Der Gesang des Satyrn. Birgit Fiolka. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Birgit Fiolka
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591832
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Metaneira in allem so gut war, wie im Umgang mit der Kithara, sodass ihr Zeit blieb darüber nachzudenken, wie sie es schaffen konnten zu fliehen.

      Die Götter schienen Neaira tatsächlich gewogen zu sein, denn die Besuche bei Nikarete häuften sich, und Metaneira stellte sich bei allem, was Nikarete von ihr verlangte, geschickt an. Metaneira wurde gezeigt, wie sie ihr Haar zu richten hatte, wie sie Schminke auflegte, aber auch wie sie sich anmutig bewegte. Obwohl Neaira nicht verstand, weshalb Nikarete und Idras das alles taten, verhielt sie sich ruhig und brütete weiter über der Frage, wie sie endlich die rote Tür erreichen konnten. Dabei tat sie möglichst gelangweilt und ließ ihre Blicke über die üppige Einrichtung Nikaretes schweifen - die dick gepolsterten Klinen, die vielen Tücher und Kissen. Auf keinen Fall wollte sie, dass Nikarete erriet worüber sie nachdachte. Wer wusste schon, ob ihr wilder Gott ihr nicht die Kraft gegeben hatte in ihren Kopf zu schauen. Nikarete thronte bei den Unterweisungen stets auf ihrem Stuhl und spann Wolle. Immer wenn Neairas Gedanken abschweiften, erhielt sie von Idras einen Schlag mit dem Stock in den Rücken, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Unterweisungen zu, ohne jedoch wirklich aufmerksamer zu sein.

      „Das Kind ist nicht lernwillig“, stellte Nikarete irgendwann fest. Neaira war es egal.

      Ein paar Tage später erschien Idras am Abend in ihrer Unterkunft, um Metaneira zu holen. Schon den gesamten Tag war Metaneira nervös und kaum ansprechbar gewesen. Auf Neairas Fragen war sie kaum eingegangen, und am frühen Abend hatte Metaneira damit begonnen, sich herauszuputzen. Jetzt trug sie einen blassgrünen mit goldenen Fäden durchwirkten Chiton aus Leinen, dessen Stoff so dünn war, dass man ihre Beine durchscheinen sah. Goldene Paspeln waren auf die Träger ihres Gewandes genäht. Neaira hatte ihr helfen müssen, das gerstenblonde Haar zu waschen und hochzustecken. Besonders seltsam fand Neaira Metaneiras Gesicht, welches sie wie Nikarete mit einer dicken Paste geweißt hatte – Metaneiras leicht gebräunte Haut schien hinter einer starren Maske verschwunden zu sein.

      Idras hatte eine kleine Schatulle aus Holz mitgebracht, der sie goldene Ohrgehänge und perlenbestickte Bänder entnahm. Sie zupfte noch einmal eigenhändig am hellblauen Gürtel und richtete die Raffung des Chitons, bevor sie zufrieden nickte. Neaira sah es mit zunehmendem Grauen. Als Idras Metaneira am Arm packte, krallte sich Neaira am Bein ihrer Freundin fest. „Du darfst nicht mit ihr gehen.“

      Metaneira lächelte gerührt und umarmte Neaira ein letztes Mal. Dann folgte sie Idras mit anmutigen Schritten, wie sie es von Nikarete gelernt hatte.

      Neaira war verzweifelt. „Du darfst nicht mit ihr gehen, Metaneira. Bitte nicht!“

      Drei Stockschläge landeten auf ihrem Rücken als Idras ihre Hartnäckigkeit zu viel wurde.

      „Keine Sorge, ich bin bald wieder da“, versuchte Metaneira sie zu beruhigen. Dann musste Neaira hilflos zusehen, wie Metaneira hinter der Schwarzen herlief.

      Am frühen Morgen war Metaneira wieder zurück. Neaira, die kein Auge zugetan hatte, fiel ihr erleichtert um den Hals. Sie meinte die unterschiedlichsten Gerüche an Metaneira wahrzunehmen - einen verbrauchten Duft von blumigem Salböl, den sauren Geruch von Wein in ihrem Atem und einen anderen Geruch, den Neaira oft an ihrer Mutter wahrgenommen hatte. Es war ein stechender Geruch, den sie nicht zuzuordnen vermochte. Obwohl dieser Geruch sie irritierte, dachte Neaira nicht weiter über ihn nach. Alles war gut, solange Metaneira nur unbeschadet zurückkehrte.

      Metaneira schob sie sanft von sich und zog die Bänder aus den Haaren. „Kommst du mit mir zum Louterion und hilfst mir?“

      Neaira sprang vom Schlafpolster auf und nickte eifrig. Die vage und immer mehr verblassende Erinnerung an die Waschtage mit ihrer Mutter kam ihr in den Sinn und versprach eine erfreuliche Abwechslung im täglichen Einerlei.

