wohl in den Dreck riben, daß keiner nit wisset, welicher sije von Zürich und welicher von St. Gallen.“
Der Kochenribly gab dawider:
„Ho, wir händ es wohl vernommen, du hast allbereits ein Büebli niederbracht im Schwingen, das sollt an zehent Jahr gwest sin unde von Zürich. Botz Gouch, sollichs ist vor ein Einsiedeler Böcklifresser nit gar gering! Denselbigen Schwyzer wollet ich langost wälzen.“
„Was bist so hützig, Zürcher“, knurrte Hans Ochsner, „ich will dir dine darmzerrend Wind, so dir ze Kopf steigend, schon usbütelen!“
Damit waren sie einig geworden.
Während die Hakenbüchsen bollerten und die Bolzen der Armbrustschützen um den Hahn pfiffen, lag das meiste Volk auf dem Brühl und sah zu, wie die Männer Stein und Stangen stießen. Hans Ochsner sparte seine Kräfte. Er hatte von St. Gallener Leuten erfahren, daß der Cläui Küng noch nie geworfen sei. Der Kochenribly machte ihm keine Gedanken, dieses Mannes beste Zeit schien um. Man kannte ihn seit zehn Jahren, und seine Rede klang dem Hans Ochsner zu flüssig.
Es waren erfreuliche Schwünge an Stein, Stange und Mann geschehen, als der Wälti Kochenribly mit dem Cläui Küng vortrat und den Hans Ochsner aufrief.
Der Hans saß, da er die Arbeit in den andern Spielen getan hatte, nicht bei den Seinen, sondern umringt von etlichen Einsiedler Männern, nahe den Zürichern. Man wußte, er solle einen harten Kampf bestehen. Der alte Ochsner, die Eis, Bombast und der Knabe lagen am oberen Ende des Platzes.
Die beiden fremden Schwinger waren unter einigem Aufsehen zu den Einsiedlern getreten. Der Hans stand nicht eher auf, bis sie ihn riefen. Er ging zunächst den Cläui Küng an und forderte einen ehrlichen Kampf von ihm. Dann schritten sie ruhig in die Mitte und waren stolz bewußt, daß aller Augen in der Runde auf sie sahen.
Zunächst spielten sie miteinander wie zwei junge Bullen, die ihr Gehörn erfühlen wollen. Bald merkte der Hans, daß der Cläui härter Zugriff, daß er breiter und tiefer wurde. Er hatte scharf auf jede Körperneigung des St.Gallener zu achten, doch sah er, daß er es mit einem heißblütigen Manne zu tun habe. Er mußte ihn anlaufen lassen, um den ersten Angriff leichter zu durchschauen, da der erste Agriff der schwerste sein werde. Dem beschloß er auszuweichen, so gut es ging. Danach würde der kleine, sehnige Küng mit allem Zorn losprellen, und dann wollte er die halbe Kraft des andern zu seiner machen. Er wurde ruhiger. Anfänglich hatte es ihn befangen, als müsse er brusthoch gegen ein reißendes Wasser waten.
Der Cläui Küng spielte alle Neckereien ab wie eine lästige Vorarbeit, er wurde unmutig, daß der Ochsner das Spiel so gründlich nahm, nicht locker wurde, keine Finte durch irgendeinen Griff verriet. Cläui sah ein, daß er auch hier zuerst Farbe bekennen müsse, aber das behelligte ihn weiter nicht, er kannte die Art der Größeren, den Kleineren abspielen zu lassen. Ihn beunruhigte der fremde Boden, und die Hetzrufe der Zuschauer fielen ihm lästig.
Das Spiel dauerte allen zu lang. Die Einsiedler erkannten den Hans Ochsner kaum wieder, der sonst seinen Gegner nach den ersten Griffen packte und Überschwang. Doch Hans Ochsner hatte auf die Hetzrufe gewartet, der St.Gallener sollte an ihnen entbrennen. Er suchte einen Scheingriff anzubringen, den der Gegner ernst nehmen mochte, und wollte ins Spiel zurückfallen, um so den Cläui Küng zum Äußersten zu bringen.
Nach einigem Lauern – Cläui Küng festigte seinen Stand und spannte – gelang dem Hans Ochsner die List. Kaum hatte seine Hand des andern Schwinghosenwulst berührt, versuchte der St.Gallener blitzschnell unterzugreifen, aber Hans entschlüpfte mit einem weiten Satz und schlug ein prachtvolles Rad, daß der weite Kreis von Männern und Frauen vor Freuden aufschrie und Cläui Küng erst seines Gegners Gewandtheit erkannte. Er wurde vor Zorn dunkelrot. Und dahin hatte es Hans Ochsner kommen lassen wollen. Cläui Küng wartete nicht länger und ging ihn breitspurig mit großer Gewalt an.
Hans Ochsner wehrte den Angriff auf sein rechtes Bein glücklich ab. Cläui Küng mußte den Wulst des linken zu fassen suchen. Während nun der St.Gallener seinen Angriff änderte, unterfing der Schwyzer den rechten Arm des Cläui Küng mit seinem linken, erfaßte rechterhand den Schwingwulst, der sich über dem rechten Schenkel des Cläui spannte. So war die Wucht des St. Gallener gebrochen, da er auf derselben Seite angriff wie Hans Ochsner, aber an voller Gewalt seines unterfangenen Armes gehindert war. Hans Ochsner brauchte nur sein Körpergewicht gegen die linke Seite des Cläui Küng wirken zu lassen.
Doch fühlte er bald, daß sein Gewicht kaum genügte. Der St. Gallener stand auf festen Sohlen und wich kaum, wenn der Einsiedler den Lupf versuchte. Hans mußte tiefer unter die Schulter des Gegners