GENAU INS GLÜCK - Oder knapp daneben. Bernhard Bohnke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Bohnke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668398
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und fühlen Sie, wie die Energie in Sie strömt!" Also gut, auf zum kosmischen Höhenflug.

      Stefan lehnte sich zurück und schloss brav - wie gefordert - die Augen. Er murmelte innerlich: "Stefan ruft KK. bitte kommen!"

      Keine Reaktion. Er fuhr fort: "Bitte kosmischer Geist, ergieße dich in mich!"

      Immer noch keine Reaktion. Hoffentlich fühlte sich auch die richtige Kraft angesprochen. Nicht dass sich nachher noch die "schwache Kraft" meldete und ihn eventuell schwächte. Aha, da tat sich etwas.

       Seine Arme begannen zu kribbeln und zu jucken. Stefan widerstand der Versuchung, sich zu kratzen - dass er bloß nicht die Energie wegkratzte. Aber war es denn wirklich die kosmische Energie? Oder war es nur wieder seine Erdbeerallergie?

      Unvorsichtigerweise hatte er zum Frühstück ein Erdbeerjoghurt gegessen, im Glauben, man könnte sich darauf verlassen, dass in den modernen Fruchtjoghurts nichts mehr von der echten Frucht, sondern nur noch "naturidentische" sprich chemische Aromastoffe drin wären. Stefan fühlte eine zunehmende Müdigkeit und Schwere. "Verdammt, hoffentlich hat mich nicht doch die schwache Kraft erwischt - oder die Schwerkraft ... " Als er zwei Stunden später wieder aufwachte, fühlte er sich zwar ausgeschlafen, aber der KK war er keinen Schritt nähergekommen. Etwas schuldbewusst riss er sich zusammen und las weiter.

      Das Erfolgsprinzip war im Grunde wieder das gleiche wie in den vorherigen Büchern. Man musste sich ein Ziel anschaulich vorstellen. Und man musste an die Erfüllung des Ziels glauben. Nur hatten die ersten Autoren von der Kraft der Gedanken gesprochen, während dieser von der kosmischen Kraft sprach.

       Die wurde allerdings durch die Gedanken aktiviert, somit war das letztlich kaum ein Unterschied. Stefan fragte sich allerdings, ob man die enorme KK wirklich auch für banale Probleme des Alltags wie "mehr Geld" oder ''weniger Gewicht" oder "mehr Sex" oder ''weniger Pickel" bemühen durfte. Oder machte das nur Sinn bei erhabenen Lebenszielen wie "geistige Erleuchtung erlangen"? Er beschloss, erst einmal ausschließlich die empfohlene "Kosmos-Grundübung" durchzuführen, und zwar ab jetzt jeden Morgen. Sie bestand eben darin, sich vorzustellen, wie die kosmische Energie in einen hinein fließt und sich ganz mit ihr aufzuladen.

      Der Autor empfahl, die Energie auch anzusprechen: "Sei mir willkommen, du herrliche Macht des Himmels!" Oder: "Ich grüße dich, du himmlische Sternenkraft!" Das kam Stefan zwar reichlich pathetisch, um nicht zu sagen peinlich vor. Aber solange es niemand hörte ... Und für so ein großes Ziel durfte man einfach nicht überempfindlich sein. Denn das Buch versprach ja: "Wenn Sie die Übung regelmäßig durchführen, werden Sie letztendlich zum geistigen Meister des Universums, zum mentalen Mr. Universum, zum 'Gedanken-Schwarzenegger'."

      In dieser Nacht hatte Stefan einen phantastischen Traum. Er schwebte auf einer rosa Wolke durch das Weltall. In der Hand hielt er einen riesigen Dirigentenstab. Und mit dem dirigierte er die Sterne, die tanzten, so wie er ihnen den Takt angab. Am nächsten Morgen fühlte er sich aber keineswegs mehr großartig, denn er hatte die schlimmsten Befürchtungen, was ihm mit Frau Redlich bevorstände. Gottseidank hatte sie sich jedoch krankgemeldet; hoffentlich blieb sie möglichst lange krank.

      Kollege Alf trug demonstrativ einen neuen Pullover. Natürlich "Lacoste". Er kleidete sich überhaupt nur vom feinsten. Am liebsten "Boss". Das passte am besten zu seinem Boss-Feeling. Denn obwohl er der weitaus jüngste in der Abteilung war, meinte er, ihm stände es gut an, Gruppenführer zu sein. Woher der dieses Selbstbewusstsein nahm?! Dabei konnte er sich die teure Kleidung nur leisten, weil er eine gut betuchte Freundin besaß. Stefan selbst kleidete sich zwar nicht schlecht, hatte aber bisher auch keinen besonderen Wert auf edle Klamotten gelegt, kaufte auch. schon mal Billigware. Das lag wohl am Einfluss seiner Mutter, die ihm immer eingetrichtert hatte, alles bzw. an allem zu sparen. "Spare in der Zeit, so hast Du in der Not", das klang ihm noch immer in den Ohren.

      "Toller Pullover", sagte er zu Alf, weil der offensichtlich darauf wartete.

      Alf lächelte selbstgefällig: "Ja, Lacoste, 130 Euro. Übrigens, welche Marke ist eigentlich dein Pullover? Auch Lacoste oder etwa Bogner?"