      Als Metaneira an das Louterion im Badehaus trat, blieb die erhoffte gute Stimmung jedoch aus. Stattdessen schickte Metaneira sie, die Sklaven von ihren Schlafmatten aufzuscheuchen, damit sie Wasser brachten. Müde und mit verquollenen Augen tappten die Knaben immer wieder zum Brunnen, um Wasser für Metaneira zu holen. Ihre Mienen ließen keinen Zweifel daran, dass Metaneiras Waschhysterie sie ärgerte. Auch Neaira wunderte sich. Metaneira mochte überhaupt nicht mehr aufhören, ihren Körper zu schrubben. Obwohl die weiße Farbe längst von ihrem Gesicht gewaschen war, schien es nicht genug Wasser zu sein, das die Sklaven über ihr ausgossen. Erst als Neaira laut gähnte, schien Metaneira sich zu besinnen. Müde kehrten sie in ihre Unterkunft zurück. Neaira war froh, noch eine Weile schlafen zu können, bevor der Hof erwachte. Als sie jedoch wie gewohnt zu Metaneira auf die Schlafkline klettern wollte, wehrte die Freundin ab. „Nicht heute, Neaira. Ich bin jeglicher Berührung müde.“ Enttäuscht rollte sich Neaira auf ihrer eigenen Matte zusammen und zerbrach sich den Kopf darüber, was Nikarete und Idras ihrer Freundin wohl angetan hatten. Hatte Metaneira mit den Satyrn auf dem Hof getanzt? War sie deshalb so seltsam? Neaira schauderte bei dem Gedanken - sie mussten endlich fliehen, bevor es zu spät war.

      2. Kapitel

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       Spuren im Sand

      

      Langsam aber sicher schien Metaneira ihre alte Gelassenheit zurückzugewinnen, was Neaira beruhigte. Anfangs packte sie noch Angst, sobald Idras kam, um Metaneira zu holen. Nach Metaneiras Rückkehr am frühen Morgen suchte diese stets das Louterion auf, um sich zu waschen. Neaira glaubte ihre Freundin verloren zu haben – das was von Metaneira übrig war, hatte nichts mehr mit dem Mädchen zu tun, das Neaira kennengelernt hatte. Dann, im zweiten Mondumlauf, entwickelte Metaneira eine gewisse Gleichgültigkeit und folgte Idras ohne Furcht, wenn sie kam, um sie zu holen. Nach einem halben Jahreswechsel war es für Metaneira zur Gewohnheit geworden sich zu schmücken, und sie wies Neaira auch nicht mehr ab, wenn sie nachts zu ihr auf das Lager kletterte. Aus Angst vor den schrecklichen Dingen, die Metaneira ihr vielleicht erzählen könnte, fragte Neaira sie nicht, was in den Nächten geschah, in denen Idras sie ins Haus von Nikarete brachte. Sie hatte rasende Angst davor, dass man sie von Metaneira trennte und sie in diesem Haus alleine blieb.

      Die verschiedenen Gerüche, die an Metaneira hafteten, nahm Neaira bald nicht mehr wahr. Auch Metaneira schienen sie gleichgültig, sodass sie ihren Besuch im Badehaus bis zum Mittag aufschob, wenn sie ausgeschlafen hatte. Metaneira wurde mittlerweile nicht mehr zu Nikarete gerufen, um Unterweisungen von ihr zu erhalten. Neaira dankte Aphrodite dafür.

      Das Leben auf dem Hof verlief in eigentümlicher Langeweile, unterbrochen nur von Stratolas bösen Blicken, mit denen sie Metaneira bedachte. „Sie neidet mir meine bessere Stellung“, erklärte die Freundin Neaira dann. Noch immer konnte sich Neaira nichts unter den wenigen Erklärungen vorstellen, die Metaneira ihr zuteilwerden ließ.

      Neaira lebte seit einem Jahr in Nikaretes Haus, ging Metaneira zur Hand, was bedeutete, dass sie tagsüber faul in der Sonne lag und der Freundin abends half sich zu schmücken, als sich im gleichtönigen Tagesablauf eine unverhoffte Abwechslung einzustellen schien, die ihr auch ihre Fluchtpläne wieder ins Gedächtnis rief. Idras stand eines Morgens überraschend auf ihrer Türschwelle. „Heute besuchen wir die Agora. Die Herrin braucht neue Tücher und Bänder. Nimm die kleine Mänade mit, damit sie die Einkäufe tragen kann“, befahl sie Metaneira.

      Neaira, die ruhig in einer Ecke gesessen hatte, sprang auf und warf sich Metaneira in die Arme, sobald die schwarze Sklavin fort war. Gemeinsam drehten sie sich im Kreis und freuten sich über den Ausflug. „Endlich kommen wir aus diesem Haus heraus“, rief vor allem Metaneira immer wieder. Neaira dachte bereits darüber nach, wie sie Idras klammerndem Griff würden entkommen können. Diese Gelegenheit war ein Wink der Götter, den sie sich zunutze machen mussten. Neaira überlegte, ob sie Metaneira in ihre Fluchtpläne einweihen sollte. Doch Metaneira hatte schon einmal abgelehnt zu fliehen, und wer wusste schon, wie sehr Nikarete ihr den Kopf verdreht hatte. Wenn sie erst einmal aus dem Haus heraus wären, würde Neaira schon etwas einfallen, wie sie es anstellte, Metaneira zu überzeugen.

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