GENAU INS GLÜCK - Oder knapp daneben. Bernhard Bohnke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Bohnke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668398
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widerstehen.

      Zunächst musste er sich natürlich die gewünschte Situation vor seinem inneren Auge ausmalen, am besten wie einen Film im geistigen Heimkino ablaufen lassen.

      Also: Sie kommt die Treppe herunter, in diesem offenherzigen roten Kleid, das sie so weiblich macht.

      Er steht vor seiner Wohnungstür, lächelt ihr zu und fragt: "Frau Frohwein, haben Sie sich schon gut in unserem Haus eingelebt?" Mit dem "unser" wäre eine erste Verbindung zwischen ihnen hergestellt.

      Darauf musste sie einfach antworten, etwa mit "Ja, denn es gibt so nette Menschen hier."

      Er fährt fort: "Ich betrachte es als eine Selbstverständlichkeit, eine neue und auch noch so charmante Mitbewohnerin mit einem kleinen Umtrunk in meiner Wohnung zu begrüßen."

      Was danach kam, wollte Stefan erst einmal offenlassen. Er fühlte sich noch nicht versiert genug, die Zukunft weiter vorwegzudenken bzw. herbeizudenken. Aber die Treppenszene spielte er immer wieder in seiner Vorstellung durch, wobei er sie mit zusätzlichen liebevollen Details ausschmückte. Am Abend legte oder genauer stellte er sich hinter seiner Wohnungstür auf die Lauer.Er hatte schon zweimal erlauscht, dass sie oft am Abend gegen 20 Uhr das Haus verließ (hoffentlich steckte da kein Mann dahinter!). Vielleicht hatte er Glück, und sie kam wieder um die gleiche Zeit. Und er hatte Glück, so schien es ihm, jedenfalls kam sie exakt um 20:11 Uhr die Treppe herunter. Er kannte inzwischen ihren Schritt. Also dann: Stefan holte tief Luft, pumpte sich positiv auf und trat vor die Tür.

      Leider trug Nicole nicht das warmherzig wirkende rote Kleid, sondern einen eisblauen, Kühle verbreitenden Hosenanzug. Und leider brachte er sein Sprüchlein auch nicht so strahlend hervor wie in seiner Phantasieübung, sondern stockend, ehrlich gesagt fast stotternd. Und leider konnte er ihr zunächst nicht ins Gesicht schauen, sondern nur auf die Beine. "Frau Frohbein, Entschuldigung Frohwein. Haben Sie sich schon gut in dem Haus eingelebt?" Dummerweise vergaß er das verbindende "unser". "Eingelebt? Es geht. Mancher Mitbewohner macht es einem nicht so leicht." Sprach's und rauschte die Treppe runter. Stefan hatte zwar noch etwas sagen wollen, aber nichts rausgebracht.

       "Mancher Mitbewohner." Ob sie ihn damit meinte? Vielleicht, nein bestimmt. Sie mochte ihn eben nicht. Und da half auch das Positive Denken nicht. Wieder in seiner Wohnung, schmiss er die Positiv-Bücher wütend auf den Boden. Das war doch alles nur eine verdammte Gedankenwichserei. Wahrscheinlich stimmte der Ausspruch: "Die wahren Abenteuer sind im Kopf." In der Phantasie, da konnte er sich die schönsten Erlebnisse schaffen, da war er wenigstens weitgehend - Meister seiner Welt. Aber die Umsetzung in die Realität klappte nicht, die Wirklichkeit bequemte sich kaum, seinen Vorstellungen zu folgen. Stefan ahnte nicht, dass ihm ein Erfolg nahe bevorstand. Allerdings was für ein Erfolg ...

      Als er am nächsten Morgen ins Büro kam, begrüßte ihn seine Kollegin Frau Redlich mit ungewohnter Freundlichkeit: "Guten Morgen, Herr Glanz, haben Sie gut geschlafen?" Offensichtlich versuchte ihre Stimme, sich aus der gewohnten nörgeligen Tonlage bis zu einem Flöten zu erheben; der erreichte Kompromiss war ein etwas heiseres Piepsen. Stefan nickte nur kurz. Denn er war erstens schlecht gelaunt, zweitens in Grübeleien versunken und drittens überhaupt nicht an Frau Redlich interessiert.

      "Ich habe Ihnen schon Kaffee gemacht, aus meiner Dose, Sie wissen, die 'Krönung'." Jetzt schreckte Stefan auf. Frau Redlich hütete ihren Kaffee wie einen Schatz. Nie gab sie davon ab, im Gegenteil, sie verdächtigte ständig jemand anderen, sich an ihrem Heiligtum vergriffen zu haben. Irgendetwas musste in der Frau vorgehen. Stefan guckte sie an. Die Redlich war sichtbar aufgeregt, was sie aber nicht unbedingt hübscher machte, vielmehr zu roten Flecken oder fleckiger Röte auf ihrem Gesicht geführt hatte. Das hätte immerhin zu ihren roten Haaren passen können, aber die beiden Rottöne harmonierten nicht. Nun, für ihr Aussehen konnte sie nichts, vielleicht auch nichts für ihre zickige Art.

