Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748520993
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      Etliche Große blieben auch bei dem balgenden Haufen stehen und meinten, dem Theophrast geschähe recht, da er dem Wilhelm Fenkh das Tuch entrissen.

      Endlich vermochte der kleine Mann die Prügel nicht länger zu ertragen, er mußte sein Tuch freigeben. Die anderen rannten mit ihrer Beute fort, und er lag übel zerrissen, eingepulvert, mit schmerzenden Gliedern im Gras und heulte den guten Hallern und dem Tüchlein nach. Dann saß er lange und konnte nicht verstehen, wie er um sein gutes Recht und zu harten Prügeln gekommen war. Da er die Augen wieder hob, sah er die Räuber in Ordnung zurückkehren, sie trugen kurze Spieße, und in ihrer Mitte wehte an einem langen Stecken das Seidentuch.

      Er stand auf und schlich beiseite und mochte zunächst das flatternde Fähnlein nicht sehen, so bange war ihm danach. Es war ihm nie so bunt und schön vorgekommen als jetzt auf der Stange seiner Räuber. Oft hatte er es dem gleichen Zweck zuführen wollen, aber der Mutter wegen nie gewagt, den Schatz so offenkundig vor aller Augen zu tragen. Immer meinte er, man müsse ihm sonst das linde, seidene Ding wieder abnehmen.

      Heimlich wandte er sich noch einmal um. Sie waren nahe gekommen, und er entdeckte, daß ein Loch mitten in das Fähnlein gerissen war. Ihm wurde angst. Wenn die Mutter das Loch merkte … die Mutter … er fühlte erst, was ihm geschehen war.

      Wenn die Mutter nach dem Fazenettli früge? Sie hat selber die Haller eingebunden. Nun sah er auch, wie sehr sein Wams von Staub und Schmutz besudelt war, und sein Ärmel hing in Fetzen. Wie sollte er den prüfenden Augen entgehen? Anders wars mit dem Änderle gewesen. Niemand hatte ihm angesehen, wenn er mit dem Änderle im Walde war. Und den verschluckten Vogeleiern, die oben und unten aufgepickt wurden, ehe man sie austrank – denen konnte niemand mehr nacheifern. Dem Theophrast kams vor, daß eine Schuld erst peinlich werde, wenn man sie merke. Und er sann nach, wie er sein verschmutztes Wämslein reinigen könnte.

      Er kam auf den Frauenbrunnen, denn er hatte die reinigenden Kräfte des Wassers zuweilen heftig am eigenen Leibe verspürt. So schlenderte er ein wenig verzagt und versonnen, da sein Versuch mißlingen konnte, den beiden großen Türmen zu, blieb da und dort stehen, besah immer wieder sein Wams, ob es nicht doch erträglich wäre, erschrak stets und machte sich wohl oder übel an seinen Plan.

      Die vielen Rohre des Frauenbrunnens sprudelten das Wasser in einer bequemen Höhe aus, daß die Pilger beim Trinken sich nicht allzu tief neigen mußten. Theophrast stand eine Weile, er wollte abwarten, bis niemand mehr von Rohrmund zu Rohrmund ginge, um andachtsvoll auch an jenem Lauf des heiligen Quells die Lippen zu netzen, den der Heiland nicht verschmäht hatte. Allein der Brunnen wurde nie frei. Also faßte Theophrast – als nur drei Weiber tranken und kein Ordner in der Nähe schien – ein Herz und sprang unter die Strahlen. Die Weiber wollten erst seinem Übermute wehren, da sie aber sahen, daß der Theophrast bescheiden sein brennendes Gesicht und sein Wämslein wusch, meinte die eine: „Sehet den Knaben!“ Sie glaubte, er könne sich des heiligen Gewässers nicht ersättigen.

      So wurde der kleine Mann in kurzer Zeit von Kopf bis zu den Füßen triefnaß und er wäre standhaft geblieben, wenn nicht einer der frommen Frauen die Sache doch bedenklich geschienen hätte. Sie faßte ihn und entzog ihn dem Wasser.

      „Gang, Büebli, was kummt dir an mit so narrechter Täding?“

      „Ich wollet min Wammes Wäschen.“

      „O du Narr, gang hoim, sust möcht dir ein Pestilenz ankummen!“

      Es fröstelte ihn, und er sah, wie sich um seine Schuhe eine Pfütze sammelte, die beklemmend an Zeiten erinnerte, wo derlei Wässerlein verübelt worden waren. Die dringliche Stimme der Frau nahm den letzten Rest seiner Sicherheit, und er merkte, daß kein guter Stern über dem Unternehmen stand.

      Was sollte er tun? Das Wämslein schien nicht sauberer, er aber floß, als sei er in die Sihl gefallen. Es blieb nichts übrig, als demütig heim zu ziehen.

