Mitternachtswende. Melanie Ruschmeyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melanie Ruschmeyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738044980
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Sonne stach ihr in die Augen. Erst als sie sich ein wenig nach rechts lehnte und in den Schatten der Heronstatur trat, vermochte sie wieder klar zu sehen. Als sie den bearbeiteten Fels inständig betrachtete, fragte sich Flora, was Alexander wohl alles mit diesem Mann gemein hatte. Im Gesicht machte sie keine Übereinstimmungen aus. Sie kannte diesen Werwolf nicht und würde ihm auch niemals mehr begegnen können, denn er war für seine Frau gestorben. Heron, der Held der Wölfe. Ein großer Kriegsgott und Berater des Königs hatte seine menschliche Frau vor einem Vampirangriff schützen wollen. Dafür hatte er sein Leben gegeben. Leider war seine hochschwangere Frau schließlich dem letzten Überlebenden der Gruppe zum Opfer gefallen. Zwar hatte er sie nicht zu töten vermocht, da Verstärkung unterwegs war, aber für Alex´ Mutter kam jede Hilfe zu spät. Das Gift des Vampirbisses war bereits in ihrem Blutkreislauf eingedrungen. So wurde ihr Freund Alexander zu einem Halbwesen. Bei seiner Geburt starb dann letztendlich auch die Frau des großen Kriegsgottes. Eine Tragödie.

      Die Statur war atemberaubend. Liebevoll war jedes Detail hervorgehoben worden. Heron machte seinem damaligen Dasein in Form dieses Abbildes alle Ehre. Er hatte den Arm weit gehoben und schien eine Armee anzuführen. Seine andere Hand ruhte auf einem Wolf. Gierig und geifernd knurrte er die Besucher an. Man konnte meinen, dass er den Feinden den Eintritt verweigerte und sie aufforderte stehen zu bleiben.

      Königin Fen ging unbeirrt weiter. Sie sah nicht zurück und steuerte zielgerichtet den großen, asiatisch Torbogen an. Die Ecken des Holzes griffen förmlich nach dem Himmel und wollten ihn umarmen.

      Breit zog sich um die Aussichtsplattform ein Holzgeländer. Es verschmolz mit dem Bogen zu einer Einheit. Dieser gesamte Komplex war vom Schnee befreit worden. Man sah nur noch die Anzeichen von Besenaktivitäten und Schaufeln; wie winzig kleine, lange Fäden zogen sie sich über den Boden.

      Schnell folgte Flora der Königin und gemeinsam traten die beiden Frauen die lange Treppe herunter, die sich in das Tal hinab erstreckte. Auch hier war strengstens darauf geachtet worden die Stufen und die Hauptstraße vom kalten und glatten Weiß zu befreien.

      Im tibetanischen Gebirge lag dieser wohlbehütete Ort versteckt. Nur wenige kannten ihn, allen voran natürlich die Wölfe. Jedes Mal aufs neue barg der Anblick dieses Ortes etwas magisches. Eingekreist von meterhohen, weißen Bergen war dieses Geheimnis nur durch eine Frau standhaft. Eine Kuppel aus purer Magie schützte diesen Ort vor menschlichen Blicken. Mittlerweile wusste das einstige Dienstmädchen der Maguire wer diese Frau war. Chang-Ying. Nur selten bekam sie die alte Dame zu Gesicht.

      ››Es ist seltsam diese Umgebung in Schnee zu sehen.‹‹ Fen riss Flora aus ihren Gedanken.

      ››Warum?‹‹

      Die Königin atmete warmen Dunst aus, der die Kälte des Augenblickes unterstrich. ››Chang-Ying wacht über das Wetter. Sie sorgt dafür, dass es uns gut geht und wir eine hervorragende Ernte haben. Allerdings muss auch an diesem kleinen Fleckchen Erde irgendwann der Winter Einzug halten.‹‹

      Flora legte den Kopf schief und sank weiter in ihren Mantel hinein. ››Das verstehe ich nicht. Nicht überall auf der Welt wird es Winter. Warum muss es dann hier so sein? Und ich dachte, sie hält den Schutzschild aufrecht, damit ihr nicht entdeckt werdet. Ist er jetzt nicht mehr da?‹‹

      Die Königin seufzte und schüttelte den Kopf. Mit einer leichten Abwesenheit antwortete sie: ››Dies hat mehrere Gründe. Zum einen, weil wir in einem kalten Gebiet leben. Das bedeutet, dass die Natur irgendwann auch ihren Tribut fordert, was uns auch gleich zum zweiten Grund führt. Chang-Ying wird durch die Magie, die sie einsetzt geschändet und altert. Auch sie brauch einmal im Jahr eine Pause. Dabei lässt sie jedoch niemals ihre Pflicht außer Acht. Der Schild zum Schutz steht. Er ist lediglich, … hm, wie soll ich sagen? … Durchdringender. Sie lässt der Natur freien lauf und schreitet nur dann ein, wenn sie muss. Jeder Besucher der den Schild durchschreitet wird so durchleuchtet wie immer.‹‹

      Diese Welt war für die Blondine schwer zu verstehen. Magie war etwas, was es ausschließlich in Fantasyfilmen gab, nicht aber im realen Leben. Hier nun mit ihr konfrontiert zu werden, war unglaubwürdig. Allem voran lag dieses Misstrauen darin begründet, dass Flora die Magie nie gesehen hatte.

