Da sank Cläui Küng und gab stärksten Widerpart. Hans wußte, daß es galt. Der Schraubstock lockerte sich. Hans warf sein Gewicht auf die linke Seite, packte auch mit der Linken den Wulst, kniete, ehe der Gegner zum Knien kam, auf dem rechten Bein. Im Augenblicke war der St. Gallener losgerissen, hing in der Luft, rollte über dem Rücken des langen Hans ins Gras.
Der Sieger erhob sich langsam, taumelnd noch unter der Entspannung seiner Kräfte. Er hörte das Beifallsjohlen durch das Pochen der Pulse kaum. Sein Körper glänzte vom Schweiß. Er strich den Bart bedächtig nach beiden Seiten aus und zeigte die blanken Zähne. Dann waren sie zu ihm gerannt, hoben ihn auf die Schultern. Der Hans Ochsner wurde in weitem Kreise herumgetragen, während der Cläui Küng bei seinen Landsleuten gute Aufnahme fand, da man eingesehen hatte, daß die Einsiedler stolz auf ihren Hans Ochsner sein konnten.
Die Züricher standen dicht um Wälti Kochenribly. Sie wußten wohl, weshalb der Hans zuerst mit dem Cläui Küng angebunden hatte, aber sie waren Leute, die eine Sache geschmeidig zu machen verstanden, wenn es die Freundschaft galt. Ein zweiter Triumph des Einsiedlers über den Wälti Kochenribly, der an diesem Tage noch keine Muskel geregt hatte, wäre für Zürich schmählich gewesen, und man war eines Sieges über den ausgearbeiteten Hans Ochsner nicht genug sicher. Also gingen sie mit trefflichen Manieren auf die Einsiedler zu, die ihren Mann absetzten, und forderten den Hans Ochsner für eine nächste Gelegenheit nach Zürich, da es unbillig sei, von einem Manne doppelte Arbeit zu verlangen. Die Einsiedler dachten, daß die von Zürich anders reden möchten, wenn ihr Hans Ochsner geworfen wäre, aber sie konnten gegen die glatten Zungen der Städter nicht aufkommen. Doch weil die Züricher der Sache anlagen, als wäre sie eine ständische und nicht nur ein Spiel zwischen ihm und dem Kochenribly, ließ Hans Ochsner den ältesten seiner Freunde reden. Und sie vereinbarten ein dreimaliges Schwingen und sicherten den Einsiedlern, die da mitkommen wollten, ein freies, gastliches Geleit und Unterhalt für die drei Tage zu. Daß aber keiner glaube, er sähe den Zürcher Vorschlag für eine besondere Großmut an, packte Hans Ochsner unvermittelt den besten Sprecher am Bauche, riß ihn mit einem Arme hoch und hielt ihn eine Zeitlang in der Luft.
„Nit doß ihr gloubit, großgünstig Herren ze Zürch, ich sije nach dem Cläui Küng ein alte Hur“, sagte er.
Der Aufgerissene war der Heini Escher, ein Sohn des Heinrich Escher, der ehemals zum hürnen Rat gehörte, unter dem der Ritter Hanns Waldmann gefallen war. Er machte gute Miene zum ängstigenden Spiel. Und da er wieder sanft auf den Boden kam, zog er seine Börse und verehrte dem Hans Ochsner drei Gulden. Die wurden zu Dank empfangen.
Von den andern waren die Kämpfe wieder aufgenommen worden, aber man beachtete sie kaum mehr. Erst als zum Schlüsse die Knaben antraten, mit Schwert und Hellebarde fochten, Stein und Stangen stießen, leuchtete es aus den Gesichtern der Männer und Frauen. Man sah manchen, der gegen einen Mann bestanden hätte.
Theophrast brannte vor Verlangen. Er umklammerte seines Vaters Hand. Die Augen standen ihm weit offen, er hätte keinen Laut finden können, sein Herz zu befreien. Da man Hans Ochsner auf den Schultern herumtrug, hatte er mitgejauchzt. Das schien ihm nur natürlich. Bei den Kämpfen der Knaben aber sah er in ein neues Leben.
Bisher war er unter der Willenslast der Großen gestanden. Was er tat, wurde von ihnen gestört oder gebilligt. Kreuzten sie zufällig seinen Weg, so überzählte er seine Sünden und konnte verwundert sein, wenn sie ihn ungescholten ließen. Sie verachteten sein Werk gutmütig, wars auch mit aller Hingebung vollbracht. Und nun sah er die Großen in weitem Kreise sitzen, mit freudigen Mienen, voll Ernst und Anerkennung dem Kampf der Knaben folgen, nicht anders, als sie dem Spiel der Männer gefolgt waren. Das fiel zunächst wie ein unerhörtes Glück auf ihn. Er wußte, daß er bald so weit sein werde wie diese jungen Kämpfer. Und doch umklammerte er seines Vaters Hand. Keiner von den kindlichernsten Streitern hätte nach einer Elternhand gegriffen.
