Die deutschen Herren hatten den Gesprächsstoff der Italiener erwittert und wieherten bald mit geblähten Nüstern und wässerigen Äuglein. Auch in den beiden Nebensälen waren sie über die Notbrücke der Politik in das Sumpfland geraten. Die Zote goß ihren Spülichtkübel über die Tische der Abtei.
Eines einzigen jungen Mönches Schamröte blühte fremd unter den erhitzten Köpfen, und nur der feiste Bruder Clemens von Augsburg achtete der Qual des jungen Mannes, der nach Mut zur Flucht rang. Der gespaltene Schweinsrüssel ober den Wulstlippen des Augsburgers zuckte vor Vergnügen, wenn er merkte, daß der junge Bruder heimlich erbebte und einen scheuen Blick über die Runde huschen ließ.
Als dieser Bruder begann, erblaßte der junge Mönch, denn die Worte züngelten über den Tisch, als seien sie nur an ihn gerichtet. Bruder Clemens erzählte, aller Ohren nahmen durstig ein:
„Eins Becken Marxen Walters Fraue ist im Kindbett gelegen. Er war sunst Gaismaier genennt, in St. Jergen Pfarr. Der hat dieselbig Zeit umb seine Magd in dem Haus gebullet, daß sie seins Willens war und sich hälsen ließ. Die wollt sein Willen nit tun und sagt es der Frauen. Die Frau beredt die Magd, daß sie ihn sollt auf die Nacht an ihr Bett bstellen, und daß er nit ein Wort saget und still wär. Das tät die Magd. Also leget sich die Frau an der Magd Statt in der Magd Bett. Da kam der Beck, tat ihr so übel nit und flüsterte: ,Wann mein Weib also freundlich wär als du, das wollt ich gern.“ Tat ihr demnach Bescheid, daß sie still bleib, er wollet bald wiederkehren. Auf sollichs ging der Beck zu seinem Knecht und spricht: ,O Lieber, gang hin, die Magd möcht gern ein Liebs von dir, ich trauet mich nit, sie sag es mein’ Weib? Sollichs saget er, dann er forcht ein Kind. Und hoffet, so geb sie das Kind mit Glimpfen dem Knecht. Also ging der Knecht hin zu seiner Frauen und meinet auch, es wär die Magd. Zu Morgen saß der Beck, sein Knecht und die Magd bei einander in der Stuben und aßen ein Suppen. So trat die Frau in die Stuben und spricht: ,Mein Mann, du issest billiger ein gut Ei im Schmalz und etwan zween, dann ich hatt das zu dir nit versehen, daß du in einer Nacht bist also zu zweien Malen freudig. Warumb han ich mich nit langost in der Magd Bett gelegt! Du bist je länger, je freudiger.' Da ward der Beck verstan und gab dem Knecht und der Magd Urlaub und weigeret ihren Lohn. Da verklagten sie den Becken vor dem Bürgermeister, und der Beck ward beschickt. Also ist dieser Handel offen worden. Doch ward der Knecht auf dem Rathaus für dem Meister gelobt von der Frauen.“
In das Gelächter, Glucksen und brodelnde Behagen klangen die letzten Glocken. Und keiner hörte die Stunde als der junge Mönch. Ihm kam das Ave wie ein Freundesruf, der einen wüsten Traum zerwirft. Es gab ihm Mut, daß er aufstand und vorgebückt aus dem Saale lief, als müsse er hinter schützendem Buschwerk dem Feinde entfliehen. Seine Hände lagen zitternd auf dem Herzen, er flüsterte:
„Heilig Jungfrou, sije bedankt, daß du mich host erlöst!“
Im Hofe des Klosters war alles still. Ein Wächter stand unter der Seitenpforte der Basilika und gab dem Mönche den Weg in das Kirchenschiff frei.
Der junge Mann sog die schwere Luft gierig ein. Der hohe Raum war von rotem Lichte erfüllt, und Schritte der beiden bewaffneten Ordner, die das Feuer der Opferstände zu hüten hatten, schauerten durch die Stille.
Er hastete nach dem Hochchor und warf sich auf die Stufen des Altars. Die Gebete der Completzeit fielen ihm von den Lippen, ohne daß er ihren Inhalt merkte. Er krümmte sich noch unter der Gewissensmarter der letzten Stunden. Und dann wußte er, daß die Gebete gesprochen waren. Sein Herz war gelöst, er konnte es entladen.
„Herr! Complete Zit! Tu uf die Pforten des Abgrunds und loß sie schlücken, daß sich die Höllen mäst, dann siehe, das Wild ist feist!