      Wie es das Unglück wollte, trug Stefan gerade heute einen Pullover, den er in einem Ramschladen auf dem Wühltisch für 4,99 Euro einem gehbehinderten Rentner weggeschnappt hatte. Dieses "Markenfabrikat" besaß den schönen Namen "Billig". "Äh, der ist von 'Billy', einer neuen, noch wenig bekannten Firma, die aber stark im Kommen ist."

      Alf schüttelte missbilligend den Kopf. "Kenn' ich nicht", meinte er, und seine Miene verkündete, dass es ihn auch nicht drängte, diese Marke namens "Billy" näher kennenzulernen. "Du trägst doch sicher auch nur 100% Wolle oder Baumwolle?"

      "Natürlich", antwortete Stefan, und hoffte inständig, dass das Schild "100% Polyacryl" nicht aus dem Nacken herausragte.

      Um weiteren unangenehmen Nachfragen über seine Kleidung zu entgehen, verschanzte er sich hinter mehreren Ordnern und blätterte angestrengt in einer Akte. In Wirklichkeit dachte er aber über das Gespräch mit Alf nach: Klar, der übertreibt es; aber unwichtig ist es nicht, sich gut anzuziehen. Sagt doch schon das Sprichwort: "Kleider machen Leute". Und selbst der Positivexperte Montag hat zugegeben, dass das Positive Denken nicht immer allein ausreiche, sondern durch äußere Maßnahmen wie "positive Kleidung" ergänzt werden müsse. Doch was macht Kleidung positiv? Sicher, gute Qualität, aber außerdem helle Farben und freundliche Muster. Als ganz besonders positiv gilt die Farbe rosa. Soll ich mir etwa einen rosa Anzug kaufen? Das würde bestimmt zu Mißverständnissen führen.

      Er verschob weitere Überlegungen auf später und begann, wirklich zu arbeiten. Heute waren einige besonders schwierige Versicherungsfälle zu klären. Und er wollte endlich einmal wieder am Feierabend "tischrein" sein, alle Akten vom Schreibtisch weggearbeitet haben.

      Nach der Arbeit ging er zum Einkaufen. Zunächst fragte er sich zu einer Nobelboutique durch, die ihm Alf genannt hatte. Aber als er die Preise im Schaufenster sah, kehrte er sofort wieder um. Außerdem hätte er sich mit seinem "Billy"-Pullover ohnehin nicht in so einen Laden gewagt. Er konnte sich die hochnäsige, leicht angewiderte Miene des Verkäufers nur allzu lebhaft vorstellen. In solchen Boutiquen begegnete man oft der puren Arroganz. Am liebsten wäre er ins nahe Kaufhaus gegangen und hätte sich dort erst einmal auf dem "Schnäppchen-Markt" umgesehen.

      Aber er widerstand der Versuchung. Heute galt "quality first". So betrat er ein normales Herrenbekleidungsgeschäft. Eine junge, schlanke Verkäuferin trat auf ihn zu: "Suchen Sie etwas Bestimmtes?" Erst als Stefan diese Frage hörte, wurde ihm klar: Er hatte sich noch gar nicht überlegt, was er kaufen wollte. "Vielleicht ein Hemd oder eine Hose oder einen Pullover oder ein Sakko", überlegte er jetzt laut. Die Verkäuferin guckte etwas ratlos. "Sollen wir mal mit einem Sakko anfangen?" "Ja, warum eigentlich nicht."

      Sie führte ihn in die zweite Etage, wo eine imponierende Vielzahl von Jacketts seiner harrte. "Es kommt aber nur eine helle Farbe und ein freundliches Muster in Frage", sagte Stefan schnell, "eben positiv, wenn Sie verstehen, was ich meine." "Ich denke schon", nuschelte die Verkäuferin etwas irritiert. Sie war wirklich sehr schlank und sehr jung. 'Tragen Sie eine 20er-Größe?" "Ich trage doch keine Bauchgröße", entrüstete sich Stefan und zog seinen Bauch, nein seinen Bauchansatz, ruckartig ein. "Mir passen die schlanken Größen, 94 oder 98." Das war allerdings eine aus der Empörung geborene Notlüge. Sicherlich, früher einmal hatte er wirklich diese Größen getragen, aber das war schon mindestens 1 Jahr her, ehrlich gesagt war es schon fast 10 Jahre her.

      In diesem Moment kam als rettender Engel ein erfahrener Verkäufer hinzu und bewahrte Stefan vor der erneuten Kränkung, ein sicher zu enges 94er-Sakko anprobieren zu müssen. "Fräulein Sander ist ganz neu bei uns; sie kennt sich noch nicht so gut aus." Stefan war kein Unmensch. Er war bereit, Fräulein Sander ihre jugendliche Unerfahrenheit zugute zu halten, und vielleicht machte sie auch ihre eigene Überschlankheit befangen. Der Verkäufer übernahm jetzt die Beratung, während die junge Dünne - sie war wirklich zu dünn - achselzuckend abtrat. "Ich schlage vor, Sie probieren mal ein 52er Jackett", steuerte er diplomatisch einen Kompromiss an. "52, das ist Normalgröße." Er betonte das "normal" und ließ durch den Tonfall erkennen, dass es das Beste war, wenn einem Normalgrößen passten.

      Wirklich, die Jacke saß. Sie hatte