Tochter des Schmieds. Lieselotte Maria Schattenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lieselotte Maria Schattenberg
Издательство: Bookwire
Серия: Heimkehrerkind
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742773852
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der umfangreichen Arbeit gehörte ihre Dienstmädchenzeit, wie sie uns später berichtete, zur schönsten Zeit ihrer Jugend. Beim Pfarrer Brummak und seiner Frau brauchte Alma sich nicht zu fürchten, Abenteuer bestehen zu müssen, bei denen ein junges Mädchen Schaden an Körper und Seele nehmen konnte. Sie hatte auch Zeit, eine stattliche Anzahl Bücher zu lesen und für ihr Musikverständnis war die Nähe zur Kirche eine gute Hilfe. Der Pfarrer war etwa so alt wie ihr Vater und das Ehepaar hatte einen fünfjährigen Sohn. Alma machte die Arbeit Freude und die Frau Pfarrer war nett zu ihr. Am Anfang bekam sie fünf Mark im Monat. Später wurde ihr Lohn auf zehn Mark erhöht, weil sie so fleißig und ehrlich war.

      Sie arbeitete in ihrem Heimatort bei den Eltern in der Landwirtschaft mit, soviel sie konnte. Ihre Schwester Käthe und die drei Brüder Otto, Paul und Ernst waren natürlich die Haupthilfen der Eltern. Alma hatte gelernt, zu organisieren, konnte gut rechnen und schreiben und war rundum geschickt bei der Hausarbeit. Oft ging sie in die Kirche. Der Pfarrer hielt sehr schöne Predigten über die Familie und die Aufgabe der Mütter, was sie immer tief berührte. Aber Heimweh hatte sie oft, wenn es ihr auch nicht schlecht ging in den zwei Jahren. Zu Weihnachten durfte sie nach Hause fahren. Alle freuten sich sehr über das Wiedersehen. Im November gab es regelmäßig ein Schlachtfest auf dem Hof, so hatten alle genug zu essen.

      Grafik 7 Alma mit 17 Jahren

      Bevor sie mit meinem Vater ging, war sie mit einem jungen Mann befreundet, den sie beim Tanzvergnügen kennenlernte.

      Ihr Cousin Alfred begleitete seine hübsche Verwandte zum Tanz, da es für ein Mädchen nicht schicklich war, allein auszugehen. Man tanzte den schnellen Krakowiak, einen Paartanz, der aus der Region um Krakau stammte. Auch die Mazurka, einen damals populären polnischen Tanz, der viele Variationen hatte, konnte sie perfekt tanzen. So parierte sie das Aufschlagen der Füße am Boden bei gleichzeitigem Zusammenschlagen der Absätze, als sie noch schlank und jung war.

      Ihre braunen, aus feinem Leder geflochtenen Tanzschuhe mit den zwei Knöpfen holte sie aus dem großen Kleiderschrank, wenn sie mir davon erzählte. Sie waren in einem der Fluchtkoffer von ihrer Heimat mitgekommen. Mutter war kräftiger geworden nach vier Kindern und der vielen Feldarbeit, verbraucht vom Leben. Die Schuhe hatte sie als Erinnerung an eine vergangene Zeit unten in ihrem Schrank ihr Leben lang aufbewahrt. Alma träumte in ihrer Küche weit weg von ihrer Heimat von Jan Kiepura und Mario Lanza, den zwei Tenören, die in ihrem Alter um die vierzig waren und deren Erfolge bis Amerika reichten. Was war ihr geblieben nach diesem schrecklichen Krieg? Sie arbeitete zuverlässig jeden Tag, bis sie krank wurde und ihr hageres Gesicht mit den breiten Wangenknochen, die wie kleine Äpfel gerötet waren, noch eingefallener wurde. Ihre schmalen Lippen sahen grau aus, wenn sie traurig war, und sie wirkte spitz und sehr verletzlich.

      Nach der langen Tagesarbeit strickte sie und besserte unsere Kleidung aus, obwohl sie morgens um fünf aufstehen musste. Die brüllenden Kühe brauchten ihr Futter und mussten gemolken werden, weil die Milch im Euter drückte. Es war immer dasselbe, Sommer und Winter, Ostern, Weihnachten und Pfingsten. Mutter hatte ein schwaches Herz. Ihre Beine waren geschwollen, sie litt unter Bluthochdruck und Atemnot.