      Auf dem Weg erlebte er die Genugtuung, daß die fließende Nässe allmählich versiegte, seine Fußspur wurde unmerklich. Mit dieser Entdeckung kam ein glücklicher Gedanke. Am Ofen trockneten die Großen ihre Mäntel und Koller zur Regenzeit. Er beschloß in die oberste Höllen zu kriechen und dort zu trocknen. Heimlich hoffte er, daß die Mutter nicht in der Küche wäre.

      Er hatte Glück und erstieg unbemerkt das Höllenbänklein, hoch zwischen Wand und Ofenturm. Warm wars genug, da konnte keiner klagen. Und wie er nach einer regelosen Weile seiner sicher wurde und die Augen kecker schweifen ließ, gewahrte er in greifbarer Nähe auf dem Ofenturm zwei verdeckte Bretter, die dörrende Apfelschnitze trugen.

      Niemand nimmt ein Glück für unverdient, nur das Unglück trägt den heimlichen Stachel des Schuldgefühls in sich. Die dörrenden Apfelschnitze sprachen Theophrast beruhigender zu, als etwelche Anerkennung seiner vergeblichen Tapferkeit und seiner unverschuldeten Leiden es vermocht hätte. Er nahm und aß wie ein Mann, der sagt: „Seht so bin ich: zuerst eine redliche Arbeit, aber dann auch einen günstigen Griff ins menschliche Behagen, denn Gott gibt den Seinen gerne.“

      Die Kleider des Theophrast begannen zu dunsten und rochen warm. Er blinzelte hin und wieder auf sein Bäuchlein, ob es die dunkle Wasserfarbe schon verlöre, und er streifte den letzten Vorwurf, der ihm noch am Halse hing, seinen leeren Brotsack, mit einem frohen Entschlüsse ab. Es lebte sich leidlich auf dem warmen Höllenbänklein, umgeben von den Dampfwolken verflüchtigender Sünden, in handlicher Nähe des Hutzelobstes, das seine Süßigkeit hinter einem sanften Leder im warmen Fleische sammelte.

      So hätte er lange sitzen können, ihm fehlte zu seinem innigen Behagen nichts, und er wäre endlich auch trocken geworden. Im Ochsnerhaus, wo jeder Gegenstand an die Seinen mahnte, wäre ihm sicherlich bange gewesen. Dort lag eine strenge Zucht in der Luft. Aber hier im Pilgerspital war er so frei wie im Walde; und er genoß die Unbeschränktheit dieser neuen Welt.

      Theophrast durchwitterte noch überall die Andersart der Dinge. Die Tische da unten: wunderlich genug, daß sie den gleichen Dienst taten wie die des Ochsnerhauses, obwohl sie ganz anders aussahen! Und Fremdes überall. So oft bewog ihn nur die Sicherheit, mit der die Großen an den Dingen schafften, eine Sache brüderlich dem Gleichgearteten des Ochsnerhauses anzureihen. Auch er kam, da er scharf zusah und darum mehr schied als willig glaubte, wie jeder Große, auf seinem Umweg hinter das Wesen des Ungewohnten. Mag die Fremde immerhin den bedrücken, der eine letzte Entspannung seiner ermüdeten Triebe und einen unbedingten Schutz sucht, sie befreit auch von den heimlichen Gesetzen der Gewohnheit, die langsam aber sicher Herr über jeden werden, und habe sie einer vom Grund aus selber geschaffen.

      Theophrasts Herz ward leicht auf dem Höllenbänklein im Klosterspital zu Einsiedeln und er schmauste das Hutzelobst ohne Gewissensbisse, bis er Schritte vernahm, die er kannte. Da erschrak er und ließ den eben angenagten Schnitz fallen. Die Mutter sah sogleich; das Unheil war ihr vor die Füße gerollt.

      „Frästeli!“

      Theophrast duckte sich in den hintersten Winkel der Hölle. Alles Ungewitter der letzten Stunden türmte sich drohend vor ihm.

      „Frästeli, du bist in der Höll und tuest Huzlen in?“

      „Mammeli, ich muoß in der Höll sitzen!“

      „Was muoßt?“

      „Daß mir alls wieder trücknet.“

      Die Mutter tastete über ihn.

      „Bi Gott, du bist naß! Wo bist gsi?“

      Da faßte Theophrast ein Herz und rief:

      „Es ist ein großer Regen an mich gfallin!“

      Die Mutter sah ihn an, daß er schon widerrufen wollte, da streifte ihr Fuß den Brotsack, sie hob ihn auf. Man hätte ihn auswinden können. Und sie sah nach.

      „Wo ist’s, das Tüechli und dine Haller, so ich dareingebunden?“

      Theophrast schöpfte tief Atem und rief:

      „Es ist ein großer Wind an mich gfallin, der hots usm Sack grissen.“

      „Kumm, Büebli, ich will dir Wind und Wetter gewiesen han!“

      Sie