GENAU INS GLÜCK - Oder knapp daneben. Bernhard Bohnke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Bohnke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668398
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sind wie Sterne. Abends kommen sie raus." Womöglich sollte er wirklich abends, bei Dunkelheit weiterüben. Niemand wird gerne bei hellem Licht ständig beobachtet, das galt offensichtlich auch für seine Zähne. Und ohnehin hatte er jetzt eine Entspannungsphase verdient. Ja, lächeln zu lernen war richtige Arbeit.

      Am Abend stand Stefan also wieder vor dem Spiegel; nur ein wenig durch das Fenster eindringendes Mondlicht beleuchtete die Szene. Tatsächlich, jetzt konnte er den Mund ganz locker zu einem breiten Lächeln öffnen. Als er jedoch sein Spiegelbild sah, erschrak er so, dass der Mund sofort wieder zuklappte. In dem gespenstischen Halbdunkel sah er aus wie ein Wolf, der die Zähne fletschte. Oder sogar wie ein Vampir, der seine Beißerchen bleckte. Schauderhaft!

      Aber er würde nicht aufgeben. Denn der "Tiger" versicherte: Wer lächelt, der erobert die Welt. - Und die Eroberung der Welt war allemal eine Mühe wert, die Eroberung von Nicole natürlich erst recht. So legte er vor dem Zu-Bett-Gehen nochmal die Klebstreifen auf, und diesmal fixierte er den geöffneten Mund. Wenn er das "Tesa-Lifting" über Nacht einwirken ließ, würde er hoffentlich schon morgen das Ziel des chronischen zahnfreien Lächelns erreicht haben.

      Als er am nächsten Morgen wieder an seinem derzeitigen Lieblingsplatz, vor dem großen Spiegel stand, sah er sofort, dass das Mundfixing Erfolg gehabt hatte. Die "Tesa-Maske" hatte ihm zwar ein etwas maskenhaftes, gefrorenes Lächeln beschert, aber immerhin ein dauerhaftes und offenherziges, mit freiem Blick auf seine Goldkronen. Und es zeigte sich: Das Buch hatte recht. Wenn man lächelt, denkt man auch positiv. Jedenfalls war Stefan in freudiger Erwartung, wie die Kollegen und vor allem Kolleginnen im Büro auf seine neue Ausstrahlung reagieren würden. Ob sie mich direkt darauf ansprechen? überlegte er.

      - Mann Stefan, bist du verprügelt worden?

      - Was soll das denn heißen?!

      - Dein Mund ist so schief und steht offen, als ob du eine aufs Maul bekommen hättest. Hast du eine Kiefersperre?

      - Typisch. Da lächelt man dir mal freundlich zu, und das ist der Dank.

      - Wenn du so aussiehst, wenn du freundlich bist, ist es mir lieber, du bist unfreundlich zu mir.

      Stefan zuckte mit den Schultern. Dieser ungehobelte Mensch war eben für den Wert eines Lächelns nicht empfänglich. Es war sein Zimmerkollege Alfred, ein großschnäbeliger Yuppie-Typ. Nicht umsonst wurde er meistens Alf genannt, weil seine unverblümte Direktheit an den bekannten TV-Außerirdischen erinnerte. Gutwillige nannten ihn Alf, andere sprachen hinter seinem Rücken von "Alfred, das Ekel".

      Stefan ging zur Sekretärin des Gruppenleiters rüber. Sie war die "Büro-Mutter", eine Seele von Mensch, und würde bestimmt anders auf sein nettes Lächeln reagieren. In der Tat.

      "Tut es sehr weh?" fragte sie mitfühlend.

      "Was denn bitte?" fragte Stefan leicht gereizt zurück.

      "Sie haben doch sicher Zahnschmerzen."

      Jetzt reichte es ihm. Er ließ sie stehen und ging an seine Arbeit. Beim Mittagessen saß er in der Kantine Kollegin Frau Redlich gegenüber, einer ausgesprochenen Zicke mit zottligem roten Haar, die sich dauernd über alles mögliche und unmögliche beschwerte. Sie guckte ihn so komisch an, weshalb er angriffslustig zurückguckte, nein zurückstarrte, länger als eigentlich nötig. Da zuckte sie zusammen und versenkte den Kopf in ihre Suppe, bis zum Nachtisch guckte sie nicht mehr hoch.

      Kurz nach dem Essen wurde Stefan zum Gruppenleiter gerufen. Der hatte wegen seiner auffallend künstlichen Dauerwelle den Spitznamen "Locke" weg oder - da er promoviert war - "Dr. Locke". Locke kam direkt zur Sache.

      - Frau Redlich hat sich beschwert. Sie hätten sie das ganze Essen lang anzüglich angegrinst, ich zitiere: "wie ein richtiger Chauvi".

      - Ich weiß nicht, was in Frau Redlich gefahren ist. Dabei habe ich ihr nur einmal zugelächelt.