Als die Knaben ihr männliches Spiel beendet hatten und, von frohen Zurufen begleitet, um den Platz marschierten, während sich die Frauen zum Wettlauf schürzten, wurzelte das tiefe Verlangen, ein Kämpfer zu sein, in dem Kinderherzen. Theophrast hatte den Wilhelm Fenkh erkannt, er war vor Scham über seine Torheit rot geworden, da ihm das Seidentüchlein mit den Hellern von einem Mägdlein entrissen worden war. Und ihn traf die Schande zum ersten Male nicht mehr als fremde Bedrängnis. Seine Schwäche brannte ihn. Und doch war er nicht betrübt.
Die Taten der Großen zogen an ihm vorbei wie die Wolkenriesen über den Bergen, an die sich kein Ruf wagt. Unzählige Male hatte er versucht, den Großen gleich zu tun, und immer war seine beste Kraft zuschanden geworden. Aber hier erlebte er, was auch für ihn erreichbar schien. Er konnte sich seiner Schwäche schämen, denn sie galt nicht mehr unüberwindlich vor seinen Augen. Bald werde er sein wie diese: wahrhaft trotzig, von den Großen auf seine Art beachtet.
Nie noch hatte er so lebensmächtig begriffen, was Zukunft sei, eine Zukunft nur für ihn selbst. Eigenstes und nicht bloß das bittere Begehren: zu sein, was die Großen waren. Das war es.
Er löste seine Hand aus der des Vaters.
„Du sollt mir ein Schwert geben, das hülzern, das will ich nimmeh han.“
„Balde, min Büebli. Und dir soll ein Schwert geben sin, nit allein.“
„Ein Halmbard och“, drängte Theophrast.
„Nit ein Halmbard nur. Meh, Büebli!“
„Ein Spieß?“
„Nit ein Spieß. Gringer dann Halmbard und Spieß und dannocht größer als sie beid und gewaltiger.“
„Was solls sin?“
„Wann din Zit ist kummen, werd ich ein Feder in dine Hand geben, ich will dich schreiben lehren. Und will dir also ein Buoch in dine Hand geben, darin solltu lesen.“
„Wann kummt die Zit?“
„Ehender als sie ist diesen jungen Kämpferen ankummen, do sie mit ihrem Gewehr sänd usgerüst’t worden.“
Da erheiterte sich das Gesicht desBombastknäbleins sonderbar, denn es ahnte, daß ihm mehr beschieden sei als allen, deren Wehr in der Sonne funkelte.
Die Sonne sank hinter dem Katzenstrick, da lagen die Männer und Frauen an den dampfenden Schüsseln. Sie luden weinziehenden Fisch und Braten, der im Fette schwamm, Specksuppe und gebackene Eier, um die Leber für den Trunk zu hitzen und einen guten Grund zu legen, der locker sei und leicht gehoben werden könne, wenn der Wirt williger wäre als sein Eingeweid.
Einmütig schnoben und schlangen sie: die Herrenleute, denen im Weißen Wind, im Pfauen und Ochsen aufgewartet wurde, und das schlichte Volk, dem die Wirte der Gasthöfe und Garküchen Schüssel um Schüssel zuschleppten. Allen standen die hellen Perlen auf der Stirn, und allen glänzten Lippen, Kinn, Bart, und ihre Finger tropften. Der merklichste Unterschied im Gebaren der Herren vor dem des schlichten Mannes blieb, daß sie nicht mit Messern und Nägeln zwischen die Zähne fuhren und einander nicht ins Gesicht niesten und husteten, solange sie noch nüchtern waren. Sonst unterschied sie nur die Speise. In den Schenken und Garküchen ging es magenstillender und ersprießlicher zu, während die Herren im Weißen Wind, Pfauen und Ochsen schleckerten und das schlichte Wurst- und Fleischwesen, das bodenständige Gemüse an allerlei gaumenkitzelndes Spielwerk verrieten, um dessentwillen kein Vieh gemästet, kein Wild gejagt, kein Fisch gezogen und die eidgenössischen Sonnenstrahlen und Regentropfen nicht auf den Boden gefallen waren. Sie schmatzten bei jungen Hahnenhödlein und Hahnenkämmen, bei rogenbehangenen Krebsschwänzen, Artischocken und französischem Zeller, Karpfenzungen, Gans- und Entenfüßen im Pfefferlein, Nieren, Hasenhirn, Hechtschwänzen, Parmesanerkäse aus Welschland, Rosenwürstchen, Schlehenkonfekt, Mandeln, Hirschleber, Kalbskopf, Senfgurken, Marzipan, gebratenen Maroni und Krapfen. Ihre Weine mußten alle ein Dutzend Zölle üerstanden haben, sonst schmeckten sie ihnen nicht.
Waren erst die Mägen des Ansturmes wieder entledigt und die Zungen pelzig geworden, konnten die Wirte besser auf ihre Rechnung kommen, und sie machten an diesem letzten