Hinter Jessicas Rücken klopfte der Wind sanft an die offene Verandatüre. Das reichte um sie aus ihren Träumereien zu reissen. Sie war erleichtert darüber, dass der Schmerz in ihrem Kopf bereits wieder nachliess. Jessica tastete nach dem Verschluss der Halskette und öffnete ihn. Danach zog sie die oberste Schublade auf, um das Schmuckstück unter ein paar weissen Handtüchern die sich beim hineingreifen ganz flauschig anfühlten zu verstecken.
«Verliere jetzt nur nicht den Verstand!»
Kapitel 3 - Familienbande
Mit Verspätung, wurde um halb acht das Abendessen im Esszimmer serviert. Der lange Tisch glich einer Rittertafel. Am oberen Ende sass das Familienoberhaupt Jessica. Chloé und Jonas sassen sich fast zwei Meter von ihr entfernt gegenüber.
«Chloé, wie geht es dir? Du sieht immer noch sehr blass aus.» erkundigte sich ihre Mutter.
«Ich bin Okay, hör auf mich alle fünfzehn Minuten danach zu fragen.»
Lana servierte die Vorspeise auf schneeweissen Porzellantellern. Dies unter der strengen Aufsicht von Beatrice, die neben der Klapptüre, die in die Küche führte stand. Es gab einen schlichten Feldsalat mit Ziegenkäse und herbem Fruchtdressing. Um den Ablauf nicht noch weiter zu verzögern, schenkte Maja unterdessen die Getränke ein. Einen Weisswein und stilles Mineralwasser. Nach dem servieren stellte sich Lana seitlich zum Buffet, auf dem die Speisen und Getränke zum Nachreichen abgestellt wurden. Beatrice und Maja verschwanden in die Küche. Die Klapptüre schwang noch einige Male hin und her, ehe sie zum Stehen kam. Danach lag eine bedrückende Stille im Raum. Chloé stocherte mit der Gabel in ihrem Teller herum. Da Tobias Hunger hatte, begann er bereits eifrig zu essen, noch bevor seine Mutter ein «lasst es euch schmecken» fertig ausgesprochen hatte. Vornehm führte Jessica kleine Happen zu ihrem Mund. Lana lauschte dem Geklimper des Bestecks auf den Tellern und erinnerte sich, wie es früher bei ihrer Familie Zuhause am Esstisch zu und her ging. Ihre Mutter und ihre beiden Schwestern redeten während des Essens immer wild durcheinander. Selbst der sonst strenge und stille Vater warf Bemerkungen mit vollem Mund dazwischen. Bei ihr Daheim war es immer ein buntes und lustiges Treiben, vor allem beim Abendessen. Denn da erzählten alle angeregt von ihrem Tag in der Schule oder auf der Arbeit. Hier kam es ihr gerade vor wie bei einem Leichenschmaus nach einer Beerdigung. Keiner machte Anstalten um eine Konversation in Gang zu bringen. Dabei gab es mehr als genug, dass sie sich hätten erzählen können. Jessica war so lange auf Reisen gewesen und wusste im Grunde genommen sonderlich wenig über das Privatleben ihrer Sprösslinge. Diese sonderbare Ruhe empfand Lana als äusserst unangenehm. Die Kluft zwischen der Mutter und ihren Kindern war regelrecht spürbar.
«Wir werden morgen früh gegen zehn Uhr mit der Urne zur alten Eiche gehen.» sagte Jessica auf einmal.
«Ferientag Nummer eins und wir können nicht mal Ausschlafen!» Nachdem Tobias das gesagt hatte leerte er sein Glas Wein in einem Zug und sprach weiter. «Dann sollten wir heute wohl zeitig zu Bett gehen.»
Die Stimmung war nach wie vor angespannt. Wie ein Pflock wartete Lana am Buffet sehnlichst darauf, bis endlich Jemand etwas Interessantes zu berichten begann. Wieder ergriff Tobias das Wort. «Mutter, erzähl uns doch einmal was du so in den letzten Jahren in Europa gemacht hast. Warum haben wir so lange nichts von dir gehört?»