      - Aber Sie grinsen ja immer noch so merkwürdig. Machen Sie den Mund doch mal zu.

      Stefan versuchte es, er versuchte es wirklich. Doch hatte er gestern den Mund nur mit Mühe aufbekommen, bekam er ihn heute einfach nicht mehr zu.

      "Ich habe Zug gekriegt", stieß er hervor. "Deswegen ist der Mund verzogen. Das ist wie ein schiefer Hals. Nur bei mir ist eben der Mund schief."

      Der Gruppenführer runzelte die Stirn. Er schien nicht sehr überzeugt von Stefans Antwort. Doch dann nahm sein Gesicht einen eher wohlwollenden Ausdruck an.

      "Herr Glanz, Sie sind ja nicht gerade als Chauvinist hier im Hause bekannt. Und die Frau Redlich ... Sie wissen schon. Aber wir sind von oben angehalten, schon auf einen Verdacht von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu reagieren. Nun gehen Sie. Und sehen Sie zu, dass Sie Ihren Mund möglichst schnell wieder zu bekommen. Notfalls nehmen Sie frei und besuchen den Zahnarzt. Und setzen Sie sich bitte, bis Sie geheilt sind, nicht Frau Redlich gegenüber."

      Locke seufzte, und Stefan war erleichtert, abtreten zu können. Und er fühlte sich noch erleichterter, als er mit seinem missverständlichen Gesicht wieder zu Hause in Sicherheit war. Eins stand für ihn fest: Mit der Lächel-Methode lerne ich das Positive Denken nie. Ich bin dem Tiger auf den Leim gegangen.

      Es funktionierte eben nicht, positiv denken zu lernen, indem man einfach sein Gesicht einer Lächel-Dressur unterwarf - das war wirklich lächerlich. Das Positive musste von innen kommen, erst mussten die Gedanken sich ändern, dann folgte das Gesicht - hoffentlich - von alleine nach.

      Also gut, ein zweiter Anlauf. Diesmal würde er es ernsthaft angehen und sich mehr Zeit lassen. Wer glaubte denn auch schon einem lächelnden Tiger? Wenn es noch ein rosaroter Panther wäre ...

      3 ICH DENKE POSITIV, ALSO BIN ICH POSITIV

      Am Abend machte Stefan es sich mit dem Buch "Die Superkraft Positiven Denkens" bequem. Der Autor hieß "Montag". Das war ein bisschen enttäuschend. Für den Autor eines solchen Werkes hätte besser der Name "Sonntag" gepasst, oder "Samstag", notfalls auch "Freitag". Aber "Montag"? Da dachte man spontan: "Schade! Das Wochenende ist vorbei." Doch davon durfte man sich nicht abhalten lassen.

      Montag begann mit dem Satz: "Wenn Sie sagen: Dieses Buch bringt mir Erfolg, sprechen Sie die Wahrheit. Und wenn Sie sagen: Dieses Buch bringt mir keinen Erfolg, sprechen Sie ebenfalls wahr." Stefan schüttelte den Kopf. Das klang reichlich widersprüchlich. Aber Montag lieferte sofort die Erklärung. Entscheidend ist, dass man an den Erfolg des Positiven Denkens glaubt, nur dann funktioniert es. - Wenn das so ist, sagte sich Stefan, dann glaube ich doch lieber an den Erfolg als an den Misserfolg, denn ich will ja erfolgreich werden.

      Der Autor erläuterte weiter: Positives Denken bewirkt positive Gefühle und Handlungen, negatives Denken bewirkt negative Gefühle und Handlungen. Und Montag gipfelte in der Behauptung:

      "Der berühmte Philosoph Descartes sagte: 'Ich denke, also bin ich.'

      Ich aber sage. 'Ich denke positiv, also bin ich positiv.'

      Das ist viel positiver als Descartes' Ausspruch."

      Die meisten Menschen denken negativ, schalt Montag. Um Unglück gegen Glück einzutauschen, brauchen Sie aber nur ihre negativen Gedanken durch positive zu ersetzen. So einfach ist das.

      Nun kam eine Überraschung: Das wirklich Wichtige am sogenannten Positiven Denken ist gar nicht das Denken. Denn des Gedankens Blässe reicht nicht aus, um irgendetwas zu verändern. Erst muss der graue Gedanke versinnlicht werden, durch eine Vermählung mit der Phantasie, indem er durch bunte innere Bilder anschaulich und plastisch wird. Positive Vorstellungen sind gefragt.

      Es genügt zum Beispiel nicht, einfach zu denken: Ich werde glücklich. Sondern man muss sich in allen Einzelheiten vor seinem inneren Auge ausmalen, wie man als glücklicher Mensch lebt: strahlendes Lächeln im gut gebräunten Gesicht, körperlich vor Gesundheit strotzend, von freundlichen oder gar bewundernden Menschen umringt, am besten noch neben einem Nobelschlitten.

      Das schlichte deutsche Wort "Vorstellung" reichte allerdings kaum für ein solches