Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748520993
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aber hatte, vertrauend auf den Wein, in seine Nähe Herren geladen, die ebensowenig von dem römischen Wesen hielten, Wild und Weib gut kannten, ein untadeliges Wappen trugen, vorerst noch beharrlich schwiegen, aßen und tranken.

      Herr Diebold saß am zweiten Tische. Und dieser Tisch wurde gleich zu Beginn des Mahles rege. Sie redeten nicht laut, aber lebhaft und zungengewandt. Herr Diebold hatte zunächst von Nikolaus de Donis gesprochen, und ein Reichenbacher Mönch hielt eine Lobrede auf den gelehrten und freisinnigen Freund in flüssigstem Latein. Den meisten an Herrn Diebolds Tisch huschte dabei ein Lächeln der Befriedigung über das durchgearbeitete Gesicht, und das Lächeln blieb, es löste die Zungen. Man wußte, man kannte, etliche zitierten sogar aus Briefen. Ehe die erste Schüssel geleert war, fühlte sich jeder geborgen. Und die erlauchtesten Namen der Zeit, Ruhmestitel manches Klosters und mancher Universität, schlangen das geistige Band um die Stirnen dieser Männer. Sie erkannten einander nach wenigen Worten, ihre Augen glänzten, ihre Lippen wurden schmal und heiter, in Blick und Mundwinkeln zuckten bereits Neugier und Ironie, die Fußangeln der geistigen Freundschaft. Sie waren bei sich und unter sich. Dankbar, daß sie für eine Stunde des Genießens vor aller Barbarei ihrer Brüder und der Oberen geborgen waren, tranken sie Herrn Diebold zu, und er, der nun ein halbes Jahr in Fron der Kerzen- und Zeichenbank, des Hausund Kellerwesens, der Berufungen, Quartiere, Krämerei und Polizei gelegen hatte, feierte die Auferstehung seiner beschaulichen Winterfreuden, wie einen wohlverdienten Triumph.

      Von Reuchlin hörte man, daß er an den kurpfälzer Hof zu Johannes von Dalberg, der noch immer die rheinischen Akademiker führte, ehestens ziehen werde. Ihm war das Leben in Tübingen und Stuttgart vergällt, er war sogar seines Lebens nicht sicher, da der Augustiner Holzinger vom jungen Herzog Eberhard zum Kanzler der Universität ernannt worden war. Reuchlin hatte den wüsten Gesellen zu Lebzeiten des alten Herzogs, Ruhm seinem Andenken, hinter Schloß und Riegel gebracht. Holzinger, der Freund des jungen Fürsten, trachtete dem berühmten Gelehrten mit gleicher Münze heimzuzahlen. Und Reuchlin war kein Mann, der seine Fehden jenseits des Schreibpultes und der Lehrkanzel führen mochte. Er schrieb seinen Freunden klägliche Briefe, denn er scheute auch, da er zäh an dem gewohnten Besitze hing, die Reise mit Sack und Pack auf Landstraßen, wo er des Leibes und des Gutes nicht viel sicherer war.

      Da kamen etliche mit leiser Elegie, die von den andern unter halbem Lächeln angehört wurde, auf das Benificium des Klosterlebens zu sprechen, dessen Frieden und Abgeschiedenheit den Wunderbaum an Gelehrsamkeit, Trithemius, den Abt zu Sponheim, ungekränkt wachsen ließ. Tritheim war streng kirchlich geblieben, schicklichermaßen wurden die Einrichtungen der Kirche gelobt, wenn man ihn nannte; das gehörte zu Tritheims Lebensstil. Sie kannten ihn fast alle. Man stellte sich gerne gut zu dem Berühmten. Er sammelte für ein Werk, das alle Gelehrten seiner Zeit anführen und ihre Verdienste preisen sollte.

      Doch fiel der Name des Unruhgeistes Konrad Celtes wie eine Befreiung in den Kreis der Wissenden. Die Kirche war gelegentlich Tritheims gepriesen, man hatte geistige Absolution für etliche Gespräche, die einen geschätzten Förderer der Musen betrafen, der offenkundig heidnisch empfand und lebte. Fast jeder wußte irgendeine andre Stätte, wo er des unermüdlichen Celtes Einfluß und Wirken im Dienste der Poesie erfahren hatte. Und man brauchte sich nicht zu hüten, von den zahlreichen Liebschaften des fahrenden Gelehrten zu erwähnen, deren Freuden er selbst in ungeschminkten Liedern aller Welt preisgab, aller Welt, die feingeschulte Ohren besaß und ihr Vergnügen an eleganten Versen finden konnte.

      Auch gegenwärtig – so berichtete ein Reichenbacher – sei er einer Dame erlegen, aber nicht in Liebesgluten. Er werde in Wien bleiben, die Universität Ingolstadt habe ihn für alle Zeit verloren. Celtes machte Ingolstadt wohl den Vorwurf eines dummen, saueren Bieres, das einer nur tränke, der verdürste, aber im Grunde sei es doch die Frau des Rechtsgelehrten Fontulanus gewesen, die ihn ausgebissen habe. Sie hätte dem Poeta Laureatus anfänglich gute Zeiten verheißen und wäre alles an allem ein Weibsstück von angenehmer Ründung und kräftigem Begehren; die ihr gefielen, brauchten um Amt, Titel und sonstige Vorteile der alma mater nicht bange zu sein – nur stünde sie nicht mehr in der ersten Blüte, während Celtes, der Kenner, den zarten Flaumhauch eben gereifter Frucht liebe und abgefingerte Süßigkeiten verschmähte. Die Fontulanin sei in dem ungleichen Kampfe Siegerin geblieben, denn sie hätte den Mann und fast die gesamte jüngere Universität auf ihrer Seite gehabt, während Celtes nur über etliche Giftpfeile verfügte. Die seien bald verschossen gewesen, und zwar in allen Metren des göttlichen Horaz, und seien an der gegerbten Haut seiner Feindin abgeprallt. Da habe er weichen müssen.

