Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marian Liebknecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847634409
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wieso so plötzlich?“, fragte Martha, „willst du nicht erst abwarten, wie es in deiner Firma weiter geht. Du bist doch erfahren und fleißig. Die brauchen dich und werden dich nicht einfach so gehen lassen. Vielleicht stecken in diesen ganzen Veränderungen auch Chancen. Als dein Vater Gruppenleiter im Ministerium wurde, war es ähnlich. Sie haben auch in seiner Abteilung alles verändert und neu eingeteilt und keiner hat gewusst, was er danach wirklich tun würde. Aber dann waren auf einmal neue Möglichkeiten da, Stellen, die zu besetzen waren und eine davon hat dein Vater bekommen, was für ihn damals einen Aufstieg bedeutet hat. Veränderungen bergen immer auch neue Chancen in sich“, sagte Martha mit Nachdruck.

      „Das hat Vater mir damals oft genug erzählt, das kannst du mir glauben, aber das kann man mit meiner Situation nicht vergleichen. Haute geht es nur darum, Leute einzusparen, da gibt es keine neuen Posten. Mit deinem letzten Satz, dass Veränderungen neue Chancen in sich bergen, gebe ich dir allerdings recht, nur sehe ich diese Chancen anders. Man muss sie selbst finden und dafür etwas tun. Vor allem sehe ich jetzt die Chance, das zu tun, was ich wirklich tun möchte“, sagte Philipp.

      „Und warum möchtest du gerade so etwas machen?“ fragte Martha.

      Philipp überlegte. „Warum? Diese Frage habe ich mir noch gar nicht gestellt. Aber ist es nicht bei den wichtigen Dingen im Leben so, dass das ‚Warum’ keine große Rolle spielt? Wenn man etwas tun muss, weiß man es einfach, ohne groß zu fragen, warum man es möchte und warum man so viel Energie darauf verwendet.“

      Die Fragen, die Martha stellte, waren für Philipp wie Schleusen zu neuen Einsichten.

      „Aber man sollte sich nicht kopfüber in Abenteuer stürzen, bei denen man im Vorhinein nicht weiß, was herauskommt“, gab Martha zu bedenken, „eine Sache genau überlegen, heißt nicht gleich, sich selbst untreu zu werden. Es ist keine Schande, wenn man eine Idee, nachdem man noch einmal genau darüber nachgedacht hat, dann doch nicht durchführt. Wahrscheinlich ist das sogar ein Zeichen von Klugheit.“

      Philipp verstand, dass es für Martha keine verheißungsvolle Aussicht darstellte, wenn er ein paar tausend Kilometer entfernt arbeitete. Andererseits war Marthas Aussage zu provozierend, als dass er sie so einfach hinunterschlucken hätte können.

      „Also deiner Meinung nach sollte ich mich freuen, wenn am Monatsende die Gehaltsüberweisung kommt, so wenig wie möglich darüber nachdenken, was ich eigentlich tue und im Übrigen am besten auf meinem Hintern sitzen und mir am Abend vor dem Fernseher den Bauch vollstopfen. Sehr gut, solche Ratschläge kann ich wirklich brauchen.“

      Martha kannte den zwischendurch hervorbrechenden Jähzorn von Philipp gut genug, um nach diesem Ausbruch nicht beleidigt zu sein.

      „Hör auf zu spinnen! Was soll denn das? Sei froh, wenn dir jemand einen guten Rat geben will! Du musst ohnehin selber wissen, was du tust. Und anscheinend weißt du es auch schon sehr genau. Aber du musst mich ebenfalls verstehen. Denk‘ nach, wie oft du mich jetzt besuchst, wie wird es dann erst sein, wenn du irgendwo in Afrika zu Hause bist. Übrigens, wo willst du eigentlich genau hin?“

      „So wie es aussieht, nach Swasiland, dort läuft gerade ein Projekt. Aber ich kann auch ganz woanders hin versetzt werden, beispielsweise nach Südamerika oder Asien, dort gibt es überall Einsatzgebiete. Und weil du vom Besuchen angefangen hast, du kannst mich ja dort einmal besuchen, wo du doch ohnehin so gern in der Welt herumgondelst.“ Martha musste lachen.

      „Für solche Abenteuer bin ich, glaube ich, zu alt“, erwiderte sie.

      „So wie du für dein Alter beisammen bist, kannst du dir so eine Reise auf jeden Fall zutrauen, das wäre für dich sicher kein Problem“, sagte Philipp. Trotz allem, was seine Mutter gesagt hatte, fühlte er, dass sie seine Absichten auf ihre Art akzeptierte, was für ihn die vielleicht wichtigste Bestätigung dafür war, dass er den richtigen Weg beschritten hatte.

      Damit war dieses Thema, das sowohl Martha als auch Philipp außerordentlich bewegte, abgeschlossen. Es war genug dazu gesagt worden. Danach tat es gut, sich noch eine Zeit lang über Belanglosigkeiten zu unterhalten. Als die Weihnachtsbäckerei aufgegessen war, stellte Martha, wie von Philipp befürchtet, noch ein Stück Torte hin, dem er, obwohl bis obenhin mit Keksen voll gestopft, nicht widerstehen konnte.

