GENAU INS GLÜCK - Oder knapp daneben. Bernhard Bohnke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Bohnke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668398
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Tafel weiße Schokolade, gottseidank Diät-Schokolade mit weniger Kalorien. Von einem Moment auf den anderen war er plötzlich satt, total satt, so satt wie noch nie zuvor in seinem Leben. "Ich bin nicht hungrig, ich bin nicht hungrig." Ja, jetzt stimmte es. Hatten diese Anti-Hunger-Gedanken vielleicht doch noch geholfen? Nein, das konnte er sich nicht selbst weismachen. Er war einfach "befressen", so wie jemand von zu viel Alkohol besoffen war.

      Stefan fühlte sich elend. Sein Bauch drückte, aber auch sein Gewissen drückte angesichts dieser Völlerei. Und es fiel ihm ein, dass er neulich etwas über Ess-Sucht gelesen hatte, von einer Krankheit namens Bulimie, zu deutsch "Ochsenhunger": Wahrlich, wie ein - dummer - Ochse habe ich gemampft. Bin ich jetzt ein "Ess-Kranker"? Werde ich so, wie ein Fixer von der Spritze, von meinem Kühlschrank abhängig sein?

      Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Sendung zu Ende war, wahrscheinlich schon längst, er hatte das in seinem (Fr)Ess-Rausch gar nicht mitbekommen. Stattdessen dudelte ein alberner Schlager: "Bei Muttern futtere ich am liebsten ... " Stefan verspürte allerdings mehr Ärger als Schuldgefühle. Nicht er hatte eigentlich versagt, sondern das Positive Denken. Das Dünn-Denken war plötzlich in ein Fress-Denken umgeschlagen. Davor musste man doch gewarnt werden. Vielleicht war das Positiv-Denken, wie ein Medikament, nicht ungefährlich. Dann sollte aber in den entsprechenden Büchern stehen: "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie den Umschlagtext und fragen Sie Ihren Arzt oder Buchhändler." Und bei Rundfunksendungen müsste gewarnt werden: "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Programmzeitschrift oder fragen Sie Ihren Zeitungsverkäufer."

      Er würde dennoch nicht aufgeben. Sein Gewicht zu verringern, das war eine längerfristige Aufgabe. Aber es war auch eine im wahrsten Sinne gewichtige, schwergewichtige Aufgabe. Vielleicht würden sich sogar seine Chancen bei Nicole, seiner schönen Nachbarin, enorm erhöhen, wenn er leichtgewichtiger vor sie träte. Allerdings vertraute er in dieser delikaten Angelegenheit nicht nur aufs Dünnerwerden. Er hatte auch die kosmische Kraft auf Nicole angesetzt; diese Urkraft, die Atome zusammenhielt und Galaxien auseinanderschleuderte, die müsste Nicole schon rumkriegen.

      Am nächsten Tag war Frau Redlich wieder im Büro. Offensichtlich suchte sie ein Gespräch mit ihm unter vier Augen, aber Stefan wich ihr immer wieder aus. Doch schließlich erwischte sie ihn, als Alf gerade aus dem Zimmer gegangen war.

      Herr Glanz, ich bedauere, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin. Nun ... es ist mir unangenehm, darüber zu sprechen. An dem besagten Morgen hatte ich morgens Sekt getrunken. Nicht was Sie jetzt denken. Ich lebe noch bei meinen Eltern, und zum 75. Geburtstag meines Vaters gab es ein Sektfrühstück. Das konnte ich nicht ablehnen, obwohl ich keinerlei Alkohol vertrage. Ich bekomme sogar von Selters einen Schwips. Vor allem wenn ich Sekt trinke, bin ich völlig aufgedreht. Ich verliebe mich dann sofort in den erstbesten Mann. Das hatte mit Ihnen persönlich gar nichts zu tun. Jetzt, im nüchternen Zustand, sind Sie mir wieder völlig gleichgültig. Ich bin von Ihnen wie von einer Krankheit geheilt."

      Stefan war erleichtert, gekränkt und enttäuscht. Erleichtert, dass Frau Redlich nichts von ihm wollte. Trotzdem gekränkt, dass sie ihn als Mann offensichtlich nicht attraktiv fand. Und enttäuscht, dass sein Positives Denken hier also doch nichts - und sei es auch bei der falschen Frau - bewirkt hatte.

      "Sicher, so etwas kann ja vorkommen", sagte er schwammig, um nur überhaupt etwas zu sagen.

      "Sie haben sich hoffentlich nicht bedrängt gefühlt?" fragte sie nach.

      "Nein, gar nicht", antwortete er wahrheitswidrig.

      "Ich möchte natürlich nicht, dass Sie einen falschen Eindruck von mir bekommen", beharrte sie.

      "Ich habe überhaupt keinen Eindruck", murmelte Stefan.

      "Und Sie sind auch wirklich nicht verärgert, auch kein klein bisschen?" hakte sie nach.

      "Ganz und gar nicht", presste Stefan hervor und unterdrückte seinen Ärger.

