Ein Wesen, mit dem Sarah stets im ständigen Kampf gestanden hatte und welches sich mir als eine zweite Flamme in ihrem Inneren offenbart hat. Anfangs hatte ich geglaubt mich geirrt zu haben, doch hatte ich das jemals?
Sarah war so anders gewesen, bevor Sally sie zurückgeholt hatte. Immer war ich liebevoll ihr gegenüber gewesen und bemerkte doch den Abscheu ihrerseits, als sie nicht die war, für die wir sie alle hielten.
So frag ich dich, welches Kind mag sie sein?
Das des Todes, oder das des Lebens? Du hast deine Antwort bereits abgegeben. Aufgebaut auf den Schatten, die sie gegen eure Leute anwandte und ich wollte deine Antwort auf die Frage nicht wahrhaben; war geblendet von meiner Fürsorge und Freundschaft! Doch nun muss ich einsehen, dass du Recht hattest...
Die arme Sarah gab sich auf, als sie Alexander erneut verließ und somit trat der Charakter dieses Kindes ans Licht.
All die Finsternis aus Schattenwesen, die Boshaftigkeit in Worten und die Arroganz in ihrer Art, prägen sie. Ein Zeichen, dem ich mich nicht entziehen kann. Ich kann und darf meine Augen nicht länger davor verschließen, denn sie könnte unser aller Tod sein! Das Kind des Todes ist uns näher, als jemals zuvor!
Noch ist es nicht zu spät, noch kann ich es vielleicht beenden und uns retten, doch ist dies ein Akt aus Verzweiflung und Verachtung. Eine Schande, die an mir haften wird und mich auf Ewig verfolgt.
Ein Kind zu töten – ungeboren, unschuldig- das werde ich mir niemals vergeben können... Schließlich weiß ich selbst nur zu gut welch Schmerz es bedeutet...
Hoffe, dass ich mich nicht irre, denn das wäre eine noch größere Schande...
In Liebe,
Celest Davenport
In Ewigkeit,
Celest Maguire
Nachdem Celst die Zeilen mühselig und mit zitternder Hand vollendet hatte, blickte sie zu dem Brief ihres geliebten Keith. Vor etwa drei Monaten, kurz nachdem Sarah wieder hier her zurückgekommen war, hatte er sie erreicht. Nur zu oft hatte sie ihn gelesen, geleugnet und versteckt. Es war schwer ihrer Schwester Elest den Inhalt zu verschweigen; war sie doch stets in der Lage ihre Gedanken zu hören, ihre Umgebung zu riechen und zu sehen. Trotzdem hoffte Celest inständig, dass ihr Wille stark genug war. Elest hatte sie nie auf diesen Brief angesprochen. Natürlich war dies kein Garant, aber ihre Hoffnung hatte Bestand.
Sie atmete tief ein, als ihre Finger die Zeilen nachzogen, die ihr Geliebter verfasst hatte.
Die Maguire hatten Wort für Wort entziffert. Auch wenn sie diese vor unzähligen Jahren bereits einmal vernommen hatten, war die Genauigkeit verloren gegangen. Zwar nie vergessen, aber übergangen; regelrecht zum Schweigen gebracht.
Doch den Fakten konnte auch sie nicht ausweichen. Sie waren unumgänglich! Und wieder, um sich ihrer Sache wirklich sicher zu sein, las sie die Sätze des Propheten:
Ich sah dunkle Schatten,
ausgesendet vom Todesengel, der unser aller Leben rauben und sich daran laben will.
Es wird beginnen!
Ich sah das Kind des Todes dem Wahnsinn verfallen und wie sie alle anderen unter ihrer Qual erdrückt und ins tiefe Dunkel stürzt.
Hier offenbart sich der Pfad!
Ich sah das Kind des Lebens, was zum ersten Mal die Welt mit eigenen Augen erblickt und ihre alte Haut abstreifte.
Ein geliebtes Wesen wird einen gewaltigen Fehler begehen!
Ich sah zwei Seelen mit ihrem Tod das sonst so reine Eis beflecken und auf brutale weise besudeln.
Der Verrat an der eigenen Rasse wird alles Leben der Welt auf eine harte Probe stellen und die einst so gewaltige Schöpfung wird ihrem Untergang geweiht sein.
Drum sage ich, wählet gut, meine Kinder, denn nur ein Weg wird der Richtige sein.
Nur ein Pfad und möge er noch so steinig und beschwerlich sein, wird die Erlösung, das Recht und das Leben bringen.
