Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marian Liebknecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847634409
Скачать книгу
ich an der Reihe“, begann er. Man hörte sofort, dass er nicht aus Österreich kam, sondern einen holländischen Einschlag hatte, woraus er auch kein Hehl machte.

      „Wie sie hören, komme ich von ein bisschen weiter oben auf der Landkarte, als Holländer kann man seine Wurzeln nicht verleugnen. Aber mittlerweile bin ich schon seit fast zehn Jahren Österreicher. Die ganze Geschichte war so: Ich habe in Holland Bodenkultur studiert und dann bei einer großen Firma gearbeitet, die landwirtschaftliche Maschinen produziert und vertreibt. Weil wir sehr erfolgreich waren, haben wir auch in anderen Ländern Niederlassungen eröffnet, unter anderem in Österreich. Da sie hier Leute für führende Positionen gesucht haben, bin ich nach Wien gegangen. Außerdem zieht es uns Holländer ja ohnehin in den Süden. Ich war verheiratet gewesen. Mein Frau ist aber gestorben, bevor ich die Arbeit in Österreich angenommen habe. Ich habe zwei mittlerweile erwachsene Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Ach ja, ich heiße Piet, und mein Alter – wissen Sie, wir Holländer sind ein bisschen eitel und sagen nicht gern unser Alter, aber weil wir hier ja unter uns sind – ich bin jetzt fünfundvierzig. Der Rest ist nicht viel anders als bei Philipp. In meiner Firma gefällt es mir nicht mehr – interne Veränderungen, andere Vorstände und so weiter -, deshalb will ich etwas anderes machen und habe schließlich die Idee geboren, dass ein paar Jahre Entwicklungshilfe in Afrika in meinem Lebenslauf noch fehlen. Das möchte ich so schnell wie möglich nachholen.“

      „Und wir freuen uns, dass Sie für uns arbeiten wollen“, sagte Dr. Schuster.

      Der letzte, der sich vorstellte, war ein etwas jüngerer Mann, der auf Philipp einen ziemlich nervösen Eindruck machte. Dr. Schuster, dem dies ebenfalls auffiel, sagte deshalb so behutsam wie möglich, ob er sich kurz vorstellen möge. Der Mann dachte kurz nach, dann sagte er: „Ich heiße Alfred und bin fünfunddreißig. Ich bin Pflegehelfer und arbeite in einem Wiener Sanatorium. Meine Abteilung wird aber in einem Monat zugesperrt, ich glaube, sie ist zu teuer. Deshalb kann ich dort nicht mehr lange arbeiten, und während ich etwas anderes gesucht habe, lernte ich Dr. Schuster kennen. Er hat gesagt, dass ich in der Entwicklungshilfe arbeiten könnte, deshalb bin ich heute hier.“

      Philipp fragte sich insgeheim, ob dieser Job wirklich das richtige für Alfred war, dachte aber, dass Dr. Schuster schon wissen werde, was er tut. So Vertrauen erweckend, wie Alfred auf ihn wirkte, hätte er ihn nicht einmal seinen Pferdestall ausmisten lassen, wenn er einen gehabt hätte. Vielleicht, überlegte er, war Dr. Schuster in dieser Sache irgend jemandem verpflichtet.

      Da von Alfred nichts mehr kam, setzte Dr. Schuster fort.

      „Wir haben uns nun alle kennengelernt und ich möchte, dass wir ein Team werden, das durch dick und dünn geht. Deshalb mache ich den Anfang und möchte Ihnen allen das Du-Wort anbieten. Es würde mich freuen, wenn Ihr es annehmt und gegenseitig das gleiche tut.

      Auf das Angebot von Dr. Schuster setzte ein allgemeines Händeschütteln ein. Zu Philipps Überraschung hielt Sarah ihm ihre Hand hin: „Ich bin Sarah.“ Um kein Aufsehen zu erregen, spielte er das Spiel mit, fragte sich aber dabei, was sie im Schilde führte. Vor ein paar Wochen hatte er plötzlich wieder von ihr gehört, indem sie ihm über Julia ausrichten ließ, dass sie ihn gerne treffen würde. Er hielt das damals für keine gute Idee, aber dann ereignete sich auf einmal dieses eigenartige Zusammentreffen im Café und jetzt würde er offenbar den ganzen Kurs mit ihr verbringen. War das alles Zufall? Etwas in ihm konnte es nicht glauben. Auf der anderen Seite sprach die Sturheit, mit der sie vor neun Jahren ihre Ehe abgewürgt hatte, gegen den Gedanken, dass sie plötzlich wieder seine Nähe suchte. Es war alles sehr verworren. Sein größtes Problem mit all dem war, dass er sehr lange daran gearbeitet hatte, sich Sarah nach der Scheidung endgültig aus dem Kopf zu schlagen. Deshalb wollte er jetzt, nachdem es ihm einigermaßen gelungen war, nicht wieder in den bedauernswerten Zustand davor zurückfallen. Etwas abwesend wegen seiner Gedanken hatte er fast übersehen, dass alle wieder Platz genommen hatten, aber Sarah unterstützte ihn bei seiner Rückkehr, indem sie ihn am Ärmel zupfte, worauf er sich schnell hinsetzte.