      "Es wäre mir nämlich sehr unangenehm, wenn Sie mich für aufdringlich halten würden", bedrängte sie ihn.

      "Neeeiiin, Sie sind absolut unaufdringlich", stöhnte Stefan.

      "Sie müssen schon entschuldigen, das ist sonst wirklich nicht meine Art.

      Aber Sie verstehen doch die Umstände?" nervte sie weiter.

      "Ich verstehe und entschuldige alles", zischte Stefan und ballte die Faust in der Tasche.

      "Nicht dass Sie mich missverstehen ... " Frau Redlich holte tief Luft.

      Stefan war kurz davor loszuschreien: "Sie sind doch immer noch besoffen!" Dieser Satz lag ihm schon auf der Zunge. Gottseidank kam Alf in diesem Moment wieder ins Zimmer und befreite ihn aus seiner hochnotpeinlichen Lage.

      "Aha, unsere Frau Redlich. Ich störe doch hoffentlich nicht ein trautes Rendezvous."

      Frau Redlich errötete. "Nein, natürlich nicht. Ich wollte Herrn Glanz nur von einem ganz reizenden Film erzählen, den ich gerade gesehen habe: 'Die Königskinder'. Der geht wirklich zu Herzen."

      "Und tiefer", meinte Alf anzüglich.

      Frau Redlich wurde jetzt knallrot und verließ fluchtartig den Raum. Alf schlug sich auf die Schenkel und lachte dröhnend, fast originalgetreu wie der TV-Außerirdische.

      - Habe ich dir den Schatz verjagt, Candidus?

      - Jetzt reicht es mir aber mit deinen ewigen Anpöbeleien!

      - Ja wenn du so miesepetrig bist, muss ich dich eben etwas hochnehmen.

      Vielleicht macht dich das lockerer und lustiger.

      - Dazu brauche ich bestimmt nicht deine so uneigennützige Hilfe.

      - Wieso?

      - Ich betreibe das Positive Denken. Vier Bücher habe ich schon darüber gelesen. Bald werde ich voll positiv sein.

      Da war es raus. Ungewollt. Er hatte sich extra vorgenommen, nicht davon zu sprechen. Und schon gar nicht "Ekel-Alfred" gegenüber. Aber der hatte ihn eben provoziert. Nun, vielleicht war es gar nicht so schlecht, vielleicht wäre Alf beeindruckt. –

      Nein, war er nicht: "Oho, Candidus wird zum Sunnyboy", feixte er. "Hast du dir denn auch schon eine rosa Brille gekauft? Jetzt darfst du nur noch Gedanken in Schweinchen-Rosa haben. Ach, dein komisches Haifisch-Lächeln neulich, das gehörte wohl auch zum Übungsprogramm." Alf schüttelte sich vor Lachen: "Hahaha." Zu allem Überfluss begann er auch noch zu singen: "Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht ... " Ohne es zu merken, zupfte Stefan wieder an seinem Ohrläppchen. Aber Alf merkte es. "Wenn du da weiter so rumziehst, dann wird aus deinem Ohrläppchen noch ein Ohrlappen."

      Trotzig dachte Stefan: Was mich nicht umbringt, macht mich nur positiver. Dennoch ging er an diesem Tag ziemlich wütend nach Hause. Hätte er nur den Mund gehalten! Aber irgendwie musste er auch mal mit jemandem über sein Positiv-Programm sprechen. Nur Alf war bestimmt nicht der geeignete Gesprächspartner. Er brauchte - positive - Gesinnungsgenossen, verwandte Geister, mit denen er sich austauschen konnte. Und die ihn ermutigten, wenn es - mal wieder - nicht geklappt hatte mit dem Positiven Denken. Natürlich, er könnte Helmut noch einmal anrufen. Aber das letzte, was er jetzt hören wollte, waren wieder Ratschläge zur seelischen Müllabfuhr. Helmut war ihm einfach zu weit voraus im Positiv-Denken. Er verglich es mit zwei Tennisspielern, von denen der eine Anfänger und der andere schon ein Fortgeschrittener war. Wenn die zusammen spielten, hatte keiner von beiden viel davon. Nein, er würde sich lieber nach Menschen im gleichen Positiv-Entwicklungsstadium wie er selbst umsehen, nach einer Art Selbsthilfegruppe für Positivität. Wie er ehrlich zugab, musste das eine "Kinder"-Gruppe sein, denn er selbst war von seinem "Positiv-Alter" her vielleicht mal gerade drei Jahre alt. Aber wie lerne ich solche Leute kennen? grübelte Stefan. Am besten über eine Anzeige. Oder online? Nein, erst mal auf die gute alte Methode. Es gibt doch fast alles in Zeitungs-Anzeigen: Job, Auto, Ehe, Wohnung, warum nicht auch eine Denkgruppe für positive Krabbelkinder? Ich könnte natürlich selbst eine Annonce aufgeben; aber erst einmal will ich gucken, ob eine solche Gruppe ihrerseits annonciert hat.

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