       "Wahrscheinlich besitzt sie verborgene menschliche Werte", versuchte Stefan sich selbst zu überreden, um etwas freundlicher zu werden. Frau Redlich begann, ihm Komplimente zu machen. Im Grunde hörte er die gerne, aber von ihr waren sie ihm unangenehm. Deshalb fühlte er sich gegen seinen Willen gezwungen zu widersprechen.

      - Herr Glanz, Sie sind wirklich der fleißigste Sachbearbeiter bei uns. So schnell wie Sie ist sonst keiner.

      - Aber nein, der Alfred arbeitet schneller. Der schafft mindestens fünf Fälle mehr als ich am Tag.

      - Na ja der, der macht auch keine sorgfältige Arbeit. Und ist überhaupt ein ziemlich ungehobelter Mensch.

      Aber Sie sind noch ein Kavalier der alten Schule.

      - Sagen Sie das nicht. Wenn ich alleine bin, fluche ich manchmal furchtbar.

      - Aber bestimmt nicht in Gegenwart einer Dame. So ein gutaussehender Herr wie Sie.

      - Ich bin doch leider viel zu dick.

      - Aber gar nicht. An so einem hageren Mann ist gar nichts dran. Sie haben eine Traumfigur.

      - Da haben Sie wohl recht, Frau Redlich.

      Bei diesem wunden Punkt konnte Stefan sich einfach nicht zu einem Widerspruch durchringen.

      - Sehen Sie! Aber sagen Sie doch nicht immer Frau Redlich zu mir. Einfach Elfriede.

      Erst jetzt wurde Stefan völlig klar: Elfriede Redlich hatte sich in ihn verliebt. Es lief ihm kalt über den Rücken. Was wollte diese Frau von ihm? Erstens, sie war wohl wesentlich älter als er. Ihr genaues Alter hatte sie verheimlicht, die Schätzungen im Büro gingen von 43 bis 49, Alf tippte sogar auf 53. Zweitens war sie absolut nicht sein Typ. Und wie konnte diese spröde Frau sich über Nacht in ihn verlieben? Das konnte doch kein Zufall sein. Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein Blitz. Natürlich, es lag am Positiven Denken, an seiner neuen Ausstrahlung. Aber was war da schief gelaufen? Die Kraft sollte ja auf Nicole wirken, an Elfriede hatte er nun wirklich nicht gedacht. Immerhin zeigte es ihm, dass das Positive Denken doch wirkte, überhaupt etwas veränderte. Nur die Ausrichtung seiner Strahlen war leider voll daneben gegangen.

      Frau Redlich kam an diesem Tag mehrfach unter irgendwelchen Vorwänden in Stefans Zimmer. Das fiel natürlich auch seinem Zimmerkollegen Alfred auf. "Na, eine neue Eroberung gemacht?" höhnte er. "Gratuliere. Volltreffer! Der Candidus hat 100 Punkte. Ihr passt bestens zusammen. Ein echtes Traumpaar." Stefan schluckte. Aber er wusste nicht, wie er dieses Lästermaul stopfen konnte. So litt er schweigend heroisch, bis ihn der Feierabend erlöste.

      Heute eilte er noch schneller als sonst nach Hause, zu seinem "Denk-Sessel", wie er ihn inzwischen nannte. Wie konnte er den Nachstellungen von Elfriede - nein, er wollte sie nicht beim Vornamen nennen -, von Frau Redlich entkommen? Ihm fiel das Mega-Computer-Buch ein. Er musste das Redlich-Programm schnellstens löschen, das war klar. Aber über die richtige Vorgehensweise fühlte er sich unsicher. Wenn der Erfolg bei Frau Redlich auch unerwünscht war - Stefan schüttelte sich -, es blieb doch ein Erfolg. Also brauchte er einen Misserfolg. Aber konnte man mit dem Positiven Denken überhaupt einen Misserfolg erzielen?

       Oder brauchte er dafür ein Negatives Denken? Wie auch immer. Er würde sich eine Szene mit Frau R. - am liebsten sprach er nicht einmal den Nachnamen aus - ausmalen, in der sie sich entsetzt von ihm abwandte. Gesagt getan bzw. gedacht. Stefan stellte sich vor, er führte mit Alf ein richtig fieses Machogespräch, von dem Frau R. Zeugin wurde.

      Alf legte los:

      - Na Alter, sag bloß, du grabschst jetzt an der Redlich rum. Willst du diese Ziege etwa bumsen?

      (Frau R. will gerade in die halb geöffnete Tür treten, schreckt aber zurück.)

      - Gott bewahre, ich bin doch kein Mumienschänder. Es macht mir nur Spaß, die Olle was hochzunehmen.

      (Frau R. läuft rot an.)

      - Trotzdem, du ruinierst dir deinen Mackerruf, wenn du dich mit dieser Schreckschraube abgibst.

      (Frau R. hält die Luft an. Sie zittert.)

      - Aber ich habe spitz gekriegt, die hat ordentlich was auf die hohe Kante gebuttert.

      Da will ich richtig absahnen, Kassenmann machen, und dann heißt es "Bye, bye, Baby".