Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748520993
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und wiederholte seine Worte, ohne zu wissen, was er nicht wieder tun werde. Sein ganzes Wesen war wund. Er sah auf und schrie:

      „Din Ougen, Mammeli! Du sollt nit so schouen!“

      Sie schien zu erwachen, tastete auf den Kopf ihres Kindes nieder, nahm sein angstvolles Gesicht zwischen beide Hände und sah ihm lange suchend in die Kinderaugen, die in Tränen schwammen.

      „Mammeli …“

      Es brach aus ihr wie ein Gewitter, das erst in großen, spärlichen Tropfen fällt, bevor es seine Güsse entlädt. Sie bog sich tief nieder zu ihm, und der Knabe zuckte unter den ersten Tränen. Als er aber sah, daß seine Mutter ihre Züge wiedergewann, rankte er den schmächtigen Körper an ihr empor und umhalste sie.

      Während ihre Tränen sein Gesicht benetzten, saß er auf ihrem Schoß und preßte sie an sich. Und er weinte nicht.

      Er wußte, daß die Mutter seines stummen Trostes bedürfe, und er fragte nicht.

      Wie eine Erleuchtung war es über ihn gekommen, daß er nicht mutlos sein solle, weil er in diesem Augenblicke stärker sei als die Mutter.

      Er wartete geduldig, bis ihre Tränen versiegten, dann streichelte er leise ihr Haar und tröstete sie:

      „Nu solltu nümen greinen. Bald kummt der Vater, der wird dir ein Salben geben und lässet dir zur Ader und gibet dir ein Heiltrunk. Do solltu wieder fröidig sin. Kumm, er ist uf Einsiedlen, wir gohnt ihm zue.“

      Sie küßte ihn und nickte. Als sie den Pelzmantel umgetan hatte, Theophrast wich dabei nicht von ihrer Seite, ergriff er ihre Hand und ließ nicht mehr los. Im Vorbeigehen zog er die Mutter zu der toten Katze. Die hob er auf und meinte beruhigend:

      „Die tuet dir nünts nit, Mammeli, die werfend wir über die Bruck.“

      Eis ließ sich von ihm führen.

      Sie sah Bombast von weitem, denn es war frostklar. Eis flüsterte bedeutsam nieder:

      „Sag nit dem Vater, daß ich hab geweint, es möcht sinem Herzen wehe sin, dann er ist fast bekümmeret umb üns.“

      Bombast hätte sie beinahe nicht beachtet. Theophrast mußte ihn anrufen und er tat es erst aus nächster Nähe, so wunderlich hatte ihn das Verbot der Mutter berührt.

      Da ersah der Vater die Seinen.

      „Ei, kummt ihr mich ruefen?“

      „Nein, Bombast, wir gangend dir ungfährt entgegen.“

      „Ich bin umbsunst geritten. Der Wälti Schwend schicket mir sin Knecht für die Tür, do ich wollt absteigen. Er sije so weit wohl und bedürfet min Arznei nit meh. Die schwobisch Arznei sije siner Natur nit günstig. Dannocht wolle er vor all getane Müh etlich guete Zürcher Plappart, so weit er schuldig sije, an mich wenden. – Ich mueß lachen, dann der Knecht saget die Litanei in eim Atem her, als man sie ihm eingelernt, drucket mir einTüchli mit denen Zürcher Plappart in den Schoß und ducket eilig ins Tor, vermeinend, ich wollet ihme die Quittung blau hinter die Ohren schreiben. Der Wälti Schwend ist der dritt sider Wochen zween, dems für min schwobisch Arzenei grouset. Die schickend all uf Richterswil zem Hansen Binzenmeyer. Der hat kein schwobisch Arzenei. Der möcht ihnen mit sin schwyzer Tüfelsdreck die Kränk samen der Seel us dem Leibe fegen.“

      Er lachte bitter vor sich hin und trieb das Jörgeli an. Frau und Söhnlein gingen an seiner Seite.

      „Sowerdind wir balde ünser grings Sparhuifele ufgezehret han. Frästeli, du wirst mir kein Arzt nit, das ist eine sure Kunst!“

      Theophrast aber wußte, daß er gewaltige Trostkräfte besaß. Wenn er auch nicht des Vaters Rede erfaßt hatte, so war ihm doch ihr bitterer Ton aufs Herz gefallen. Er drückte seiner Mutter die Hand und meinte:

      „Ich will dannocht ein Arzet sin. Nit einer vor gring Lüt, sundern ich will über die Berg, als der Änderle. Weit über die Berg.“

      „Hei, min Vögele, was flügge ist din Schnabel! Werdind es als ouch dine Fittich sin?“

      Theophrast schwieg, denn er meinte, sein Vater spiele auf das Vöglein und die Katze an. Er wagte nichts weiter. Dem Vater war nicht zu trauen, er kam hinter alles.

      Aber in Eis rang es nach einem Laut. Daß man Bombast von der Tür wies, traf sie selber. Und Theophrast wollte über die Berge, jetzt schon in seinen grünen Jahren redete er davon! Das jagte ihr Gewissen auf, denn Bombast blieb nur ihretwegen an der Teufelsbruck. Sie entlud sich in heftigen Schimpfreden über Wälti Schwend und Hans Binzenmeyer.

      Bombast erschrak über sein Weib, das niemals die Sanftmut verloren hatte, er griff nach ihr, sah immer besorgter in ihr gerötetes Gesicht. Auf ihren Augen lagen Zornschleier. Theophrast ließ die Hand der Mutter fahren.

      „Eis? Elsula! Nit, min Eis! Loß guet sin!“

      „Guet sin? Guet sin? Wir müessend all verkummen! Das Lurenvolk! Der verloren Pofel! Wir müessend elend werdin umb sie!“

      Bombast stieg ab und umfaßte das fiebernde Weib.

      „Eis, loß sin! Was ficht dich an! Elsula! Min Eis!“

      Das Jörgeli zottelte davon, es witterte den nahen Stall, Theophrast rannte ihm schreiend nach.

      Herr Wilhelm hielt sein Weib, streichelte es mit zitternder Hand. Er sah ihre Not. Er hätte aufschreien mögen vor Qual um sie.

      „Elsula“, flüsterte er, „ich bin bi dir. Du bist min Liebs und Guets. Du sollt niemalen nit von hinnen. Du sollt bleiben, wo du bist. Und wir bi dir. Du min Eis. Wir wollend üns schon drein schicken. Loß guet sin, du bist bi mir.“

      Sie drängte sich an ihn, als müsse sie in Todesangst ersterben, und sie hauchte:

      „Bombast, in mir ist alls zerhouen, alls in Scherben! Hilf mir, dann ich muoß vergahn!“

      Er leitete sie langsam nach Hause und sprach ihr sanft und heiter zu; das Herz wollte ihm brechen. Er drängte, unaufhörlich redend, sie in die Schlafkammer hinauf, entkleidete sie, bettete sie und reichte ihr einen milden Schlaftrunk. Er mußte auf dem Bette sitzen, sie ließ ihn nicht von sich, bis sie eingeschlafen war.

      Dann sank der Mann in die Knie, stöhnte in die Bettlaken hinein:

      „Gott, Herre Gott, was willtu! Min Gott, unde warum?“

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