       Manchmal summte sie oder sang Lieder aus der Heimat. Oft kannte sie alle Strophen auswendig. Ihr Lieblingslied war „Am Brunnen vor dem Tore“, ein deutsches Lied, das Franz Schubert vertonte:

      Am Brunnen vor dem Tore

      Da steht ein Lindenbaum:

      Ich träumt’ in seinem Schatten so manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde

      so manches liebe Wort;

      Es zog in Freud und Leide

      Zu ihm mich immer fort.

      Ich musst’ auch heute wandern

      Vorbei in tiefer Nacht,

      Da hab ich noch im Dunkel

      Die Augen zugemacht.

      Und seine Zweige rauschten,

      Als riefen sie mir zu:

      Komm her zu mir, Geselle,

      Hier findest Du Deine Ruh!

      Die kalten Winde bliesen

      Mir grad in’s Angesicht;

      Der Hut flog mir vom Kopfe,

      Ich wendete mich nicht.

      Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort,

      Und immer hör ich’s rauschen:

      Du fändest Ruhe dort.

      Mutters Augen füllten sich mit Tränen. Sie dachte an ihre Mutter, die in Polen auf dem kleinen Friedhof neben der Kirche begraben lag.

      Einmal hat sie mir auf mein Drängen von ihren Gefühlen erzählt, aber meist versuchte sie, stark zu sein und keine Regung zu zeigen.

      Plagten die Mutter ihre Krampfadern im Sommer zu sehr, umwickelte sie ihre Beine von den Füßen bis zum Knie mit grau-weißen Binden. Vater trug auch Beinbinden, weil er durch Granatsplitter versehrte Beine hatte und die Wunden ihm zusetzten. An den Füßen trug er Fußlappen und seine Beine steckten in Holzpantoffeln. Bei der Mutter machten sich die Unregelmäßigkeiten der Wickel-Maßnahmen so bemerkbar, dass ihr am rechten Bein unterhalb der Knies eine dicke Krampfader herausquoll, die Beine waren hügelig und glichen grünen und blauen Flusslandschaften. Sie wurden nicht geschont. Abends war das abgesackte Blut aus den Lymphen über den Knöcheln zu sehen und zeichnete sich in einer Beule bis zum Einschlupf der Holzpantoffeln ab.

      Obwohl Mutter nur die Achtklassen-Volksschule in ihrem kleinen polnischen Dorf besucht hatte, konnte sie gut lesen und hatte eine schöne Schrift, wenn sie die lateinischen Buchstaben schrieb. Es zeigte ihren Fleiß und Ordnungssinn, denn sie hatte nur die deutschen Buchstaben in der Schule gelernt.

      Sie erzählte mir von Charles Dickens, sagte Gedichte auf von Goethe oder Schiller.

      Ihre zahlreichen Bücher hatte sie verloren, im Haus zurücklassen müssen. In ihrem Herzen trug sie viele Bilder aus Märchen wie Hänsel und Gretel oder Hans im Glück.

      In der Weihnachtszeit saßen wir Kinder um den Kachelofen, die Mutter strickte Handschuhe oder Socken und erzählte uns diese Märchen aus ihrer Kindheit und die Geschichte von Tante Dorothea, die in der Kindheit ihrer Mutter eine besondere Rolle spielte.

      Für die selbstgestrickten Socken mit einem Nadelspiel von fünf Nadeln hatte sie eine spezielle Methode von ihrer Mutter, wie die Ferse zu arbeiten sei. In mir wuchs der Wunsch, vielleicht auch zu stricken, aber ganz bestimmt, Märchen und Geschichten selbst zu lesen.

      An Winterabenden bekamen wir öfter Besuch von Nachbarn, mit denen die Eltern befreundet waren.

      Sie saßen beisammen, plauderten und erzählten Gespenstergeschichten wie die von dem Kinderschreck der deutschen Sage, der durch das Korn zog:

       Die Roggenmuhme

       Lass stehn die Blume!

       Geh nicht ins Korn!

       Die Roggenmuhme

       steht da vorn!

       Wen sie beim Pflücken

       sieht Halme knicken,

       wer Ähren zertritt,

       den nimmt sie mit!

      Manchmal traute ich mich vor Angst in der Dunkelheit nicht, den Lichtschein und die Gesellschaft zu verlassen, um ins Bett zu gehen.

      Weil diese Dorfbewohner alle in ihrem Leben vor dem Krieg auf ihren Höfen um Poznań gelebt hatten, sprachen sie fließend polnisch. Hier in dem preußischen Dorf sprachen die Leute plattdeutsch.

      „In de Wochen ferr Wiehnachten is dat Familjenläewen janz besundersch intensiv. In keene annere Tied van't Joahr is dat Meteenaner van'ne Familje, ob jung odder olt, sau enge wie in