Complete Zit, Herr Gott! Wir sänd all gel vom Brand der Weltsunn als die Frucht des Felds! Schick üns: der niederschneidet und verbrinnt, dann alls ist toub und vom Unkrout ersticket!
Wo ist din Stein, Herr, wie ein Mühlstein in der Hand dins stärkisten Engels, daß er die groß Hur zermalmet: Wehe, es ist der Drach los! Alls brinnt vor Sünden!
Warumb gibest du kein Schwert mir in das Moul, daß es die Heiden schlüg! Warumb so bin ich ein siden Fähnli in dem Wind ihres Speiwerks und ihrer Wollust und bin kein Fels nit, darab sie zerspitteren!
Du hast mir das Wort inton, das süeß schmecket, do ichs uf der Zungen spür, süeß und ein Füer, als die Rache des Gewissens. Aber do ich es verschlungen, krimmet es minen Bouch, die bitter Not des Gewissens, und wird nit erlöset!
Ich muoß sie sehen, und min Herz zittret, der Mund aber ist versieglet, und die Ougen decket ein Schleier vor Menschenfurcht.
Ich sehe des Tüfels Hörner us ihren hochen Stirnen brechen, die eine Zung hänt, triefend vom Weine des Weltwissens, und die Ougen hänt, als sijen sie des heiligsten Gottes voll.
Ich hör das Glächter der Höllen us ihnen brechen, deren Bluot feist ist vom Tran der Wollust, und deren Händ nach dem Fleische zitteren.
Und du gibest mir nicht din Tou uf mine lechzinden Lippen, nur eines Fingers Spitz, und umb mich her brinnt die Höllen!“
Er preßte sein Gesicht gegen die kalten Steine und schluchzte. Und er lag eine Zeitlang in tiefster Ermattung. Ihm war, als schwebe er zwischen Eis und Flammen im Sternenraum.
Ein klirrender Schritt erschreckte ihn. Der Knecht drückte ein verlechzendes Licht aus, entnahm dem vollen Opferkasten eine Kerze und pflanzte sie auf den Stachel.
Der junge Mönch hüllte sein Gesicht in beide Hände und erhob sich. Er atmete tief, als sei er wunderbar befreit, sein Herz schlug, als habe es ein Leben überwunden. Er wußte nicht, wie lange er gelegen war. Seine Knie knickten noch einmal vor dem Allerheiligsten zusammen, er wollte die Kirche verlassen; da trieb es ihn vor die Gnadenkapelle. Sehen, nur sehen! Er sah den goldgepanzerten Mantel und Schleier. Das Perlenschimmern und Glitzern der Steine. Unter der schweren Krone das rosige Gesicht, die kleinen Schlitzaugen, die hochmütigen Brauenbögen, das Mündlein mit den satten, gleichgültigen Lippen, die glatte, gedankenlose Stirn.
Die Kiefer des jungen Mönches schlotterten, ihn fror in der schwülen Luft. Seine Augen standen weit offen und maßen die Reichtümer, glitten immer wieder zurück zu dem hölzernen Gesicht, dessen lauernde Unberührtheit Gedanken weckte, die ihm die Haare sträubten. Er fühlte den Drang und die Unermeßlichkeit der Gebete, Seufzer, Hoffnungen – alle an diesem Bilde aus Holz und Stein zerschellend. Lüge! Sie alle opferten ihrer Seelen heimlichsten Brand der Himmelskönigin nicht, deren Reinheit sie nie begriffen. Sie opferten ihr Innerstes dem Holzbild auf, das sie mit schwülem Prunk betäubte, durch geile Sattheit demütigte.
Der Mönch ballte die Fäuste. Seine Augen liefen voll. Lüge, Lüge und Ausgeburt des Schreckens der Lüge vor ihrer eigenen Erbärmlichkeit! Das – das zwingt vor einem toten Holz in den Staub. Der Adlerschrei des Gewissens gellt über ihnen, und sie beten das geschnitzte Holz, die geschliffenen Steine, das Gold, ihr Gold, und die gereihten Perlen an, daß der Schrei des Gewissens in ihnen verstumme.
Der junge Mönch schloß die Augen. Zorntränen stürzten über seine Wangen. Seine Hände streiften einander, als wolle er sie vom Schmutze reinigen.
Dann schlug er seine Hände vors Gesicht, schritt eilig durch die Kirche, über den lautlosen Klosterhof, in den Schlafsaal der Abtei. Dort holte er aus dem Strohsack seines Bettes ein Beutelchen mit Geld und verließ das Kloster.
Er ging über den Brühl, durch die Wagenburg und die Gasse nieder. Überall aus den offenen Fenstern scholl der heisere Lärm der Betrunkenen. Die Gasse war erfüllt von lachenden, schreienden