      Wann immer sie Chang-Ying sah, konnte sie es nicht glauben. Eine derart alte Frau sollte die Magierin der Wölfe sein? Sie wirkte gebrechlich und schien sich mehr an ihrem Stab zu stützen, als zu gehen. Eines jedoch konnte die Frau nicht von sich drängen. Die Tatsache, dass die alte Damen stets die Wahrheit heraus zu filter vermochte. An einem Abend -sie konnte sich nur zu gut daran erinnern- hatte sie Chang-Ying herausfordern wollen. Flora hatte etwas von ihrer Vergangenheit erzählt und absichtlich falsche Fakten angepriesen. Natürlich war sie vorsichtig gewesen und hatte Fen vorher über ihren Test informiert. Flora war schlau, schließlich war sie bei den Maguire groß geworden. Sie wollte nicht, dass man sie als Lügner beschimpfte. So klärte Fen schließlich alles auf.

      ››Wenn ich so an den Abend denke, wo ich Chang-Ying auf die Probe gestellt habe‹‹, sagte sie und ließ ihre Gedanken frei, ››ist mir das irgendwie peinlich.‹‹

      Fen lachte herzlich. ››Glaubst du, du warst die Erste, die das getan hat?!‹‹

      Sie schmunzelte. ››Vermutlich nicht, aber ich kann auch nur für mich sprechen.‹‹

      Danach nahm die Stille beiden wieder in ihre Fangarme. Ohne Worte und gleichbleibender Miene nahmen sie Stufe für Stufe hinab ins Tal.

      Die Stadt lag unter einer dicken Schneeschicht begraben. Wie dicker Zuckerguss klebte er an den Dächern. Teilweise funkelte etwas. Flora vermutete, dass es die Eiszapfen waren, die von den Dachrinnen herunterhingen. Von nahmen sahen sie bedrohlich aus, von hier waren sie nicht zu erkennen.

      Als die ersten Häuser links und rechts neben der breiten Hauptstraße auftauchten, bog die Königin auf einen kleinen Pfad ab. Flora kannte ihn gut, denn sie war ihn bereits etliche Male gegangen. Damals im Sommer und Herbst führte er direkt auf die Felder, nun war er trostlos. Der Schnee war platt getreten. An manchen Ecken von Lehm bräunlich verfärbt.

      Das ehemalige Dienstmädchen wollte nicht in die Einöde dieser weißen Landschaft, sie hatte geglaubt Fen würde mit ihr in die Stadt gehen. Dort war sie fest der Meinung gewesen ihre Ablenkung zu finden. Vermutlich würden die Menschen mit den Vorbereitungen für Weihnachten beginnen und die unterschiedlichen Häuser würden in einem farbenfrohem Glanz erfüllt sein. Ein Treiben dem sie gerne verfallen wäre, was sollte sie also hier?

      Fen drehte sich leicht zu ihr herum, wodurch Flora bewusst wurde, dass sie stehen geblieben war. Etwas verlegen biss sie sich auf die Unterlippe und lugte zu den Gebäuden hinüber.

      Ohne das Gesicht zu verziehen schüttelte die Asiatin den Kopf und wandte sich wieder ihrem Spaziergang zu. Tief gruben sich die Augenbrauen der Blondine nach unten und sie stutzte. Allmählich wurde ihr mulmig. So energisch und gleichzeitig ruhig und bestimmend kannte sie diese Frau nicht. Nur sehr langsam wagte sie ihr zu folgen.

      Während der Schnee unter ihren Sohlen knirschte und schmatze, fühlte sie sich leer. Obgleich sie gerne auf eine Idee gekommen wäre, es entglitt ihr alles. Die unendliche, weiße Weite kam ihr in diesem Augenblick bedrohlich vor, doch wagte sie es nicht Angst zu empfinden. Flora war eher auf der Lauer; lauschte jedem Geräusch, beobachtete jede Bewegung der Königin.

      Nach geraumer Zeit schlich die Kälte durch den Mantel. Er suchte sich Wege um sie frösteln zu lassen, aber auch dies zeigte Flora nicht.

      Der Weg war lang und langweilig. Bis auf ein paar kahle Bäume gab es hier nichts zu sehen.

      Schließlich blieb Fen vor einem dieser Bäume stehen. Breit und mächtig hob er sich neben dem Pfad empor und spendete an schönen Sommertagen viel Schatten. Jetzt sah er eher dunkel, schwarz und leblos aus.

      Die Königin blickte in die Krone und wartete. Worauf wusste Flora nicht. Sie war ein paar Meter hinter der Frau zum Stehen gekommen, da sie den gesamten Spaziergang nicht gewagt hatte, zu ihr aufzuschließen.

      ››Warum hast du mich hierher gebracht?‹‹, machte sie endlich ihrer Frage Luft und schaute finster drein. Ohne es zu wollen spannte sie