      Dr. Schuster verteilte als nächstes die Unterlagen, die er mitgebracht hatte. Es war eine zusammengeheftete Sammlung aller Unternehmungen, die D.C. derzeit weltweit durchführte. Insgesamt waren es über zehn Entwicklungsprojekte, davon allein fünf in Afrika. Die meisten waren auf unmittelbare Entwicklungshilfe ausgerichtet, andere nahmen spezielle Probleme ins Visier. So zum Beispiel die Straßenkinderhilfe in Indien oder das Haus für Opfer der Kinderprostitution in Thailand. Fritz beschrieb alles sehr detailliert und gab umfassende und genaue Informationen zu den einzelnen Ländern. Man merkte, dass er überall schon selbst gewesen war, sonst hätte er die Arbeit in den einzelnen Gebieten nicht so lebensnah schildern können. Leider blieb viel zu wenig Zeit, um mit allem fertig zu werden. Gerade irgendwo in Vietnam angelangt, ging es gegen halb neun und er musste seine Zuhörer auf die nächste Woche vertrösten. Die Teilnehmer hatten den Schilderungen voll Interesse zugehört und nur gelegentlich Zwischenfragen gestellt.

      Am Ende der zweieinhalb Stunden waren alle mit Informationen überfrachtet, aber auch fasziniert über die Vielfältigkeit der Projekte. Philipp bewunderte Fritz dafür, wie sehr er andere mitreißen konnte, wenngleich ihm ein gewisser Hang zur Pathetik nicht abzusprechen war. Er selbst hatte ob der interessanten Schilderungen seine verwickelten Gedanken an Sarah eine Zeit lang völlig vergessen. Am Ende kündigte Fritz noch an, was die angehenden Entwicklungshelfer an den nächsten Abenden erwarten würde. Zunächst die Beschreibung der Projekte, für die am heutigen Abend nicht genug Zeit gewesen war. Anschließend die detaillierte Darstellung des Projektes in Swasiland, die einige Abende in Anspruch nehmen würde und bei der auch mehrere vor Ort tätige Betreuer zu Wort kommen sollten. Außerdem ein Erste-Hilfe-Kurs und als Abschluss weiterführende Informationen über das Land, in dem sie tätig wurden, die dortigen Sprachen und Gebräuche. Die erste Zeit vor Ort in Swasiland würde dann auch der Einschulung und Einarbeitung gewidmet sein. Es musste also niemand Angst haben, zu sehr ins kalte Wasser geworfen zu werden. Zeitlich war es so geplant, dass der Kurs drei Monate dauern sollte, also bis Ende März. Anfang April würde dann das Abenteuer Afrika beginnen.

      Nach diesem Abend hatte für alle das ungewisse Etwas, das vor ihnen lag, klarere Konturen bekommen. Fritz machte den Vorschlag, noch gemeinsam etwas trinken zu gehen. Philipp entschuldigte sich schnell mit der Ausrede, er habe noch einen Termin, allerdings nur, um nicht auch noch den Rest des Abends mit Sarah verbringen zu müssen. Wenngleich er das Problem der künftig bevor stehenden Begegnungen mit ihr irgendwie für sich selbst lösen musste, wollte er heute doch so schnell wie möglich von ihr loskommen. Der Schuss ging allerdings nach hinten los. Fast im selben Moment wie Philipp entschuldigte sich auch Sarah. Während sie dann im Eingangsbereich Mantel und Schal anzogen, fragte sie ihren wehrlos daneben stehenden Ex-Mann, ob sie ihn noch ein kleines Stück begleiten dürfe, was er nicht gut abschlagen konnte.

      Als sie kurze Zeit später ins Freie traten, schlug ihnen die Kälte ohne Gnade entgegen. Im ersten Moment hatte Philipp Probleme beim Einatmen. Die Mütze, die er aufgesetzt hatte, zog er noch fester über den Kopf. Als er den Blick nach oben richtete, bemerkte er, dass es eine sternenklare Nacht war.

      „Puh, ist das kalt“, sagte Sarah. Bei jedem Wort dampfte es aus ihrem Mund, was die Eiseskälte noch unterstrich. Sie trug eine hellbraune wattierte Steppjacke mit einem etwas dunkleren Schal und eine dunkelblaue Wollmütze, die sie sich wegen der Kälte ebenfalls tief ins Gesicht zog. Auf der Straße holte sie noch ein paar Wollhandschuhe aus ihren Jackentaschen und zog sie über ihre Hände.

      „So ein Zufall“, begann Philipp, „da sehen wir uns jahrelang nicht, und plötzlich begegnen wir uns im Kaffeehaus und so, wie es aussieht, werden wir uns jetzt sehr oft sehen. Lustig, nicht?“

      „Na, ja, im Leben passieren oft die seltsamsten Dinge“, antwortete Sarah und gab Philipp damit keinen Hinweis, ob es sich beim jetzigen Zusammentreffen wirklich um einen Zufall handelte.

      „Wie geht es dir so?“ fragte Philipp, der das schweigsame Gehen offenbar schwerer aushielt als Sarah.

      „Danke, es geht“, antwortete sie.

      „Wie bist du gerade darauf gekommen, nach Afrika zu gehen, du warst doch nie besonders erpicht darauf, die Welt zu sehen?“ fragte er weiter.

      „Du hast ja gehört, was