      Vielen war die eigentliche Ursache des Umzuges nach Wien unbekannt gewesen, denn Celtes hatte verbreitet, er suche Wien zu erreichen, um hier eine gelehrte DonauGesellschaft im Geiste der Poesie zu gründen.

      Von Celtes kam man auf Cuspinianus, der, zwanzigjährig, von Maximilian in einer glänzenden Fürstenversamlung, unmittelbar nach den Exequien Friedrichs III. mit dem apollinischen Lorbeer gekrönt worden war. Der Liebling des Adels! Er stünde vor dem medizinischen Doktorgrade und müsse demnächst Rektor werden. Neben diesem Wunder an Jugend, Kunst, Rhetorik und Gelehrsamkeit werde selbst der erfahrene Celtes einen schweren Stand haben. Denn Celtes, wiewohl kaum vierzig, altere, daran sei leider nichts zu ändern. Das üppige Leben im Wechsel mit Entbehrungen, die Ruhelosigkeit … man müsse ihm wünschen, daß er in Wien einen warmen Herd fände.

      Und an diesem frommen Wunsche fanden die Zungen und Herzen aus der bedrohlichen Nähe der Husaren und Türken zurück an den Rhein, wo Johann Wimpheling fast alle Städte zwischen Basel und Köln befahren hatte, die edlen Künste der Alten zu fördern. Man gedachte Sebastian Brandts zu Basel, des Historikers Murrho zu Kolmar, des Geiler von Kaisersberg und seiner Freunde, des Canonikus Thomas Wolf, des Adolfus Ruscus und Georg Erlebachs.

      Nicht nur vom Rhein und aus dem östreichischen, auch von Schwaben, Franken, Bayern her und von Sachsen und Böhmen wußten sie stille und laute Geister zu beschwören, die über allen spitzfindigen Zank der Schola, über Realismus und Nominalismus hinweg zum Sonnenglanz der olympischen Muse zurückgefunden hatten.

      Sie nannten am Tische Diebolds von Geroldseck Gott, Christus, Maria und die Heiligen nicht eitel, sie halfen ihren Beteuerungen mit Jupiter, Apoll und Minerva. Herkules, der die heitere Erde vom Rücken des Atlas auf seine prächtigen Schultern genommen hatte, vermochte ihre Reden besser zu stützen als das gotische Ungetüm St. Christoffel, das mit aller mystischen Welt des Glaubens auf den zottigen Achseln durchs Wasser geplanscht war.

      Etliche erwähnten auch des Desiderius Erasmus, der in Paris lebte, London und Italien besuchte, deutsche Lande aber mied, obwohl er auch da einen guten Ruf unter Kennern genoß.

      So lebte ein nicht geringer Teil der Welt an diesem Tische. Die Gespräche wurden kaum lauter, wenn auch die Wangen sanft erglühten.

      Hingegen erwachte der andre Tisch des Saales um so merklicher, besonders der Kreis um Kuonrad von Rackelberg. Da ließen sich die geistlichen und weltlichen Herren von ihren Dienern aufwarten und tranken zu gleichen, vollen und halben, obwohl der Wormser Reichstag zwei Jahre vorher die Sitte des Zutrinkens verboten hatte. Und sie wurden bald voller.

      Zunächst erwärmten sie über dem Weidwerk, da einer behauptet hatte, daß man den Falken nach alter deutscher Weise besser blende, als mit der Haube. Durchs untere Lid sei ein Faden zu ziehen und daran das Lid aufzubinden. Die meisten verlachten die veraltete Ansicht und traten polternd für die Blendkappe ein. Und das Gespräch sprang bald auf die Politik ab. Maximilian, seine ritterlichen Eigenschaften in Ehren, war Gegenstand ihres derben Gespöttes. Unverrichteter Dinge kam er aus Burgund. Er hatte kein Geld mehr, also auch kein Heer. Wie wollte er seinen ewigen Landfrieden stützen. Auch sein Reichskammergericht war aus dem Leim gegangen, da man weder Richter noch Commissarien zahlen konnte. Auf dem Lindauer Tag hatten die Stände alle Hilfe rundweg ausgeschlagen, und der Kaiser war mit leerem Säckel zornig abgereist, ohne den Abschied zu erwarten. Kein Ritter wird unter Reichsgericht und -Steuer gezwungen werden, geschweige besserer Adel. Darauf konnte man ruhig trinken.

      Der Legat spitzte unvermerkt die Ohren, als sei ihm das Deutsch verständlich, das über Maximilian herging. Er hatte seinen Kreis mit dem Hofleben des Papstes leicht unterhalten, obwohl er die verfänglichsten Vergnügungen des Heiligen Vaters verschwieg. Und er fand Anerkennung, als er, nicht ungewandt,