      Um etwa halb eins war es dann Zeit für das Mittagessen und Martha musste in den Speisesaal. Bevor sie hinaus gingen, gab sie Philipp ein hübsch verpacktes Geschenk, das für ihn gedacht war, und ein Kuvert für Julia, der sie auch beste Weihnachtsgrüße ausrichten ließ. Philipp freute sich darüber und erklärte, er werde das Geschenk am Abend öffnen. Danach begleitete er sie noch in den Speisesaal, der festlich mit einem Gesteck an jedem Tisch dekoriert war. An der hinteren Wand des Raumes stand ein wunderschön geschmückter Christbaum. Beim Abschied küsste er seine Mutter auf die Wange und sie zeichnete ihm ein Kreuz auf die Stirn.

      „Gott beschütze dich, mein Sohn, und Frohe Weihnachten.“

      „Frohe Weihnachten, Mutter“, sagte er, und beim Hinausgehen hatte er das Gefühl, dass das Wichtigste an Weihnachten eben zu Ende gegangen war.

      Die Zufriedenheit, mit der er das Heim seiner Mutter verließ, nahm er in diesen Heiligen Abend mit, und sie gab ihm die Gewissheit, dass ihn für den Rest des Tages keine noch so kitschige Straßendekoration mehr stören konnte. Für Julia und Walter aber, bei denen er am Abend eingeladen war, würde er neben dem Geldbetrag, den er bei solchen Gelegenheiten zu übergeben pflegte, noch irgend eine ganz besondere Überraschung besorgen.

      7.

      Am zehnten Jänner, dem Tag des Beginns der Schulung bei D.C., ging Philipp um halb vier vom Büro weg. Draußen schien die Sonne, aber die Luft war eisig kalt. Es hatte in den letzten Tagen immer wieder ein wenig geschneit, und wenn auch in den Straßen der Schnee sehr bald die Farbe des Asphalts annahm, so hatte sich doch auf den Dächern und Grünanlagen das reine Weiß erhalten. Philipp beschloss, trotz der Kälte zu Fuß zu gehen, da er solche Tage genoss, an denen das Einheitsgrau der frühwinterlichen Zeit in strahlenden Sonnenschein überging. Der Schnee multiplizierte an diesen Tagen das Sonnenlicht und bewirkte dadurch eine Helligkeit, wie sie ein noch so schöner Sommertag nie hervorbringen konnte.

      Philipps Laune entsprach dem Wetter und war eine Mischung aus Zufriedenheit und ungewisser Erwartung. Er hatte sich schon in den letzten Tagen immer wieder auf das heutige Ereignis gefreut und war mehr als einmal in Buchgeschäften auf die Suche nach Material über Afrika und vor allem Swasiland gegangen. Einiges hatte er gekauft und manches davon bereits gelesen.

      Auf dem Weg zum Büro von D.C. setzte er sich noch in eine Konditorei und las in einem Buch über Entwicklungsarbeit im südlichen Afrika. Es war jene, in der er vor Kurzem mit seiner Ex-Frau zusammen getroffen war. Damals hatte er sich geschworen, nie mehr dort hin zu gehen, jetzt fand er aber keinen vernünftigen Grund mehr, gerade diese Lokalität zu meiden. Sarah würde sich dort ja nicht eingemietet haben.

      Beim Eintreten blickte er sich sicherheitshalber um und wählte schließlich einen besonders sonnigen Tisch. Er bestellte eine Tasse Tee mit Zitrone und begann, in seinem Buch zu blättern. Als der Ober den Tee servierte, nahm er gleich einen Schluck, um sich auch von Innen aufzuwärmen. Das wohlige Sonnenlicht, von dem die Stadt in den vergangenen Tagen nur wenig abbekommen hatte, ließ ihn ermüden und seine Lider wurden schwer. Nach kurzer Zeit merkte er, dass er die Worte, die er las, nicht mehr aufnahm, und schließlich gab er dem Drängen seines Körpers nach und schloss kurz die Augen ...

      ... Philipp stapfte in einer wüstenhaften Umgebung langsam etwas wie einen Weg hinunter. Um ihn herum nichts als Sand, Geröll und da und dort ein paar vertrocknete Büsche. Er wusste nicht, wie er dorthin gekommen war, kannte auch die Gegend nicht. Ihm wurde nur auf einmal klar, dass er nicht alleine ging. Sarah ging neben ihm. Beide hatten einen langen Umhang an und auf dem Kopf trugen sie ein Tuch. Dennoch drang die Hitze durch die Kleider und er fühlte, wie sich unter dem Stoff die Schweißperlen sammelten. Weit entfernt sah er eine weiß schimmernde Stadt, die sie offenbar erreichen wollten. Sarah drehte sich um, lächelte ihn an und gab ihm aus ihrer Wasserflasche zu trinken, worauf ihn trotz der widrigen Umstände eine Woge des Glücks durchflutete.