Grausame Liebe
Wenige Wochen zuvor:
Der Schnee unter seinen Pranken wurde aufgewirbelt und hinter ihn geworfen. Wie der Dunst eines kalten Morgens legte er sich langsam nieder. Vereinzelt glitzerten die Eiskristalle und wirkten wie Diamanten.
Trotz des verzaubernden Anblicks wagte es sein Körper nicht, sich der Ruhe zu verschreiben. Er preschte wild vor. Dröhnendes Schnaufen grollte durch die Nasenlöcher und zeugte von dem gewaltigen Marathon, den er bereits hinter sich gebracht hatte. Seine Muskeln waren gespannt und von brachialer Kraft erfüllt.
Während der Wind das weiße Werwolffell von Alexander zerwühlte, hob er den Kopf. Obwohl der Schweiß sein Fell durchnässte, war ihm die Freiheit so nah, wie nie zuvor. Er lernte allmählich das Tier in sich zu beherrschen und zu manipulieren. Das Gefühl dieser Gestalt war nicht länger befremdlich, sie war gewöhnlich geworden. Eine Eigenschaft, die Alexander niemals geglaubt hatte zufassen zubekommen.
Silas, der sich nur wenige Meter vor ihm befand, krallte sich in das Gestein eines Berges. Das schwarze Fell passte nicht in diese Gegend, die von Eis und Schnee in eine einfarbige, kalte Wüste verwandelt wurde. Während Alex sich hier ohne Probleme verstecken konnte, war es für Silas nicht gerade einfach. Manchmal, wenn ihn die Gedanken und Gefühle an diesen Mann übermannten, dachte Alex, dass Silas das schwarze Schaf der Familie Yue wäre. Dies war ziemlich überheblich, dass gestand er sich selbst ein, doch es half ungemein die Unausstehlichkeit seinerseits zu ertragen.
In den letzten Woche hatte man dem erstgeborene Sohn des Königs eine Aufgabe zuteil werden lassen, die ihm anfänglich missfiel: Alexanders Werwolfgen unter Kontrolle zu bringen. Mittlerweile hatte er Gefallen daran gefunden und raubte Alex jede Minute seiner Zeit. Zumindest empfand er es so.
Alex schnaubte heißen Dampf aus der Schnauze und legte den Kopf schief, als er ihn bei seiner Bergserklimmung beobachtete. Er war flink und geschickt und natürlich hatte er ihm viel voraus. Silas kannte nur seine Wolfgestalt. Für ihn gab es nichts anderes, ganz im Gegenteil zu Alexander. Ihm war diese Gestalt nicht nur fremd gewesen, sie war lästig! Stets bei Vollmond hatte ihn die Kraft heimgesucht, kränkeln lassen und leider auch die Oberhand über ihn gewonnen. Zu oft war er ein Gefangener in seinem eigenem Körper gewesen.
Ganz schnell schüttelte er die Bilder ab, die versuchten ihn zu plagen. Es kam einem Schwerthieb ins Herz gleich, die sie in ihm hervorbrachten, denn der Wolf hasste den Vampir. Und genau diese andere Seite konnte er zweifelsohne nicht von sich weisen. Das wusste auch der Wolf. Ein Kampf zweier Gene, die Alexander seit Jahren begleitet hatten.
Trotz seiner täglichen Auseinandersetzungen mit Silas konnte er ihn verstehen. Vor nicht all zu langer Zeit hatte er ihm eine herbe Niederlage erleiden lassen; getäuscht, missbraucht und gedemütigt. Wer konnte das schon so einfach akzeptieren?
Auch wenn die beiden Männer bereits eine Mission gemeinsam bestritten und dabei sogar Dicht an Dicht zusammen gekämpft hatten, brachte das dem Misstrauen keinen Abbruch.
Für Alex allerdings waren diese Spitzfindigkeiten eine gelungene Abwechslung vom Alltag und eine Ablenkung von seinem Herzschmerz. Er plagte ihn seit Wochen; er suchte ihn heim wie ein zu Fleisch gewordener Feind.
Ungewollte baute sich ein Bild in seinem Unterbewusstsein auf. Wie ein Puzzle setzten sich die Teile zusammen und formten den Kopf einer blonden Frau. Liebevoll lächelte sie ihn an. Sie war betörend schön. Sarah!
Als ihn der Blitz direkt in das Herz traf, krümmte er sich krampfhaft. Nein! Er durfte nicht an sie denken! Er musste sich konzentrieren; um jeden Preis! Auf keinen Fall wollte er seinen Wahnvorstellungen