Ruhig legte Jessica die Gabel quer über ihren Teller. Sie schien gelassen auf die Frage eingehen zu wollen. Mit der Vorspeise war sie fertig.
«Ich musste mich für euren Grossvater um wichtige geschäftliche Dinge kümmern.»
Mit einer Geste wies Tobias Lana an ihm Wein nachschenken.
«Da wo du warst gab es wohl kein Telefon?» er wollte es von seiner Mutter etwas genauer wissen. Doch sie hatte nicht vor die Mauer des Schweigens einzureissen. Bedächtig wählte sie ihre nächsten Worte, sie wusste, Tobias hatte dieselbe Angewohnheit wie sein verstorbener Vater. Auch der war meistens auf eine Konfrontation aus, immer dann, wenn er zu viel getrunken hatte. Er versuchte sie aus der Reserve zu locken.
«Du weisst, dass mein Verhältnis zu eurem Grossvater nicht das Beste war.»
«Dafür konnten wir nichts. Du hättest dich trotzdem öfter melden dürfen. Wir hatten keine Ahnung wo du warst und wie es dir ging.» entgegnete ihr Sohn.
Jessica stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und verschränke die Arme über dem Teller.
«Es tut mir leid. Die Situation war verfahren und sehr kompliziert.»
Sie hatte einen wehmütigen Ausdruck im Gesicht. Tobias wartete, da er glaubte seine Mutter würde endlich etwas ausführlicher werden. Ihre nachfolgenden Antworten blieben kühl und oberflächlich.
«Du willst uns tatsächlich nicht mehr erzählen?» Und wieder trank Tobias sein Glas leer. Er wusste genau, seine Trinkerei machte Jessica rasend. Wenn er hartnäckig blieb, könnte er sie vielleicht zum Platzen bringen. Tobias wollte sie knacken. Diese unnahbare Person, die sie Mutter nannten, sollte endlich ein paar Emotionen zeigen.
«Naja, vielleicht hast du dich ja in Madeleine gar nicht so sehr geirrt.» Das sagte er mit einem ironischen Unterton.
Madeleine war für Jessica die Provokation schlecht hin. Chloé legte schweigend ihr noch unbenutztes Besteck auf den Tisch zurück. Sie hatte nicht einen einzigen Bissen gegessen. Tobias schaute in ihr kreidebleiches Gesicht.
«Schwesterherz, du sieht echt nicht gut aus. Was ist denn nur los mit dir?»
Sie liess die Hände in den Schoss fallen ohne auf ihren Bruder einzugehen. Jessica war ihrer Tochter wegen sehr beunruhigt, verkniff sich aber eine bemutternde Frage. Wenn nötig würde sich ihre Tochter von sich aus kundtun. Es sollte nicht schon am ersten Abend Streit ausbrechen. Es würde noch früh genug zum Ärger mit ihren Kindern kommen, dessen war sie sich sicher. Bevor die beklemmende Stille zurückkehrte, sprang die Küchentür auf und Maja trampelte ins Esszimmer. Der nächste Gang war parat. Während die Teller abgeräumt wurden, erhob Tobias sein leeres Glas als wolle er einen Toast aussprechen.
«Ist es vielleicht möglich noch etwas Wein zu bekommen?» fragte er ungehalten.
Seine Schwester musste ihn zurecht weisen. «Ich glaube du hast genug!»
«Oha, du sprichst ja doch mit mir!»
Sie zickten sich mehrere Minuten lang an wie zwei kleine verwöhnte Kinder. Lana behielt die Weinflasche in der Hand und wartete bis das Gezanke endete. Die Teller waren abgeräumt und man brachte das Lammfilet mit Kartoffeln zum Tisch. Es roch unglaublich lecker.
«Schenken Sie mir jetzt noch etwas ein oder wollen sie weiterhin wie angewurzelt dastehen?“
Man sah Lana an, dass sie sich am Verhalten von Tobias störte. Jessica erhob mahnend eine Hand, um sie mit der Flasche zurück zu weisen.
«Genug für heute. Halte bitte etwas Mass!»
«Danke Mutter, ich weiss selber wann ich genug habe.»
«Offensichtlich